[S. 299] Conrad Lagus ist geboren zu Kreutzburg in Hessen299.1 zu Ende des 15. oder zu Anfang des 16. Jahrhunderts. Näheres konnte ich nicht ermitteln. Die Eltern des Lagus werden bezeichnet als "ehrbare Leute" (honesti homines), was auf bürgerlichen Stand und Nahrung hindeutet. Glieder der Familie bekleideten um die Mitte des 15. Jahrhunderts in der Vaterstadt öffentliche Ehrenämter.299.2
Dass der Name Lagus (Λαγος) der Sitte der Zeit gemäss den deutschen Vaternamen griechisch wiedergebe, erhellt auf den ersten Blick. Wir werden also denselben übersetzen dürfen mit: Hase oder Hasse, vielleicht auch Hesse, was bei der vielfach wechselnden und ganz unsicheren Namenschreibung des 16. Jahrhunderts sich nicht bestimmen lässt.
In die Matrikel der Universität Wittenberg ist "Conradus Häss de crutzbergk magun. diöc." unter dem 16. Nov. 1519 eingetragen299.3.[S. 300]
Es wird berichtet, dass Conrad Lagus schon von früh auf sorgfältigen Unterricht genossen habe300.1. Auf den Universitäten Leipzig und Wittenberg vervollkommnete er seine philologische Ausbildung, zugleich studirte er mit höchstem Eifer die philosophischen Disciplinen. Von seinem gewaltigen Lerneifer erzählt ein wohlunterrichteter Biograph300.2, dass er ohne Unterlass bei Tag und bei Nacht der Arbeit obgelegen und von zeitraubenden Jugendvergnügungen sich fern gehalten habe. Er erwarb sich dadurch den Beifall und die Liebe der ausgezeichnetsten Lehrer an beiden Hochschulen.
Unsere Quellen geben keine sichere Auskunft, ob Lagus zuerst in Leipzig und dann in Wittenberg studirte. Beglaubigt ist, dass er hier wie dort auch als Lehrer in der Artistenfacultät auftrat300.3, er selbst giebt als die Zeit, innerhalb deren er zu Wittenberg docirte, die Jahre 1522-1540 an.300.4
Wahrscheinlich ist, dass Lagus vor 1519 Leipzig, nachher Wittenberg besuchte. Ob er von da an in Wittenberg blieb und erst im Jahre 1522 dort zu dociren anfing, oder ob er von Wittenberg nach Leipzig zurückkehrte und sich dann Anno 1522 wieder nach Wittenberg wendete, oder endlich, ob er vielleicht nach einem dritten Ort sich von Wittenberg aus begeben hatte, ehe er 1522 seine Docentenlaufbahn an dieser Universität begann, darüber vermag ich nicht einmal eine Vermuthung auszusprechen.
Bemerkenswerth ist, dass unter dem 28. December 1521 ein "Conradus Hasse Brunsvicensis" in Wittenberg immatriculirt wurde300.5, ohne dass jedoch dessen Identität mit Conrad Lagus sich nachweisen liesse.[S. 301]
Ein späterer Biograph301.1 des Lagus vermuthet, dass derselbe im Jahre 1522 oder 1525 von Leipzig nach Wittenberg gegangen sei, da in diesen Jahren Herzog Georg zu Sachsen starke Verfolgungen über Luther's Anhänger in Leipzig verhängt hatte, so dass die Studirenden in hellen Haufen nach Wittenberg zogen.
Mag dem nun sein, wie ihm wolle, wir können Lagus' Thätigkeit erst vom Jahre 1522 an verfolgen. Er scheint zunächst als Privatlehrer sich in Wittenberg niedergelassen zu haben. Den Grad eines Magister artium hat er nach glaubhafter Nachricht erst später erlangt. So stand er denn vorläufig in keinem äusseren Zusammenhang mit der Universität. Er hielt wahrscheinlich, wie diess damals nicht selten zu geschehen pflegte, eine Privatschule mit Pensionat. Oeffentliche Anstalten, welche bestimmt waren, für die Universität vorzubereiten, waren noch sehr selten: die Kenntnisse, welche man heut zu Tage auf Gymnasien sich erwirbt, erlangte man durch den Unterricht von Privatlehrern, welche am Sitze einer Hochschule oder auch anderwärts Wohnung genommen und mitunter ziemlich umfangreiche und gut organisirte Lehranstalten begründet hatten. — Wahrscheinlich war Lagus damals schon verheirathet; seine Ehefrau war gebürtig aus Zwickau.
Der lateinischen und griechischen Sprache vollkommen mächtig, ja selbst im Hebräischen bewandert, hatte Lagus auch die sonstigen, in den Artistenfacultäten gepflegten Wissenschaften mit Eifer getrieben; so konnte es denn nicht fehlen, dass sein Unterricht in den Disciplinen, "welche zur Pflege des richtigen Ausdrucks eingeführt sind", vielen [S. 302] Beifall fand302.1. Auch in späteren Zeiten war er seinen Schülern ein strenger Mahner, es mit dem Studium der artistischen Fächer nicht leicht und obenhin zu nehmen, sondern mit Ausdauer und Fleiss dabei zu verweilen.302.2
Doch auch den Umfang seines eigenen Wissens zu erweitern, war Lagus noch eifrig bemüht. Die geistige Bewegung jener Zeit concentrirte sich im theologischen Gebiet. Ein aufgeweckter und gewissenhafter Mann, wie Conrad Lagus, konnte demselben nicht vorbeigehen, ohne zu versuchen, durch eigenes Studium sich den Weg zur selbständigen Lösung der wichtigen Streitfragen, welche die christliche Welt in Aufregung versetzten, zu bahnen. Lagus widmete mehrere Jahre seines Lebens dem ernsten Studium der heiligen Schriften und erlangte, durch seine treffliche humanistische Bildung unterstützt, eine nicht gewöhnliche Kenntniss derselben. Auch hierin schritt er so weit fort, dass er im Stande war, Andere zu unterrichten.302.3
Neben den theologischen betrieb Lagus juristische Studien. Um jene Zeit machte er sich mit den Elementen der Rechtslehre bekannt, so dass er seinen Privatschülern die Justinianischen Institutionen zu erklären vermochte.302.4 Lagus folgte hierin nur der Sitte seiner Zeit und dem Gebot der Nothwendigkeit: denn die Väter der ihm anvertrauten vornehmen Zöglinge mussten verlangen, dass ihre Söhne auf diese Weise in die Rechtswissenschaft eingeführt würden, da es sonst keinen Weg gab, sie zum Verständniss der exegetischen Vorlesungen der Rechtsprofessoren vorzubereiten.
Der Sommer des Jahres 1527 war für Wittenberg ein überaus trauriger. Eine jener ansteckenden Krankheiten, [S. 303] welche man als Pest bezeichnete, suchte die Stadt und Umgegend stärker, denn je zuvor, heim. Die Universität wurde im Monat August zeitweise nach Jena verlegt. Von da siedelte sie nach einiger Zeit (15. September) nach Schlieben über.
Ob Lagus der Universität nach Jena folgte, ist zweifelhaft, darüber aber sind wir unterrichtet, dass er sich nicht in Schlieben, sondern in Bautzen einige Zeit aufhielt303.1. Hier wurde er, wie uns erzählt wird, vom Rath und der Bürgerschaft gut aufgenommen, bei den Vornehmen der Stadt, besonders bei dem Canonicus Christoph von Haugwitz, kam er in grosse Gunst. Haugwitz lud ihn mit gastfreier Gesinnung ein, Wohnung in seinem Hause zu nehmen. Lagus bewies seine Dankbarkeit dadurch, dass er, auf Bitten seines Gastfreundes für diesen, sowie für dessen Collegen und Freunde Vorlesungen über das Evangelium Marci hielt. Er richtete dabei sein Augenmerk darauf, den Unterschied des Gesetzes und des Evangeliums seinen noch an der Lehre von der Gerechtigkeit der Werke festhältenden Zuhörern klar zu legen.303.2
Die Universität kehrte im April 1528 nach Wittenberg zurück. Lagus nahm nunmehr den Grad eines Magister artium an303.3, wodurch er in nähere Verbindung mit der Universität kam. Wenn er auch kein besoldetes Lehramt erhielt, so war er doch als recipirter Magister Mitglied der Artistenfacultät und hatte als solches die Befähigung zum Decanat. Von seinen Vorlesungen erfahren wir, dass sie sich über die philosophischen Disciplinen erstreckten. Zugleich aber erklärte er in einem sehr zahlreichen Auditorium die reine Lehre von Gott aus den biblischen Schriften „auf eine gewisse methodische Weise". „Durch diese seine [S. 304] Mühe war er den Studien Vieler förderlich, so dass diese später die erkannte Lehre der evangelischen Religion in der Kirche weit verbreiteten".304.1
Auch das Pensionat im Hause, sowie die Privatschule wurde nicht aufgegeben. Damals befand sich unter Lagus' Zöglingen ein Knabe aus Bautzen, Namens Johann Hoppe304.2, der nachmals seinem, wie einen zweiten Vater verehrten Lehrer ein biographisches Denkmal setzte. Diesem danken wir vorzugsweise unsere Kenntniss vom Wesen und Wirken des Mannes.
Die Privatlectüre der Institutionen, welche Lagus mit seinen vornehmen Schülern zu treiben genöthigt war, zog ihn allmählich mehr und mehr zur Jurisprudenz hin. Er fühlte einen starken Trieb, sich für den Dienst des öffentlichen Lebens tüchtig zu machen, und da ihm auch seine besondere Beanlagung für die Rechtswissenschaft nicht lange zweifelhaft bleiben konnte, fasste er den Entschluss, sich ganz auf diese Studien zu verlegen. Bald hatte er es so weit gebracht, dass er in seinem Hause juristische Privatvorlesungen halten konnte, auch fing er an, wie es damals viele Magistri artium thaten, als Advocat zu practiciren.304.3
Lagus selbst erzählt304.4, es sei zu Jena gewesen, wo er zuerst dem Verlangen seiner Schüler nachgegeben und für sie die Elemente der Rechtslehre zu einem Dictat zusammengestellt habe. Wahrscheinlich ist damit nicht der Aufenthalt in Jena im Jahre 1527 gemeint, sondern die spätere Uebersiedelung im Sommer 1535? Auch damals wüthete die Pest in Wittenberg, und Lehrer wie Studirende begaben sich der gesunderen Luft wegen nach der von Bergen umgebenen [S. 305] thüringischen Landstadt. Der geordnete Gang der herkömmlichen Vorlesungen war unterbrochen, Docenten wie Hörer suchten daher auf ausserordentlichen, ungewöhnlichen Wegen ihre Ziele zu verfolgen. So war im Jahre 1527 bei dem Aufenthalt der Universität in Schlieben D. Johann Apel auf seine "Anwendung der dialektischen Kunst auf die Rechtswissenschaft" gekommen. Und jetzt machte Conrad Lagus den Anfang mit einem dogmatisch-systematischen Compendium des Civilrechts, welches kaum von minderem Gewicht ist, als die Arbeiten Johann Apel's. — Wir werden unten hierauf zurückkommen, vorläufig wollen wir den einfachen Lebensgang des Conrad Lagus verfolgen.
Im Wintersemester 1531/32 finden wir ihn als Decan der Artistenfacultät, er promovirte als solcher 12 Magistri (darunter den späteren schwarzburgischen Canzler Benedict Reinhard, welcher sich durch seine Differentiae iuris civilis et saxonici bekannt gemacht hat); dann bekleidete er das Decanat wieder im Sommer 1538, diesmal 14 Magistri promovirend.305.1 Eine "Rede über Plato", welche er bei dieser Gelegenheit hielt, ist uns noch erhalten.305.2 Sie zeichnet sich aus durch gutes Latein, Belesenheit in den griechischen und römischen Classikern, und giebt eine Erzählung vom Leben und den Schriften des Plato. Melanthon schickte die Rede unter dem 15. Octbr. 1538 an Everhard Rogge aus Danzig, Bürgermeister in Culm.305.3 — 1539 wird Lagus unter denjenigen Magistri artium aufgeführt, welche "disputirt [S. 306] haben", d.h. ihrer Pflicht, die vorschriftsmässigen Disputationen zu leiten, genügten.306.1
Als Consulent in Rechtsangelegenheiten und Advocat erlangte Lagus bald ein grosses Ansehen. Hatte er zu reden, so geschah es mit Ernst und Umsicht; beim Auseinandersetzen von Streitigkeiten trug er nicht bloss dem Rechtsgefühl und der Billigkeit Rechnung, sondern er zeigte auch, wie es zur Humanität sich neigenden Naturen eigen ist, ausnehmende Milde, Höflichkeit und Bescheidenheit. Höflich und bescheiden setzte er seine Worte nicht bloss bei wichtigen Verhandlungen vor öffentlichen Behörden und Richtern, sondern auch bei häuslichen Zusammenkünften und in Privatgesprächen. Er erkannte, dass einem braven Manne wohlanstehe, beim Urtheilen die Verschiedenheit der Personen und Umstände zu berücksichtigen. Zuverlässigkeit, Fleiss, Ausdauer zeichnete seine Geschäftsführung aus.306.2
Das Vertrauen, welches er sich erwarb, drückt sich darin aus, dass ihm das Amt eines gelehrten Notarius der Universität übertragen wurde. Er musste in dieser Eigenschaft bisweilen auch dem Kurfürsten von Sachsen, so wie der Landschaft dienstlich sein.306.3
Weit über Wittenberg hinaus verbreitete sich sein Ruf. Als man in Zwickau, der Vaterstadt seiner Ehefrau, daran ging, das Stadtrecht zu reformiren, übertrug man ihm diese Arbeit. Er vollendete sie zu grosser Zufriedenheit seiner Auftraggeber.306.4
Wenn nun auch Lagus, wie wir sahen, mancher Erfolge sich erfreuen konnte, so nahm er doch bei der Universität eine hervorragende Stellung nicht ein. Er selbst spricht sich [S. 307] darüber in späterer Zeit folgendermassen aus: "Niemand ist, der zwischen den Jahren 1522-1540 an der Hochschule sich aufhielt, der nicht wusste, dass ich dort niemals ein öffentliches Lehramt bekleidete, sondern dass ich es nur — ich weiss nicht, ob es so mein Schicksal bestimmte, oder ob Ungunst der Menschen gegen mich, oder meine eigene Nachlässigkeit die Ursache war — dazu brachte, Privatvorlesungen zu halten."
Es ist sehr wahrscheinlich, dass gewisse reformatorische Ideen bezüglich der Unterrichtsmethode, welchen Lagus nachhing, den Grund abgaben, weshalb man ihn bei Besetzung der ordentlichen Lehrerstellen überging.
In einem Rescript des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen d. d. Sonnabends nach Galli 1538, allerlei Gebrechen der Universität Wittenberg und deren Abstellung betreffend, heisst es: Da sich mehrere unterstehen, in iure zu lesen, die zuvor keine ordentliche Schule durchgemacht, und sogar gegen die hergebrachte Lehrmethode aufzutreten, so soll denselben ihre Anmassung untersagt und ihr etwaiger Ungehorsam dem Kurfürsten angezeigt werden.307.1
Wir werden kaum fehlgreifen, wenn wir annehmen, dass die Verordnung vorzugsweise gegen Lagus sich richtete. Er war, wie aus dem bereits Erzählten sich ergiebt, in der Jurisprudenz Autodidact, sein grosser Einfluss aber auf das Studium der Rechte in Wittenberg wird aus dem unten Mitzutheilenden hervorgehen.
Das schon angezogene kurfürstliche Rescript kommt mehrmals auf diejenigen Magistri artium, welche mit den Scholares iuris Institutiones lesen und dieselben in grammatica und institutiones üben, zurück. Auch bei der Bestimmung, dass denselben gestattet sein solle, für ihren Unterricht und ihre Aufsicht jährlich 10 Gulden zu berechnen, [S. 308] wird die Bedingung hinzugefügt: Doch sollen solche Magistri selbst praeceptores in iure gehört haben und ziemlich in Rechten instituirt sein.308.1
Diese Verordnung war erlassen nach einer Berathung mit den Seniores der Universität: D. Martin Luther, D. Justus Jonas, D. Hieronymus Schürpf, D. Augustin Schürpf und dem Rector des Sommersemesters 1538: M. Philipp Melanthon. In den Acten der Vorverhandlungen ist bezüglich der Institutionen lesenden Magistri nur der Kostenpunkt erwähnt, die auf die Lehrmethode abzielende Bestimmung muss daher auf privatem Weg bei den kurfürstlichen Räthen in Anregung gebracht sein. Vielleicht war es Hieronymus Schürpf, welcher den Neuerungen in der Methode des Rechtsunterrichts entgegenzuwirken sich verpflichtet fühlte. In der kurfürstlichen Canzlei aber waren Männer, wie D. Melchior von Osse, bei denen es nicht vielen Mahnens bedurfte, um sie gerade in dieser Richtung in Bewegung zu setzen.
Den elenden Zustand des Rechtsunterrichts auf deutschen Universitäten während des ersten Viertels des 16. Jahrhunderts habe ich an anderer Stelle geschildert.308.2 Reformpläne tauchten hie und da auf. Einer der bedeutendsten ist derjenige Johann Apel's, welcher auf eine dogmatische und systematische Behandlung der Rechtslehre hinauslief. Auch in dieser Beziehung darf ich auf meine frühere Arbeit verweisen.308.3
Interessant bleibt es, dass noch vor dem Druck oder kurz nach dem Erscheinen von Apel's auf Verbesserung des juristischen Studiums gerichteter Hauptschrift (Methodica dialectices iratio ad iurisprudentiam adcommodata 1535) ein [S. 309] anderer Wittenberger, eben unser Conrad Lagus, bereits Hand ans Werk legte und eine "Methodus" des damaligen gemeinen Rechts verabfasste. Lagus hat dabei von Apel's Bestrebungen wahrscheinlich Kenntniss gehabt. Hatte er doch mit demselben in Wittenberg längere Zeit zusammengelebt, war doch Apel's Werk noch vor der Herausgabe in vielen Abschriften verbreitet worden. Dennoch lässt sich nicht sagen, dass Lagus lediglich auf Johann Apel's Schultern stehe: sein Plan geht ein gutes Stück über Johann Apel's ursprüngliche Idee hinaus. Während dieser das ganze Gewicht auf die dogmatisch-dialectische Behandlung der einzelnen Materien legt und erst später zu dem Gedanken einer systematischen Verbindung derselben fortschritt, hat Lagus gleich von vorne herein das System in den Vordergrund gestellt. Bis dahin hatte man die Quellen des römischen und des canonischen Rechts streng getrennt und deren Inhalt im Anschluss an die Texteslectüre abgesondert vorgetragen. Lagus zuerst unternahm es, dieselben zu einem Ganzen zu verbinden und das durch das canonische Recht modificirte römische Recht in einem systematischen Compendium dogmatisch darzustellen.
Ich glaube nicht zu irren, wenn ich Melanthon als das Vorbild bezeichne, welchem Lagus auch in dieser Beziehung nachzueifern bemüht war. Im Jahre 1521 hatte der "Lehrer Deutschlands" zum ersten Male seine Loci communes erscheinen lassen, eine systematische Zusammenfassung der Glaubenslehren, welche als erstes Compendium der evangelischen Dogmatik gelten kann. Der grosse Erfolg, welchen diess Buch erzielte, der bedeutende Einfluss, welchen dasselbe auf das Studium der Theologie gewann, regte an, für andere Fächer, und insonderheit für die Jurisprudenz, Aehnliches zu versuchen.
Lagus hatte bei seinen Privatvorlesungen über Institutionen nicht unbeachtet gelassen, dass dieselben nach Kaiser [S. 310] Justinian's Anordnung als systematisches Lehrbuch für den ersten Rechtsunterricht dienen sollten. Er ging daher auf die methodus, d.i. das System, des Buches näher ein. Diess gab seinen Zuhörern Veranlassung, ihn zu bitten, eine mehr detaillirte systematische Ausführung der Rechtslehre, als diejenige der Institutionen ist, zu bearbeiten. "Denn es schien diese zu knapp, um daraus ein umfassendes und scharfes Bild der gesammten Rechtslehre zu entnehmen, welches den Lernenden beim Eingehen auf einzelne Rechtsfragen und deren umfangreiche Literatur gleichsam als Wegweiser dienen könnte."310.1
Lagus konnte seinen Zuhörern nicht Unrecht geben, "da nach dem Urtheil aller Gelehrten die methodus der Weg ist, auf welchem durch Sammeln der allgemeinen Sätze (communium observationum) irgend einer ganzen Disciplin der Zugang geöffnet wird zur Uebung in derselben an Beispielen über einzelne Punkte und Fragen, die in der Praxis vorkommen können".310.2
Wir entnehmen einer späteren Schrift des Lagus noch folgende Betrachtungen, welche ihn geneigt machten, dem Wunsche seiner Schüler zu willfahren.
"Die gebräuchlichen Institutionen-Commentare", sagt er, "enthalten zwar viele nützliche und brauchbare Dinge, aber die Verfasser haben sie häufig, um ihr Talent oder ihre Gelehrsamkeit zu zeigen, mit den fremdartigsten Materien angefüllt. Diess gilt hauptsächlich von den Abschweifungen, welche, sobald sich eine entfernte Gelegenheit bei irgend einem Worte zeigt, lediglich um die Subtilität im Anknüpfen zu beweisen, beliebt werden. Solche Behandlung der Institutionen zerstreut und umflort die Geister der Lernenden; erst auf Umwegen und spät erreicht man das Ziel. Doch [S. 311] das ist eine alte Klage. Johannes Faber und Panormitanus haben sie längst ausgesprochen.
Was die ausführlichere Behandlung der einzelnen Rechtslehren anlangt, so knüpfen die Juristen dieselbe an die sogenannten loci ordinarii, d.h. Stellen der Rechtsbücher, welche das Herkommen dazu bestimmt, an. Allein jene Stellen sind von dem noch Unerfahrenen nicht leicht zu finden, weil bisweilen der Ordinarplatz für eine Materie wechselt, oder mitunter eine Lehre an verschiedenen Orten behandelt wird. Auch wurden dieselben nie in eine solche geordnete Verbindung gebracht, dass aus ihrer Stellung schon die Lernenden ersehen könnten, welches der Zusammenhang unter ihnen sei und wie sie in diesem gewissermassen ein Compendium der gesammten Rechtslehre darstellen.
Ein Fortschritt in dieser Beziehung ist allerdings in den sogenannten Summen zu finden, unter denen die des Azo und Hostiensis sich besonders auszeichnen. Allein das Bestreben der Summisten ist nicht gewesen, die Rechtsmaterien in gewisse Hauptglieder des ganzen Körpers zu vertheilen, sondern sie sind nur bemüht, den Inhalt der einzelnen Titel in der nämlicher Ordnung, in welcher sich dieselben in dem Codex Justin. und in den Decretalen vorfinden, auf eine didaktische (dogmatische) Weise darzustellen. Daher hat man hier mehr Auszüge aus den einzelnen Titeln, als ein Rechtssystem (methodum iuris) vor sich."311.1
Indem Lagus diess in Erwägung zog, liess er sich bestimmen, den Versuch zu wagen: "ob die Rechtsmaterien sich in einen Körper vereinigen liessen, an welchem der Lernende sofort wahrnehmen könnte, aus welchen Hauptgliedern die Rechtswissenschaft und deren System im Allgemeinen bestehe". Wenn jede Materie gewissermassen an [S. 312] ihrem Sitz für den Herantretenden locirt sei, meinte er, werde schon durch die Stellung auf dieselbe mehr Licht geworfen, als es durch den längsten Commentar geschehen könne.312.1
Den Anfang mit seinem Werk machte Lagus, wie bereits erwähnt, zu Jena. Er unternahm es, mit Hülfe eines sehr geringen Büchervorrathes die Lehren vom Ursprung des Rechts und von den Personen in einer dogmatisch-systematischen Weise darzustellen. Später setzte er in Wittenberg die Arbeit fort. Allein obwohl er hier einen ausreichenden literarischen Apparat zur Hand hatte, so sollte doch die jetzige Arbeit bloss ein Versuch sein, ob der Grundgedanke überhaupt sich realisiren lasse. Deshalb bemühte sich Lagus, rasch zu Ende zu kommen, die weitere Ausführung der Zukunft überlassend. Er will daher dasjenige, was er zusammenbrachte, mehr als eine Materialiensammlung und rohe Formirung des Stoffes als ein vollendetes Werk betrachtet wissen.312.2
Ohne ausreichende Muse — denn seine Zeit gehörte dem Erwerb des Unterhaltes — ohne nennenswerthe Vorarbeiten Anderer — denn die erwähnten Summae, so wie die bis dahin als Lernbücher dienenden Expositiones sive declarationes titulorum, nebst dem Viatorium seu directorium iuris Johannis Berberij (verabfasst 1475)HS1 und den Compendia iuris civilis und canonici des Petrus Ravennas sind kaum als solche zu betrachten — brachte Lagus eine "Summa iuris" oder "Methodus iuris" zusammen, welche ihm die Gewissheit gab, dass sein Plan ausführbar sei.
Ueber die Schwierigkeit der Arbeit spricht sich Lagus folgendermassen aus: Cicero meine, es sei ein Leichtes, das ungeordnete (diffusum) und zerstreut liegende (dissipatum) [S. 313] Recht unter gewisse Theilungsglieder und so in ein wissenschaftliches System zu bringen.313.1 Das würde wahr sein, wenn bloss die Natur der Sache (naturalis ratio) in rechtlichen Dingen massgebend wäre. Allein da nicht sowohl diese, als das Bedürfniss des Verkehrs den Rechtsinstituten ihre Gestalt gebe, müsse anders geurtheilt werden, zumal, wenn man bedenke, wie gross die Reihe der Gesetze und Verordnungen des römischen Rechts sei, welches als gemeines Recht diene. Zur Zeit Cicero's allerdings habe sich diess anders verhalten, wie schon der Ausspruch desselben über die zwölf Tafeln beweise. Da war das Recht kurz, klar, einfach und in wenigen Capiteln jenes Gesetzes zusammengefasst. In der Gegenwart aber müsse das Corpus iuris civilis in seinen einzelnen Bestandtheilen und obendrein das canonische Recht, welches einen nicht geringen Theil des bürgerlichen Rechts auf die Normen des göttlichen Rechts zurückführe, berücksichtigt werden. Daher dürfte Niemand leugnen, "dass grosse und beinahe unüberwindliche Schwierigkeiten dem entgegenstehen, welcher es bei dem weiten Umfang und so grosser Verschiedenheit der überlieferten römischen Rechtsquellen unternimmt, das Recht in gewisse Hauptstücke zusammenzuziehen, Niemand möchte tadeln, dass man für solches Werk viele Muse in Anspruch nimmt".313.2
Lagus dictirte das vollendete Werk seinen Zuhörern. Dabei schärfte er ihnen nachdrücklich ein, es solle dasselbe lediglich zu ihrem Privatgebrauch dienen, Veröffentlichung wünsche er nicht.[S. 314]
"Denn ich wusste wohl", sagt er, "dass solche Weise, das Recht zu lehren, allen denen verhasst und ridicül sei, welche im Besitz der Katheder und anerkannter Autorität an der hergebrachten Methode festhalten. Sie sind in dieselbe so verstrickt, dass sie vermeinen, die Rechtslehre lasse sich wegen der Verschiedenartigkeit und Verwicklung der einzelnen Lehren überhaupt nicht in ein Compendium zusammenfassen. Und eben so befangen urtheilen einige von ihnen über die Personen, welche, in humanistischer Schule gebildet, von dem ausgetretenen Weg der traditionellen Lehrmethode abzuweichen sich erkühnen: sie halten dieselben für untauglich zum Lehramt. Auch kann ein nicht oberflächlicher Beobachter der sogenannten öffentlichen Meinung sich nicht verhehlen, dass der Haufe der lernenden Juristen dasjenige missachten werde, was in der angegebenen Weise gesammelt wurde. Denn jene Menschenclasse wird in Folge der Unreife des Alters, oder der Unkenntniss und Vernachlässigung der schönen Wissenschaften und Künste, mehr durch anscheinende und leicht begreifliche Beispiele angezogen, als durch eine sichere und richtige Methode im Betreiben des Studiums."314.1
Werfen wir nunmehr einen Blick auf das System, wie es sich unter den Händen des Lagus gestaltete.
Die Rechtslehre zerfällt nach ihm in einen philosophischen und einen historischen Theil. Der erstere beschäftigt sich mit Untersuchung der Ursachen der bindenden Kraft des Rechts, der andere mit Betrachtung der einzelnen Rechtsfiguren (Rechtsinstitute), welche für die Geschäfte des menschlichen Verkehrs, für die Ahndung der Verletzungen Anderer die Normen abgeben sollen. Jener ist rein philosophisch, d.h. den wahren Grundlagen allen Rechts, insoweit der menschliche Verstand sie verfolgen kann, [S. 315] nachforschend, dieser historisch, da jene Figuren, obwohl sie gewisse unwandelbare Grundlagen haben, doch dem Wechsel unterworfen sind je nach Bedürfniss des Lebens, was sich hauptsächlich in Umänderung und Verbesserung der Gesetze zeigt.
Nach diesen einleitenden Bemerkungen (Pars I c. 1) und Darlegung seines Planes (P. I c. 2) beginnt Lagus seinen ersten Haupttheil der Rechtslehre. Vom natürlichen Recht; vom Recht, welches die öffentliche Gewalt einführt; vom Gewohnheitsrecht handeln die folgenden Capitel (P. I c. 3, 4, 5). Dann: Eintheilungen des Rechts (P. I c. 6), Anwendbarkeit des Rechts ("de obligatione iuris", P. I c. 7), Auslegung und Ergänzung des Rechts. Letztere Lehre erstreckt sich über eine Reihe von Capiteln, welche die Ueberschriften tragen: Von der Interpretation der Gesetze und Statuten (P. I c. 8) ; von der einschränkenden Interpretation der Gesetze und Statuten (P. I c. 9); von der ausdehnenden Interpretation der Gesetze und Statuten (P. I c. 10); von der Rechtsfiction (P. I c. 11); von den Arten der Allegation der Gesetze (P. I c. 12); von der Vernunft anstatt des Gesetzes (P. I c. 13); welche von mehreren Meinungen im Zweifel vorzuziehen sei (P. I c. 14).
Diese "Capita secundae partis" sind in den gedruckten Ausgaben in sofern in einige Unordnung gekommen, als nur nr. 1 und 2 unter der Ueberschrift: "Pars secunda" [S. 316] stehen, nr. 3, 4, 5 und 6 aber mit resp. Pars tertia, P. quarta, P. quinta, P. sexta überschrieben sind. Wir werden beim Citiren den Editionen folgen müssen.
Es ist kein unebener Gedanke, dass Lagus die Lehre von der Entstehung des Rechtes oder den Rechtsquellen der Rechtsphilosophie zuweist. Denn wenn auch in dieser Beziehung das positive Recht Normen aufstellen muss, so kommen dieselben doch immer gewissermassen erst in zweiter Linie in Betracht, die Hauptuntersuchung muss von dem Wesen des Rechts ausgehen und durch Verstandesoperationen die Factoren feststellen, welche zur Rechtserzeugung dienen. Dass dagegen die Frage nach den Ordnungen des Verkehrs, welche das Gemeinleben der Menschen ermöglichen, auf dem Wege historischer Forschung zu beantworten, ist, möchte heut zu Tage keiner besonderen Vertheidigung bedürfen. Die Anordnung des historischen Theils ruht im Wesentlichen auf dem römischen Institutionensystem, doch nicht ohne Anfänge selbständiger Formation. Wir haben hier schon die auch bei Neueren wiederkehrenden Kategorien: Personenrecht, Sachenrecht, Obligationenrecht. Nur das Erbrecht als selbständiges Hauptglied fehlt und ist nach Vorgang der Römer im Anschluss an das Sachenrecht vorgetragen. Dass Actionenrecht und Process als besondere Glieder der Privatrechtslehre abgehandelt werden, entspricht dem römischen Muster. Eine eigenthümliche Idee aber bleibt es, alles anomale Recht (privilegia und iuris beneficia) in einem Abschnitt zusammenzufassen und dem normalen Recht gegenüberzusetzen.
Die Darstellung des Einzelnen schliesst sich an die Dogmen der mittelalterlichen Italiener an. Deshalb ist das Buch noch heute brauchbar. Wer sich rasch über die Gestalt einer Lehre, welche dieselbe unter den Händen der Glossatoren und Commentatoren im Grossen und Ganzen gewonnen hatte, belehren will, thut am besten, Conrad Lagus [S. 317] nachzuschlagen. Ohne viele Mühe wird er wenigstens in so weit sich orientiren, um beurtheilen zu können, ob weitere Untersuchung erspriesslich oder nicht. Beispielsweise zeige ich hier auf die Lehre von den Naturalobligationen hin, welche Pars III c. 2 sich findet. Diese gerade habe ich ausgewählt, weil Lagus an die mittelalterliche italienische Doctrin eine eigene Untersuchung knüpft, welche beweist, dass Probleme, deren Lösung noch die Gegenwart beschäftigt, schon das Nachdenken unseres Autors reizten. Mag Vieles; was wir hier lesen, uns noch so befremdlich erscheinen, es bleibt erspriesslich unseren unter dem Einfluss der französischen Schule des 16. Jahrhunderts stehenden Dogmen gegenüber, die trotz des Scheins der Quellenmässigkeit doch oft sehr willkürlich sind und von der römischen Auffassung abweichen, selbständige Gedankengänge kennen zu lernen, zu welchen, anknüpfend an die mittelalterliche Doctrin, durch frisches Quellenstudium gerade deutsche Juristen des 16. Jahrhunderts nicht selten gelangten. Deshalb hat denn das Werk nicht bloss ein dogmengeschichtliches Interesse.
Seine treffliche humanistische Bildung verwerthete Lagus in vielen historischen Excursen. So findet sich ein Capitel: De mutatione Imperii Romani, und manche geschichtliche, antiquarische, philologische Bemerkung nicht ohne Hinweis auf die grossen historischen Entwicklungsgänge und die gewaltige Kluft zwischen antiken und modernen Anschauungen: diess Alles in der hinlänglich bekannten Manier Melanthon's.
Auch an gelegentlichen politischen und religiösen Auslassungen fehlt es nicht. In ersterer Beziehung erklärt sich Lagus für die Monarchie. Diese hält er für die löblichste Staatsform, denn, "wie Manche es gar nicht ungeschickt zusammengefasst haben, gleichwie eine Sonne ist, welche die Welt erleuchtet, so ist es nützlich, dass ein Regiment den Erdkreis beherrsche. Und es findet sich bei Herodot im 3. Buch eine elegante Discussion über die Staatsformen, [S. 318] welche bei den Persern geführt wurde, als die Frage entstand, unter was für einem Regiment zu leben sei. Schliesslich einigten sich Alle, dass die Monarchie den Vorzug verdiene, das, was auch Homer gewollt zu haben scheint mit seinem εις βασιλενς εστω. Und die Erfahrung Vieler bezeugt es, dass wegen des Zwiespalts, welcher über Regierungsfragen zu entstehen pflegt, es nützlich für die Staaten sei, wenn bei einem Einzigen die höchste Gewalt sich befinde, besonders in gefahrvollen Zeiten (P. II c. XXII)".
Man vermeine nicht, dass Lagus in dieser Beziehung nur der seiner Zeit herrschenden Ansicht nachgehe. Denn gerade die neuerwachte Begeisterung für das classische Alterthum bewog Viele, die Demokratie im Princip für die beste Regierungsform zu erklären. Ja selbst Melanthon steht nicht an, einer aristokratischen Republik (freilich wohl mit besonderem Hinblick auf das deutsche Reich) seinen besonderen Beifall zu schenken.
In religiöser Beziehung steht Lagus, wie wir kaum zu erinnern brauchen, auf dem Standpunkt der Reformation. Er polemisirt mitunter gegen Einrichtungen und Gesetze der römischen Kirche, z.B. gegen das Cölibat (P. I c. 7), gegen den Papst (P. VI c. 4 und 5 u. f.) u.s.w., doch warnt er ausdrücklich davor, das canonische Recht zu missachten, besonders für das Gerichtswesen sei dasselbe sehr wichtig, da seine Processordnung mehr für Beförderung der Rechtspflege geeignet erscheine (P. V c. 1).
Die Darstellung des Rechtsganges in Pars V nimmt etwa ein Viertel des Raumes, welchen das ganze Werk ausfüllt, ein und geht mehr ins Detail, als manche selbständige Schriften über Process. Deshalb wird Lagus mitunter — und zwar nicht mit Unrecht — den Processschriftstellern beigezählt, wenn es auch schwer sein möchte, eine abgesondert erschienene "Practica Conradi Lagi", von der Manche faseln, nachzuweisen. Ich kann nicht umhin, auf diese Partie [S. 319] von Lagus' Buch besonders hinzuzeigen, sie ist dem Besten an die Seite zu stellen, was im 16. Jahrhundert über Process geschrieben wurde. Wer sich überzeugen will, lese nur das 1. Capitel: De iudiciis eorumque differentiis, und in demselben die Auseinandersetzung über iudicia ordinaria, i extraordinaria, processus de plano et sine figura iudicii, summatim cognoscere u.s.w.319.1
Neben seiner Methodus iuris civilis, die wir mit moderner Terminologie als ein systematisches Lehrbuch des Pandekten- und Processrechtes bezeichnen dürfen, unternahm Lagus noch eine andere Arbeit. Hören wir darüber den späteren Herausgeber derselben, D. Joachim Gregorij aus Prietzen zu Magdeburg, welcher unter dem 10. März 1597 Folgendes schreibt319.2:
"Vor sechtzig Jaren vngefehrlich, hat sich der hochgelahrter Herr Cunradus Lagus, der Rechten Doctor vnd Professor in der Vniuersitat zu Wittenberg, vber den Sachsenspiegel, Weichbild vnd Lehnrecht gemacht, vnd sich zum höchsten beflissen, auss den dreyen vnterschiedenen Büchern Sächsischen Rechtens ein Compendium vnd richtigen kurzen ausszug zu begreiffen, in etliche gewisse Bücher vnd titulos zu fassen, vnd die zusamen gehörende materias in gewisse locos vnd titulos zu redigiren vnd zu vermelden, was in den Texten vnd Glossen nit zu finden, das solchs in den gemeynen Kayserlichen Rechten zu suchen vnd zu suppliren sey."[S. 320]
Diess Compendium iuris Saxonici ist also um das Jahr 1537, somit nach der Methodus iuris civilis, in deutscher Sprache verabfasst. Eine Vergleichung der Inhaltsübersichten lehrt, dass Lagus im Grossen und Ganzen das System, welches er für den Vortrag des römischen Rechts aufgestellt, auch für die Darstellung des sächsischen oder deutschen Rechts, wie wir sagen würden, beibehält. Lagus selbst deutet in der Vorrede: "Die weise zu studiren im Rechten" seinen Plan an:
"Hierumb so ist es mein fürsatz, die gemeinen Fälle des Sächsischen Rechts gegen dem Keyserlichen geschriebenen Rechten zuuergleichen vnd anzuzeigen, wo sie von denen gesondert, vnd wil das thun nach ordentlicher art vnd weise, wie sie an jhnen selbst zu handeln seind."
Den hier angedeuteten "Capitteln" entsprechen in der Ausführung selbst die Bücherüberschriften. [S. 321]
Das "Ander Buch" enthält in Tit. 1: eine "Vorrede auff die Fünff folgende Bücher der Hauptsachen im Rechte". Unser Autor macht darauf aufmerksam:
"Das in allen den Capitteln oder Titeln, die hernach folgen, die Rechte nicht dargethan oder gesatzt werden, wie sie am billichsten seyn sollten, Sondern wie sie die Sachsen jhnen gewillkört haben, vnd durch die Römischen Keyser neben dem gemeinen Recht des Reichs jhnen aus gnaden nachgelassen sein worden." Daher soll bloss angezeigt werden, was der Text des Sachsenspiegels und Weichbildes dargiebt. Was die Glossen hie und da zur Erfüllung des sächsischen Rechtes dazu setzen, soll nicht berücksichtigt werden, "damit wir nicht, wie man sagt, das hundert in das tausend werfen, vnd die gemeinen [S. 322] Keyser-Rechte mit den Sechsischen vermischen". Wo aber die Glosse das sächsische Recht erklärt, soll sie dankbarst benutzt werden.
Daraus ergiebt sich, dass der Titel: "Compendium iuris Civilis et Saxonici", welchen Joachim Gregorij wählt, in soweit er des Civilrechts, d.i. des römischen Rechts gedenkt, falsch, und wohl nur aus Speculation also gefasst ist. Der unrichtige Titel hat übrigens zu dem allgemeinen Irrthum geführt, das von Gregorij herausgegebene Compendium enthalte nur eine Uebersetzung oder deutsche Bearbeitung der Methodus, so dass man beide Werke höchst verkehrter Weise identificirte.
Diess der Inhalt des Compendium iuris Saxonici. Nicht ohne Grund haben wir uns so lange bei dieser Uebersicht verweilt, denn abgesehen davon, dass die Exemplare des Buches recht selten geworden zu sein scheinen326.1, so beansprucht der erste Versuch, das sächsische Recht in die römischen Kategorien methodisch einzuordnen, und dabei principiell alles aus nichtsächsischen Quellen entstammende Recht auszuschliessen, unser besonderes Interesse. Lagus erscheint auch in dieser Beziehung als Vorläufer der Gegenwart, wenn auch aus seinem Werke direct gewiss nur wenige der modernen Germanisten geschöpft haben.
Was die Behandlung der einzelnen Lehren anbetrifft, so haben wir es im Wesentlichen nur mit einer Zusammenstellung des häufig missverstandenen Quelleninhalts zu thun. Das dogmengeschichtliche Interesse möchte nicht allzuhoch anzuschlagen sein. Diess thut jedoch der Bedeutung des Buches keinen Abbruch. Es wird heut zu Tage Niemandem einfallen, daraus deutsches oder sächsisches Recht lernen zu wollen. Wohl aber ist es von hohem Belang, dass geraume Zeit vor Georg Beyer († 1714) ein erst in vielen Abschriften verbreitetes, dann zu Ausgang des 16. und zu Anfang des 17. Jahrhunderts mehrfach gedrucktes systematisches Lehrbuch des deutschen Rechtes aus den sächsischen Quellen existirte.
Wir kehren zum Lebenslauf des Verfassers der eben besprochenen Arbeiten zurück.
Von Lagus' Beschäftigung mit juristischer Praxis und dem Ruhme, welchen er als Consulent erlangte, ist bereits die Rede gewesen. Als nun die Stadt Danzig im Jahre 1538 eines Syndicus bedürftig war, schickte sie ihren [S. 327] Secretär, M. Georgius Donner, nach Wittenberg, um dort nach einer passenden Persönlichkeit sich umzusehen. Durch Philipp Melanthon wurde Donner's Aufmerksamkeit auf Conrad Lagus gelenkt. Die hierauf angeknüpften, erst mündlich, dann schriftlich gepflogenen Unterhandlungen führten zu keinem definitiven Abschluss. Lagus versprach nur, sich nach Danzig zu begeben und dort dem Rathe vorzustellen.
Als aber drei Vierteljahre verflossen waren, ohne dass Lagus die Reise unternahm, erliess unter dem 29. März 1539 der Danziger Rath an ihn ein Schreiben327.1, worin der Verabredung: "Das sich E. Achtpar.ᵗ das erste als müglich hieheer vorferttigen, sich mit unns sehenn und weyther ein notigk vornemen auf eine ezcliche Condition (die ihrer persoen nutzlich und alszo ferner unser gemeynen Stadt zcirlich sein muchte) mit unns zcu haben" gedacht wird. Daran knüpft der Rath das Ansinnen: E. Achtpar.ᵗ "wolle unns nicht lenger auffhaltenn, szunder sich zcu disser farth mit den unsern327.2, und im fall, do sie es unsicherheit halben nicht thuen dorffte, sich auff unser kosten mit etzlichen Rewtheren bisz in die Orther, dar sich E. Ach.ᵗ W. forth mehr keiner unvorhofften zcufelle zcu befhahen habe, vorsehen und also hieheer begeben wolle: sich darop mit unns zcu beredenn auch gelegenheit unser stadtt unnd eigentschafft der gemeynen eynwhoner antzumerkenn und alsso ferner bey einander seinde beider seits notturft unnd obligen bewoge und was sunst zcu solcher Condition von nothen alles mit fleiss beredt und bedocht werden moge".
Ob Lagus sich nun nach Danzig verfügte oder ob die weiteren Verhandlungen schriftlich geführt wurden, ist nicht [S. 328] ersichtlich. Wir wissen nur, dass der Rath der Stadt Danzig unter dem 17. Juni 1539 eine Bestallung für Lagus ausfertigen liess, aus der wir Folgendes hervorheben:
"Wiewol seine Erbarheit, uns auf sulchs hett anzeigen lassen die stattliche Besoldunge und Zugänge so er bei der Universitaet zu Wittenberg hätte, welche zu begeben Ihme beschwerlich, und sunderlich diweil er keine Ursach hätte, warumb Er sich derselbigen mit Billigkeit begeben möchte; dennoch angesehen seines vielgeliebten Herrn Praeceptoris Philippi Melanchtonis Raht und bewegen, wie och eines Erbahren Rahts dieser Königlichen Stadt freundl. Anlangen, hätte er sich entschlossen, 2 Jahre dieser Königlichen Stadt und einem Erbahren Raht derselbigen zu dienen ... Hier entkegen hatte gemeldter Herr Magister vor sich bedinget und ausberedt: dass er och sich in keine offentliche Contention diese oder jehne Religion zu erhalten keine Wege einlassen will, als welches seiner Vocation, als der Jura und nicht Theologiam profitiret hat, entkegen ist. Hiemit aber will er sich nicht entziehen dieser gutten Stadt und E. Ehrbahren Rahts Notturftt zu reden, so viel als ihme aus gemeinem Beschluss Eines ehrbaren Rahts im Befehl möge gegeben werden, vor Königl. Mayt. und sunst alles darin zu reden, do E. Ehrbar Raht in Sachen der Religion angefochten möchte werden. Zum dritten, weil obgemeldter Magister Conradus in Bluttsachen bisz anhero von keinem Fürsten oder Potentaten sich zu gebrauchen hat bewegen lassen, will Er sich das och vor Gerichte vor Jedermäniglich zustehen und in keinen Miszthaten zur rechtlichen Straffe zu verfordern gäntzlich entschlagen und begeben haben. Im Fall aber, do die Stadt von einem offenbahren Feinde angefochten wurde, über sölch einen zu klagen und alle Nohtdurft der Staat wieder denselben offentlich zu reden, wil er sich och bisz auf Verhafftungen desselbigen nicht ausziehen. Da aber ein solcher in Verhafftunge [S. 329] gebracht und alsdann weiter peinliche Straffe vor Gerichte über denselbigen zu fürdern nötig sein würde, dieweil zu sulcher Furderunge die rechte Procuratores verordnen und benennen, wil er sich als das seinem Beruffe und Stande von Nachtheil ist, nicht verpflichten. Den Procuratoren aber, so ein Erb. Raht zu sulchen Handelen bekommen, sol dennoch seine Erbarh. mit Raht und Schrift wasz zu derselbigen peinlichen Furderunge nötig sein wurde Aufsatz zu setzen und zu unterrichten pflichtig sein ... Hierneben hat sich och obgemeldter Herr Magister versprochen Unser Jugend oder sunst, die solches zu hören begierig seyn werden, eine Lection in den Rechten zu thuende, zu gelegenen Zeiten und Stellen, do er sich sulches nach seiner und eines Erb. Rahts Bedenken und Gelegenheit bereden wird."329.1
Aber Lagus zögerte immer noch, nach Danzig überzusiedeln. Am ersten Ostertag des Jahres 1540 richtete er von Wittenberg aus ein Entschuldigungsschreiben an den Danziger Rath, welches wir hier in extenso mitzutheilen nicht unterlassen können.329.2 Es lautet:
Meyne gefliessene dienste zuuor, gestrengen ehrnfesten, erbarn wolweyse groszgünstige lieben herren. Ich hab E. W. schriefftliches begeren neben des gestrengen herrn Hansen von Werden schreyben yres inhalts gnugsam vornumen. Und wue ich eyniges weges hette vormocht sollchem yrem begeren unnd schreyben nachzwkommen, so solt E. W. mich gancz bereyt darzw befunden haben. Es hatt aber [S. 330] E. W. gesandter fuhrman gesehen, wie übel meyn weyb unnd kindelleyn dieses mal yrer krangkheyt halben zw wandern geschigkt gewesszt, also das, wen ich gleych sunst keyne hinderung gehabt, ich mit ynen mich auff den wegk nicht hatte kunnen begeben ane grossze gefahr yrer geszuntheyt zw vorlieren daruber.
Zw dem so haben die sterbens leuffte, die den wintter über allhie
gewesen, die herren der Juristenfacultet also zurstrewet gehabt, das ich yrer
vorsamlung nicht eh hab kunnen haben unnd in yrer gegenwartt künnen disputiren
pro gradu doctoratus dan auff den nechst vorschienen freyttag nach letare.
Derwegen sie dan auch meyner promotion zwgewartten entschlosszen allerst zw
auszgange des Leypzischen margktes. Unnd sintemal die nicht eynheymisch, die am
meysten darzw zw thun dieses mal haben, mag sollche yre entschliessung nicht
hinttergangen adder die malzeyt, die darauff gehaltten nicht anderst
angeschlagen werden, umb yrer bestellung willen mit wiltprett unnd anderer
notturfft, die hie schwerlich auff eyne eyl zw bekommen ist. Derhalben so hab
ich den fuhrman darauff zw wartten nicht wollen auffhaltten, sondern ym
auffgeladen das er auff seynen wegen hatt künnen bringen. Ich wöllt ym woll
alles auffgeladen haben, das ich bedacht auff dieses mal mit myr zw nemen, wan
grösser gefessz auff seynen wagen zw seczen gewesszt wer, damit E. W. die
unkosten nicht vorgebens gethan hette mit ym. Nachdem auch E. W. gewillt, das
ich yn alhie und auff dem wege, so ich mit ym gezogen, vorzehrete, so habe ich
vor yn in der herbergk geben vier fl. VI gr. unnd IIII pf. unnd zur zehrung
auff dem wege sechs tahler. Unnd bitte E. W. wollen mith angezeygter
verhinderung halben entschuldiget nenten, das ich auff dieses mal mit ym nicht
zw E. W. kommen bin. So ferne mich gottes gewaldt nicht verhindern wirdt, so
will ich auff den vierden odder drietten tag vor pfingsten zw eynes erbarn
Radts geschigkten gen [S. 331] Stetin mich verfügen mit meynem
gesindleyn.
Unnd sintemal
E. W. begeren, das ich mich alda von meynem armen heuffleyn scheyde, so bitte
ich eyn erbar Radt, wöll umbeschweret seyn, yemandes mit yren geschigkten dahyn
abzwferttigen, der meyn weyb unnd kinderleyn follents bisz gen Danczig beleyte,
auff das sie one mich nicht gancz elendiglich in umbekantten landen unvorwusszt
der weg und gelegenheyt der herbergen ziehen müsszen. Das verdiene ich umb E.
W. über meyne pflicht, damit ich eynem erbarn Radte zwgethan nach allem meynem
vormügen willig unnd fleyssiglich. Hiemit befehle ich E. W. dem schucze des
almechtigen. Gegeben zw Wittenbergk am ostertage im xl. iahr.
E. E. H.
Diener
Conradus Lagus.
Nunmehr wurde es mit dem Abzug von Wittenberg Ernst. Wie es in dem mitgetheilten Schreiben angekündigt war, geschah es. Nachdem Lagus zum Doctor beider Rechte promovirt wart331.1, verliess er mit den Seinigen um Pfingsten Wittenberg. In Stettin trennte er sich von seiner Familie. Diese zog ostwärts gen Danzig, er schlug auf Befehl seiner neuen Herren den Weg nach Lübeck ein. Damals suchten die Danziger Ersatz des Schadens, den sie durch die Lübecker zur See erlitten hatten. Eine Danziger Gesandtschaft war zu diesem Behufe im Monat Mai des Jahres 1540 bei der "hansaverwandten Zusammenkunft" zu Lübeck erschienen. Lagus wurde den Danziger "Sendboten" beigeordnet. Die Verhandlungen zogen sich durch beider Parteien Rede und Widerrede bis Anfangs Juli hin.331.2 Zwei [S. 332] Briefe des Lagus aus Lübeck an den Rath in Danzig vom 23. Juni und 3. Juli 1540 befinden sich noch im Danziger Archiv.332.1 Um jene Zeit war die Danzig-Lübecker Sache spruchreif. Allein die Versammlung der Hansaverwandten schritt nicht sofort zur Fällung des Urtheils, sondern fand es für gut, die von Bremen, Rostock, Lüneburg und Stettin zu Schiedsrichtern zu ernennen. Vor diesen sollte ein schriftliches Verfahren bis zur Quadruplik stattfinden und dann ein unbedingt bindender Spruch erfolgen. Diess Resultat entsprach den Wünschen der Danziger Abgesandten nicht, und sie zogen es vor, mit den Lübeckern einen Vergleich zu schliessen, kraft dessen die Letzteren eine Entschädigungssumme von 8000 Mark Lübisch innerhalb zehn Jahren (jedes Jahr 800 Mark) zu zahlen hatten.332.2
Nunmehr folgte Lagus den Seinigen nach der nordischen Stadt, welche dort, wo unabsehbare, mit blinkenden Wohnungsstätten besäete Ebene zum grünbewaldeten Hügelland emporsteigt, wo das rege Leben des mächtigen Stromes zum Ausgang in den dunkelfarbigen Hintergrund des ewigen Meeres eilt, im Schmuck erhabener Kunst sich erhebt, durch den Ernst und die Zierlichkeit ihrer Bauten nicht minder als durch die Anmuth der Umgebung, wie vor Alters, so noch heute, den Sinn des Beschauers fesselnd, dessen Erinnerung bei ihr zu weilen stets von Neuem geneigt ist. Lagus wurde ehrenvoll ("magna gratulatione totius civitatis propter salutem publicam") empfangen.332.3 Bald wusste er sich grosses Ansehen und allgemeine Gunst zu erwerben. "Man suchte sein Haus, wie ein Orakel, wenn er daheim war", sagt einer seiner Biographen332.4, "er war so beliebt, dass man ihn für einen Mann vom Himmel gesendet [S. 333] ansah", der andere.333.1 Hervorgehoben wird seine intime Freundschaft mit dem Danziger Rathspräsidenten Ritter Johann von Werden.333.2 Darauf gründet sich die Vermuthung, dass Lagus nicht ohne Antheil gewesen sei an Fortpflanzung der evangelischen Wahrheit in Danzig.333.3
Die amtliche Stellung des Lagus als Syndicus brachte es mit sich, dass er, um wichtigen Verhandlungen Namens der Stadt beizuwohnen, vielfach verreisen musste. So finden wir ihn im November 1541 zu Marienburg.333.4 Von da begab er sich nebst einem Rathmann nach Königsberg, um nach gehabter Audienz bei Herzog Albrecht in Preussen und gepflogener Unterhandlung mit dem Rath der Stadt, die Reise nach Wilna fortzusetzen.333.5 Dort langte man am 7. Januar 1542 an, suchte beim polnischen Hof durchzusetzen, dass die littauischen Zölle wieder auf den alten Fuss gebracht würden, aber vergeblich, und kehrte dann nach Danzig zurück.333.6
Auf dem Landtage zu Marienburg wurde 1542 eine Revision des Culmschen Rechtes in Anregung gebracht. Eine Commission, bestehend aus dem Canzler des Bischofs zu Culm, dem Woywoden von Marienburg, "der in alten Landesgebräuchen grosse Erfahrenheit hatte", und Conrad Lagus, sollte in Marienburg Montags nach Johannis (26. Juni) zusammentreten, um die Arbeit in Angriff zu nehmen. Allein der Woywode wurde krank, und so lud der Bischof von [S. 334] Culm, welcher die Leitung des Revisionswerkes übernommen hatte, die Danziger ein, auf Jacobi e. a. ihren Syndicus nach Löbau zu senden. Der Danziger Rath aber entschuldigte sich, da er D. Lagus nicht entbehren könne : es sei dessen Verschickung in hanseatischen Angelegenheiten nothwendig.334.1
Es wird vermuthet, dass eine Sendung des Lagus an den dänischen Hof gemeint sei, wegen des von Dänemark gesperrten Seehandels nach den österreichischen Niederlanden.334.2
Im Februar 1543 finden wir Lagus in Krakau. Er wünschte damals, dass man ihm eine Reise nach Deutschland verstatten möge. Der Danziger Rath stellte unter dem 17. Februar 1543 die Gewährung dieser Bitte unter gewissen Eventualitäten in Aussicht.334.3 Ob es zu dieser Reise kam, weiss ich nicht zu sagen. Vielleicht hing der Plan, sie zu unternehmen, zusammen mit den Verhandlungen über die Stellung Danzigs zum deutschen Reich. Letzteres hatte die Stadt schon mehrfach zu Reichstagen und zum obersächsischen Kreistag eingeladen, während dieselbe, als zur Krone Polen gehörig, sich weigerte, zu erscheinen.334.4
Im December des Jahres 1544 rief Lagus seine Amtspflicht wieder an den polnischen Hof, der damals in Krakau residirte. Eine Danziger Rechtssache ("die Putziger Sache") schwebte dort in der Appellationsinstanz. Zur Rechtfertigung der Appellation wurde Termin auf den 23. Februar 1545 anberaumt. Zu demselben erschienen ausser Lagus noch ein Danziger Bürgermeister und ein Rathmann. Am 9. März hatten die Gesandten Audienz beim Könige. Der Process aber zog sich in die Länge und Lagus hatte um so weniger Aussicht, bald zu den Seinigen zurückzukehren, als unter dem [S. 335] 27. März die Stadt von dem Reichs-Instigator des Verbrechens der beleidigten Majestät angeklagt wurde. Von dieser Beschuldigung erlangten die Abgesandten Absolution. Allein in der Putziger Sache fiel die Entscheidung nicht zu ihren Gunsten aus. Das Erkenntniss wurde am Sonnabend vor dem 3. Mai (Fest des heil. Kreuzes) gefällt.335.1 Briefe des Lagus über diese Angelegenheiten vom 3. und 6. März, so wie vom 2. Mai 1545 befinden sich noch im Danziger Archiv.335.2
Lagus kehrte in die Heimath zurück. Doch schon im folgenden Winter musste er wieder die beschwerliche Reise nach Krakau antreten. Unter dem 17. März 1546 schrieb er von dort an den Danziger Rath.335.3
Während Lagus ein vielbewegtes und aufreibendes Geschäftsleben im Dienste seiner Stadt führte, konnte er kaum daran denken, das wissenschaftliche Unternehmen fort und zu Ende zu führen, dessen wir oben gedachten. Aber es wurde von anderen, wenn auch unberechtigten Händen dafür gesorgt, dass seine Methodus der Nachwelt nicht verloren gehe. Sie war bei den Studirenden in grosse Gunst gekommen und wurde abschriftlich nicht bloss in Wittenberg, sondern durch ganz Deutschland in vielen Exemplaren verbreitet.335.4
Man schrieb das Jahr 1539, als eines Tages bei dem Buchdrucker und Verleger Christian Egenolf in Frankfurt am Main ein junger Mann eintrat, welcher sich für einen ehemaligen Wittenberger Studenten ausgab. Er legte Egenolf ein starkes juristisches Manuscript vor und bot es demselben zum Kaufe an. Egenolf trug Bedenken, auf den Handel [S. 336] einzugehen, weil ihm das Buch unbekannt war und für die Publication zu umfangreich erschien.
Als aber der Verkäufer ihm mittheilte, es seien Concurrenten für den Kauf vorhanden, zögerte Egenolf nicht länger, den mässigen Kaufpreis zu zahlen und sich in Besitz des Manuscripts zu setzen. Dasselbe enthielt eine fehlerhafte Abschrift der Dictate, welche Conrad Lagus seinen Zuhörern als Methodus iuris civilis gegeben hatte.
Egenolf legte das Buch vorläufig bei Seite. Als aber Schreiben einliefen von "Solchen, die um den Handel wussten", mit der Mahnung, Egenolf möge dem allgemeinen Bedürfniss zu Hülfe kommen und jenes Werk, welches einen kostbaren Schatz enthalte, den Rechtscandidaten nicht länger vorenthalten, befragte sich derselbe bei Gelehrten und erfahrenen Geschäftsmännern, ob das Manuscript der Herausgabe würdig sei. Die Antwort fiel bejahend aus, besonders deshalb, weil in dieser Wissenschaft Niemand vorher ein System (eine Methodus) geschrieben habe.
Diess die eigene Erzählung Egenolfs.336.1 Wir werden kaum irren mit der Annahme, dass unter den "Gelehrten und erfahrenen Geschäftsmännern", welche Egenolf um ihr Gutachten anging, Justinus Gobler sich befand, ja, dass vielleicht auf seine alleinige Person der von Egenolf gebrauchte Plural zu reduciren sei. Gobler unterstützte die vielfach mit geraubtem Material arbeitende Bücherfabrik Egenolfs durch seinen literarischen Beistand: er schweisste fremde Arbeiten zu voluminösen Compilationen zusammen, oder lieferte auch, je nach Umständen, ohne weitere Zuthaten fremde Bücher unter die Presse.
Egenolf nahm nunmehr den Druck der Methodus in Angriff. Doch scheinen ihm nachträgliche Bedenken über seine Berechtigung gekommen zu sein. Im Frühjahr 1543 [S. 337] schrieb er wiederholt an Lagus, um dessen Erlaubniss zur Publication zu erlangen.337.1 Lagus antwortete in einem längeren Schreiben und versagte unter Ausführung der Gründe seine Einwilligung. Er mahnte Egenolf, von Veröffentlichung des Buches wider seinen, des Verfassers, Willen abzustehen. Auch will er — was jedoch Egenolf leugnet — gedroht haben, falls die Mahnung unbeachtet bliebe, mit einer Diebstahlsanklage gegen den Drucker vorzugehen.337.2
Als dieser Brief in Frankfurt ankam, war "die Sache schon so weit vorgeschritten, dass Egenolf ohne grossen Vermögensverlust das Unternehmen nicht wieder aufgeben konnte"337.3, d. h. wohl: der Druck war schon vollendet oder seiner Vollendung nahe.
So erschien denn im Jahre 1543 bei Christian Egenolf zu Frankfurt a. M. ein stattlicher Folioband unter dem Titel : "Iuris utriusque traditio methodica". Die Ueberschrift des auf dem 5. Blatt des Buches beginnenden eigentlichen Werkes heisst: "Iuris civilis traditio methodica, per clarissimum Iure consultum Dn. Conradum Lagum, Ordinarium Vitebergensem publice praelecta." Egenolf stand also bei Beginn des Druckes in dem Wahne, Lagus habe als ordentlicher Rechtslehrer (ordinarius) die Methodus in Wittenberg öffentlich vorgetragen. Als der Titel des Buches gesetzt wurde, was damals schon, wie auch heut zu Tage, erst bei Beendigung des Druckes zu geschehen pflegte, war er davon unterrichtet, dass Lagus weder das Amt eines Ordinarius in Wittenberg bekleidet, noch die Methodus öffentlich vorgetragen hatte, denn es heisst daselbst: "Ex ore doctissimi Conradi Lagi Iureconsulti annotata" etc. Jedenfalls also hat Egenolf während [S. 338] des Druckes diese Kenntniss erhalten, und vielleicht war es gerade das Bedenken, ob er eine Privatvorlesung zu veröffentlichen befugt sei, welches ihn veranlasste, die schon erwähnte Anfrage an Lagus zu richten.
In seinem Vorwort "an den Candidaten des Rechtsstudiums" führt Egenolf aus, er habe gewünscht, die Herausgabe des Werkes bis auf gelegenere Zeit zu verschieben, bis er selbst mehr Muse hätte gewinnen können und zugleich die Revision des Autors dem Buche zu statten gekommen wäre. Allein dieser Plan sei mehr durch Zufall als durch seine (Egenolf's) Schuld vereitelt worden. Denn die so nothwendige Revision des Conrad Lagus sei nicht zu erlangen gewesen wegen grosser Occupation des Mannes in Staats- und advocatorischen Geschäften. Der Herausgeber würde daher die Publication lieber unterlassen haben, wenn nicht das Bitten und Drängen der jungen Rechtsbeflissenen zu heftig gewesen wäre. "Daher will ich", fährt Egenolf fort, "vor allen Dingen Zeugniss ablegen, nicht nur, dass Conrad Lagus diese Publication keineswegs veranlasst, sondern dass er nicht einmal etwas davon gewusst hat. Denn wenn er geneigt gewesen wäre, seine bessernde Hand anzulegen, so würde zweifelsohne das Buch weit correcter und in allen Beziehungen vollkommener in die Oeffentlichkeit gelangt sein. Darauf habe ich mit Nachdruck aufmerksam machen wollen, damit der Leser, wenn ihm Dunkelheiten oder sonstige Unvollkommenheiten aufstossen, diess nicht etwa dem Lagus als Nachlässigkeit anrechnet, sondern vielmehr der Fehlerhaftigkeit der Abschrift, welche mir in die Hände kam, zuschreibt. Herr Conrad Lagus wird über die Veröffentlichung des Buches in dieser Gestalt nicht ungehalten sein dürfen, denn dieselbe geschah nicht, um jemand Unrecht zu thun, sondern sicherlich nur zur Bequemlichkeit der Studirenden und zum Vortheil der Wissenschaft."[S. 339]
Egenolf's böses Gewissen drückt sich in dieser Vorrede sichtlich aus, noch mehr aber kam seine mala fides im weiteren Verlauf der Angelegenheit zu Tage.
Lagus war nicht gewillt, die ihm widerfahrene Unbill hinzunehmen. Schon im März des folgenden Jahres liess er eine kleine Schrift unter dem Titel: "Protestation des Conrad Lagus wider die unberechtigte Herausgabe seiner Commentare über die Rechtslehre durch Christian Egenolf" erscheinen. Dieselbe ist an den Baseler Drucker Oporinus gerichtet und bei demselben, obwohl sie als Erscheinungsort Danzig bezeichnet, wohl auch gedruckt.
Die Protestatio führt aus :
Zur letzten Frankfurter Messe habe der Buchdrucker Christian Egenolf eine
unvollkommene Compilation von Ausführungen über Rechtsmaterien herausgegeben,
der ein unverschämt anmassender Titel unter Beifügung des Namens des Verfassers
der Protestatio, als ob die Compilation einem Dictat desselben in öffentlicher
zu Wittenberg gehaltener Vorlesung entstamme, vorgesetzt sei. Diess bringe
Lagus grosse Schande bei angesehenen und gelehrten Männern und da die
Speculation offenbar auf den Geldbeutel unvorsichtiger Käufer es absehe, könne
sich Schreiber nicht enthalten, diese Gegenschrift ausgehen zu lassen, um seine
Ehre zu wahren und die Rechtsstudiosen zu warnen, sich nicht in den Schlingen
des unredlichen Speculanten zu fangen. Bloss Gewinn habe der Letztere
beabsichtigt, diess zeige sich schon darin, dass er gar keine Sorgfalt auf die
Herausgabe verwendet: es sei kaum eine Zeile in dem Buch zu finden, die nicht
von Grammatikalien strotze.
Dass die Publication ohne Wissen des Lagus geschehen, vermelde der Herausgeber selbst, er hätte aber auch hinzufügen müssen, dass er dieselbe wider den ausdrücklich erklärten Willen des Verfassers unternommen habe.[S. 340]
Daher könne sich Egenolf nicht beklagen, wenn ihn Lagus des Plagium beachuldige. "Denn da Plagiarius der heisst, welcher einen fremden Menschen demjenigen, in dessen Gewalt sich dieser befindet, entzogen hat: was steht entgegen, dass dieses Verbrechens jener für schuldig erachtet werde, welcher wissend und sehend, dass er gegen meinen Willen und meinem Protest zuwider die Herausgabe meiner Commentarien vornehme, sich nicht abschrecken liess, sein Vorhaben auszuführen: das Vorhaben unter Missachtung meiner Ehre, meines Rufes , meiner Glaubhaftigkeit, wider meinen Willen meine Dictate sehr fehlerhaft zu publiciren."340.1
Um sein Vergehen für Unkundige zu verdecken, erwähne Egenolf unverschämt genug, Lagus habe die Compilation in Wittenberg öffentlich als Ordinarius dictirt, natürlich, damit er dem Vorwurf des Diebstahls eines noch unveröffentlichten Geistesproductes ausweiche. Wahrlich sehr fein, wenn man dolose Verschlagenheit überhaupt loben dürfe, aber unerträglich unverschämt, denn es sei notorisch, dass Lagus nicht einmal ein öffentliches Lehramt, geschweige denn das Ordinariat — die erste Stelle in der Juristenfacultät — bekleidet habe.
Nun folgt die Erzählung von der Entstehung und die Ausführung über den Plan der Methodus, welche wir bereits kennen. Lagus legt Gewicht darauf, dass er seinen Schülern die Veröffentlichung des Dictates verboten. Die Unvollkommenheit derselben entschuldigt er mit seiner Occupation durch die Praxis. Er habe sich durch seinen Versuch [S. 341] vergewissert, dass er etwas Besseres zu Stande bringen könne, wenn ihn ein Mäcen unterstützen und so viel Muse gewähren wollte, dass er Dasjenige, was er gesammelt, fleissig ergänzen und sorgfältig überarbeiten könnte. Ohne eine solche Hülfe aber sei er betreffs der Vollendung des begonnenen Werkes etwas zu versprechen ausser Stande.
Wenn man aber zugeben müsse, dass zur Ausführung eines Planes, wie er dargelegt worden, ruhige Muse und viele Zeit gehöre, so seien alle Fehler der von Egenolf veröffentlichten Compilation der Unverschämtheit des Druckers anzurechnen. Derselbe gestehe selbst, eine fehlerhafte Abschrift angekauft zu haben. Das zeige sich auch in dem Druck. Denn nicht bloss die zahllosen Styl- und grammatischen Fehler seien zu rügen, es sei auch Vieles ausgelassen und manches Fremde beigemischt: die abgedruckte Handschrift sei, wie sich nicht bezweifeln lasse, aus vielen Fragmenten zusammengesudelt. Und das könne nicht anders sein, da es sich um ein nachgeschriebenes Dictat handle. Solche nachgeschriebene Hefte seien immer ungenau und von einander abweichend. Manche Fehler des Druckes aber mögen nicht einmal in dem Manuscript gestanden haben, so kindisch sind sie, sie fallen lediglich dem Drucker zur Last.
Lagus habe anfänglich daran gedacht, Einiges nachzutragen und zu verbessern, da aber die Auslassungen, Zusätze, Sprach- und andere Fehler in zu grosser Menge vorhanden, müsse von jeder Correctur Abstand genommen werden.
Deshalb lasse er das von Egenolf unter seinem Namen Veröffentlichte als αυεκδοτα jetzt uncorrigirt, und was ihm davon nicht angehöre, wolle er als Nichtanerkanntes verworfen haben.
Wer Lagus tadle, dass er so grosse Schwierigkeiten mache, den ersten Druck seines Werkes selbst zu besorgen, der möge bedenken, dass der Autor hierauf schon längst [S. 342] seinen Wunsch gerichtet habe, dass aber derselbe oft gezwungen sei, seine Lieblingspläne hintanzusetzen und der Nothwendigkeit des Augenblicks zu gehorchen.
Sollten unter den Käufern der Compilation sich solche finden, welche über die Hälfte verletzt zu sein glauben, da der Inhalt des Buches dem Titel nicht entspricht, so können sie mit der Wandelklage (actio redhibitoria) wider den Verkäufer klagen. "Denn obwohl es bisher nicht üblich war, die Redhibition von Büchern abseiten der Verkäufer zu erlangen, wenn nach der Tradition sich herausstellte, dass dieselben fehlerhaft seien, so ist doch, da jene Klage gegeben wird, damit der Käufer nicht durch die Arglist des Verkäufers getäuscht werde bezüglich eines verborgenen Fehlers des Viehes und eines nicht offenbaren Mangels der Waare überhaupt, kein Hinderniss, dieselbe auch Bücherkäufern zu gestatten.
Was gegen den zu erkennen sei, welcher wider den ausgesprochenen Willen des Autors bei dessen Lebzeiten ein Buch herausgiebt, untersuche ich jetzt nicht und überlasse die Ahndung des Delicts dem Richter."
Möchten doch, wenn die Zulässigkeit der genannten Klagen bezweifelt werden sollte, die Staatsregierungen bestrebt sein, durch Gesetze die Zügellosigkeit der Drucker zu beschränken, wenigstens die Insolenz der schlechte Ausgaben besorgenden Drucker, z. B. des Egenolf in Frankfurt, welchen dieser Vorwurf besonders treffe.
Schliesslich wendet sich Lagus an den Drucker Oporinus in Basel und schreibt ihm die Protestatio zu. Schon oft habe Oporinus den Verfasser um die Erlaubniss gebeten, die Methodus publiciren zu dürfen, doch habe er stets dessen abschlägliche Antwort respectirt.
So weit unser protestirender Autor.
Egenolf liess im September 1544 eine "Vertheidigung auf die Protestation des Herrn Conrad Lagus etc." erscheinen.[S. 343]
Es wird hier behauptet, Lagus sei weniger aus eigenem Antrieb, als angestachelt von Concurrenten Egenolfs — damit ist Oporinus gemeint — so heftig aufgetreten. Deshalb sei Antwort überflüssig; allein auf den Rath seiner Freunde wolle Egenolf die Injurien des Lagus zurückweisen. "Denn es ist wohl Niemand, der, wenn er meine Absicht beim Druck jener Commentare über die Rechtslehre kennt, mir heftig zürnen, geschweige denn, dass er mich des Plagium oder eines anderen öffentlichen Vergehens mit Recht beschuldigen könnte."
Erzählung von dem Kauf des Manuscripts und Egenolf's anfänglichem Zögern mit der Publication.
Der Beweggrund der letzteren, sei lediglich in dem Bestreben zu suchen, den Rechtsstudirenden nützlich zu werden. Dass Egenolf das Buch als verkäuflich auf den Markt gebracht habe, könne ihm Niemand, der bei Verstand, verargen, da er doch für seine Auslagen und seine Mühe etwas haben dürfe. Hätte er heimlich und arglistig handeln wollen, so würde er nicht erst brieflich den Lagus um die Erlaubniss zur Veröffentlichung angegangen haben, er hätte ja auch die Methodus ohne Nennung seines (des Druckers) Namens herausgeben können..
Die Beschuldigung des Plagium sei haltlos. Dieses Vergehen sei bloss an freien Menschen möglich, nie an Sclaven, und sei nicht abzusehen, wie an dasselbe bei diesem durch ganz Deutschland verbreiteten Buch gedacht werden könne. Lagus habe es auch unterlassen, die Klage, mit der er gedroht, anzustellen.
Der Druck sei für das Buch nur vortheilhaft. Die unzähligen Abschriften, die gefertigt würden, seien von Tag zu Tag fehlerhafter geworden, die gedruckte Ausgabe aber könne von Fehlern ailmählig gesäubert werden. An Arbeit habe es Egenolf bei der Herausgabe nicht fehlen lassen : die Correctur mangle nirgends, es sei unbillig, wenn Lagus [S. 344] sage, dass kaum einige Zeilen von grammatikalischen Fehlern frei sein.
Hätte Lagus sein Buch im Schreibtisch behalten und die Abschrift nicht gestattet, so würde die Sache ganz anders liegen. Da er diess aber nicht that, vielmehr das Werk überall in den Bibliotheken der Studiosen anzutreffen ist, that der Drucker nichts Unziemliches, als er es herausgab. Der Name des Lagus ist auf den Titel gesetzt nicht aus Speculation, sondern um dem Autor den Ruhm seiner Arbeit nicht zu entziehen.
Es sei zu verwundern, dass Lagus sich entschlossen habe, ein Pasquill, angefüllt mit Drohungen, Schmähungen etc., gegen Egenolf zu veröffentlichen, da ihm doch der viel ehrenvollere Weg der Klage offen gestanden habe. Wenn er diesen nicht habe einschlagen wollen, hätte er wenigstens Beleidigungen vermeiden sollen. Egenolf lebe in seiner Stadt länger denn 13 Jahre in grossem Ansehen, jedermann sei überzeugt, dass die Protestation des Lagus unbegründet und durch den Neid Uebelwollender angeregt sei.
Was die Wandelklage anlange, so sei dieselbe schon deshalb unzulässig, weil in der Vorrede ausdrücklich bemerkt werde, der Druck sei nach einer fehlerhaften Abschrift besorgt und Conrad Lagus sei keineswegs der Urheber, ja nicht einmal der Mitwisser der Publication.
Den Titel Ordinarius habe Egenolf dem Lagus beigelegt, weil er ihn mit vielen Anderen dafür gehalten, nicht aus einem anderen Grunde.
Es sei nicht der Mühe werth, von diesem Druck eines handschriftlich sehr verbreiteten und vom Verfasser denen, welchen er es dictirte, verkauften Buches so viel Aufhebens zu machen. Vor etwa 30 Jahren seien viele Schriften des Erasmus und Ph. Melanthon, selbst Privatschreiben derselben an Freunde, veröffentlicht worden, ohne dass der Zustimmung der Verfasser gedacht wäre. [S. 345]
Manche Commentare des Zasius zu verschiedenen Titeln der Rechtsbücher seien erst nach dessen Tod gedruckt, obwohl der Autor sie gewiss nicht zur Publication bestimmt und mit geringerer Sorgfalt ausgearbeitet hatte.345.1 Doch das habe dem Ruhme des Zasius, besonders in Italien, keinen Eintrag gethan. Wer es nicht glaubt, höre die Erzählungen der aus Italien oder Frankreich zurückkehrenden Studenten. Wäre es wohl wünschenswerth, dass die Vorlesungen des Zasius ungedruckt geblieben? handelte es sich bloss um die wissenschaftliche Ehre des Mannes, dann gewiss, da aber hier die Rücksicht auf den Nutzen der Fachgenossen massgebend ist, bleibt es dankenswerth, dass jene Ausgaben veranstaltet wurden.
Vor einigen Jahren ist ein Werk des Andreas Alciat unter dessen Namen sogar wider seinen offenbarten Willen herausgegeben worden, ohne dass der Drucker mit einem Wort den Leser von diesem Umstand benachrichtigte. Hierüber schrieb Alciat an den Bischof von Bologna: "Vor Kurzem hat irgend ein Verleger mein Buch über den Titel: "Si certum petatur" aufgekauft und veröffentlicht. Ich würde mich darüber nicht sehr grämen, wenn nur etwas mehr Fleiss angewendet, so dass die Ausgabe correcter und unverstümmelt in die Hände der Käufer gelangt wäre. Aber es fehlen im Druck nicht bloss einige Zeilen, sondern an einer Stelle ganze Blätter."
"Das ist nun doch", fährt Egenolf fort, "etwas ganz anderes, als was ich gethan habe. Gegen den, welcher im bösen Glauben eine fremde Sache öffentlich feil hält, als wenn der Eigenthümer das erlaubt hätte, möchte die Wandelklage [S. 346] eher zulässig sein. Dass aber ich Niemanden übervortheilt habe, geht schon daraus hervor, dass ich von allen Seiten um Erneuerung der Auflage angegangen werde, was gewiss nicht geschehen würde, fände das Buch keinen Absatz. Doch ich werde mich hüten eine neue Ausgabe zu besorgen. Wenn auch mein Gegner sagt, ich sei aus Gewinnsucht zu allem fähig, so wird er doch in meinem Verlag nicht ein Buch nachweisen können, welches einen falschen Titel trägt, oder den Ort der Herausgabe aus Hinterlist falsch angiebt. Aber bei jener Protestation ist es erlogen, dass sie zu Danzig gedruckt sei. Wer ist der Drucker, welchem Lagus das Pasquill zur Veröffentlichung gab? Wer glaubt es, dass Papier aus Lerch, einem Dorf in Baden ("bapyrus formata Lerchij Marchionis Badensis vico"), welches kaum eine deutsche Meile von Basel entfernt liegt, bis nach Danzig transportirt sei? Als ob es da an Papierfabriken fehlte und man nöthig habe, um ein Heft für drei Pfennige (librum triobolarem) zu drucken, das Papier über hundert deutsche Meilen weit herzuholen. Das Papierzeichen beweist deutlich, dass der Druckort der Protestatio erlogen ist. Was hat sich der Drucker gedacht, als er diese Schrift wider mich druckte? Hielt er mich für so bornirt, dass ich den Rauch nicht durchschauen würde? Stellt man mein Benehmen und das jenes bescheidenen Druckers, welcher ein Werk, das mich zu infamiren bestimmt war, nicht bloss mit Verheimlichung seines Namens, sondern auch unter falscher Ortsangabe druckte, gegenüber, so neigt sich die Wagschale sehr zu meinen Gunsten. Wer eine Schrift von dem Charakter der Protestatio druckte, der musste eigentlich rein von allem Makel dastehen. Denn obwohl er die Protestatio nicht schrieb, so hat er es doch an Hetzen nicht fehlen lassen und die Unterstützung seiner Arbeit geboten. Er ist also gleicher Theilnehmer der That des Lagus, aber hassenswerther, da ihn [S. 347] die Sache gar nichts anging und er bloss aus Neid oder Gehässigkeit handelnd seine Ehre aufs Spiel setzte.
Lagus aber möge seine Hörner nicht bloss gegen mich erheben, sondern auch seinen Drucker an dessen Pflicht erinnern; dieser hat durch Angabe des falschen Drnckortes gelogen und verdient daher Schandtitel aller Art. Ich habe lediglich aus Irrthum — wie ich dazu kam, ist bereits erzählt — zum Namen des Lagus den Titel ordinarius gesetzt. Und ärgert dieser Titel den Lagus gar zu sehr, so möge er ihn ausstreichen, oder die Methodus ganz verleugnen ; das soll mir gleich bleiben. Die Studenten freuen sich über das Buch und fragen nichts nach dem Verfasser. Dass ich ihnen durch den Druck der Methodus diese Freude bereitete, ist mir eine grosse Genugthuung, so dass ich darüber keinem Menschen Rechenschaft geben werde, es müsste denn sein, dass der Weg Rechtens beschritten würde. Und das Geschäft, wider mich zu klagen, wird Lagus keinem Hitzigeren übertragen können, als Oporinus, welchem es ihm beliebte, die gedruckte Protestatio zu übersenden. Denn Oporinus hat sich um die Verbreitung der Schrift sehr verdient gemacht, indem er sie jedem, der mit ihm in Berührung kam, überreichte. Daher hätte Lagus gewiss gut gethan, die Protestatio dem Oporinus zum Druck zu übersenden. Dieser würde sicherlich grosse Mühe darauf verwendet haben. Manche wollen behaupten, Oporinus habe in der That die Protestatio gedruckt. Allein das glaube ich nicht, denn Oporinus ist ja ein Biedermann. Sollte es aber so sich verhalten, so will ich nicht unterlassen, Oporinus zu seiner ausgezeichneten Ehrbarkeit zu gratuliren, denn dann hat gewiss er allein unter allen Druckern niemals etwas begangen, was Tadel verdiente, sicherlich hat er nie ein Buch ohne Zustimmung des Autors gedruckt, sondern offen, bieder, anständig, wie es einem braven Manne zukommt, hat er Alles angefangen ; wenn dem so ist, beim [S. 348] Zeus! dann wird er mit Recht bis in den Himmel erhoben und durch die Schriften der Gelehrten mit ewigem Ruhme verherrlicht."348.1
Dass diese dumme und unverschämt freche Vertheidigung, deren Concipient wohl ein Schmierer wie Justinus Gobler war, mehr gegen den Rivalen Oporinus als gegen Lagus gerichtet ist, braucht kaum bemerkt zu werden. Oporinus beneidete Egenolf um das gute Geschäft und dieser wirft jenem Uncollegialität, so wie Gewerbsbeeinträchtigung vor. Der arme Autor diente im Streite der erbitterten Drucker nur als Werkzeug. Der Protestatio des Lagus ungeachtet wurde später das Werk seines Schweisses noch oftmals von gewinnsüchtigen Druckern, ja auch von Oporinus in verderbter Gestalt ins Publicum geschleudert. Der Verfasser hatte den Aerger, wurde von den Kathederbesitzern todt geschwiegen und, als sein Buch ausser Cours kam, ganz vergessen, doch die Buchdrucker mästeten sich bis ins 17. Jahrhundert hinein mit seinem Werk.
Conrad Lagus überlebte die widerrechtliche Veröffentlichung seiner Methodus nicht lange. Auf der obgedachten Reise nach Krakau wurde sein Wagen umgeworfen und er erhielt dabei einen Stoss auf die Brust. Seitdem litt er an einer gefährlichen Affection der Lunge. Trotz der Hülfe der Aerzte wuchs das Uebel, heftige Blutauswürfe schwächten seine Kraft, am 7. November 1546 gab er unter Anrufung von Christi Barmherzigkeit den Geist auf.348.2[S. 349]
Sein Schüler Johann Hoppe, der, durch Christoph Jonas empfohlen, seit 1542 an der neuerrichteten Gelehrtenschule zu Königsberg i. Pr. wirkte349.1, hielt ihm bald nach seinem Hintritt eine Gedächtnissrede. In derselben wird der Wunsch ausgesprochen, es möge sich jemand finden, welcher die Methodus des Lagus aus den in der Nachlassenschaft des Verfassers sich vorfindenden Materialien bearbeite und vollende. Ein späterer Danziger Biograph des Lagus aber349.2 versichert, ein hinterlassenes Manuscript der Methodus sei nicht aufzufinden. Auch auf meine Nachfrage ist eine ähnliche Antwort erfolgt. Doch führen vielleicht erneute Nachforschungen zu einem günstigeren Resultat.
Die Egenolf'sche Ausgabe der Methodus wurde bis ins 17. Jahrhundert hinein oftmals abgedruckt. Das Werk diente als Lehr- und Lernbuch, bis es durch neuere Compendien verdrängt wurde. Mir sind neun Drucke desselben bekannt. Auch der Wunsch des Lagus, dass eine castigirte Ausgabe seines Werkes veranstaltet werde, ging später in Erfüllung, doch schwerlich im Sinne des Verfassers. Wegen der in demselben enthaltenen Polemik gegen manche Einrichtungen der römischen Kirche kam das Buch auf den Index ; da es aber bei den Studirenden für unentbehrlich galt, veranstaltete man mehrere katholisch-kastrirte Ausgaben, die sich freilich auch rühmen — ob mit Grund? das möchte fraglich sein — die übrigen Fehler beseitigt zu haben.
Das Compendium iuris Saxonici gelangte, wie bereits erwähnt, erst lange nach dem Tode des Lagus unter die Presse. Mir sind drei Ausgaben desselben vorgekommen, doch scheinen die Exemplare des Buches äusserst selten geworden zu sein.
Obwohl später der Name des Lagus verscholl und seine Bücher vom Staub der Bibliotheken überdeckt wurden, lässt [S. 350] sich doch nicht behaupten, dass sein geistiges Schaffen ohne nachhaltige Wirkung geblieben sei. Freilich wird sich schwer ermitteln lassen, wie viel davon und was in unser heutiges Lehrgebäude des Civilrechts übergegangen ist. Allein dass ein Buch, welches fast ein Jahrhundert lang als Lernbuch gebraucht wurde, nicht ohne Einfluss bleiben konnte auf die Gestaltung der Wissenschaft, versteht sich von selbst. Ueberdem haben sich an Lagus' Arbeit nachweisbar weitere wissenschaftliche Bemühungen angeschlossen. Es ist in Literargeschichten viel die Rede von dem Einfluss, welchen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Philosophie des Petrus Ramus auf die Behandlung der Rechtswissenschaft geübt habe. Namentlich sind es die Schriften des Joh. Thomas Freigius350.1, in welchen sich die Ramistische Philosophie unverkennbar spiegeln soll. Diess mag im Allgemeinen nicht unrichtig sein. Aber bezüglich eines Hauptwerkes des Freigius, welches wiederholt gedruckt wurde und entschieden Einfluss auf die Systematik des Civilrechts geübt hat, bleibt es zweifellos, dass es nicht sowohl auf Ramistische Principien, als auf die Methodus des Conrad Lagus zurückzuführen ist. Ich meine die Partitiones iuris utriusque des Freigius.
Die erste Ausgabe dieses Werkes erschien Basil. 1571 Fol. Trotz des auf die
Justinianischen Rechtsbücher als Hauptquelle hinweisenden Titels finden wir in
demselben kaum etwas Anderes als einen schematisirten Auszug aus Lagus.
Freigius erkennt diess auch an, denn auf der Hinterseite von Bl. III findet
sich die Ueberschrift :
"Elenchus partitionum iuris Ex Conradi La. Methodo."
[S. 351]
In einer späteren Ausgabe der Partitiones (Basil. 1581 Fol.) ist sogar der
Titel des Werkes berichtigt und heisst nunmehr derselbe :
"Ioannis Thomae Freigii partitiones iuris ex Conradi Lagi methodo expressae"
etc.
Spätere haben Lagus wohl benutzt, aber den Namen desselben kaum genannt. Nur bei Hermann Vultejus, dessen Iurisprudentiae Romanae a Justiniano compositae libri duo (zuerst 1590) [Titelaufnahme UB Heidelberg] immer noch gangbar sind, steht im προλεγομευου de studio iuris zu lesen, es sei das Compendium des Lagus keineswegs zu verwerfen, wenn auch die studirende Jugend vorzugsweise auf das Studium der Quellen und der an diese enger sich anschliessenden Schriften hingewiesen werden müsse.
Unter den juristischen Literarhistorikern berichtet nur C. F. Hommel351.1 etwas ausführlicher über die Methodus. Doch scheint er die Arbeit des Lagus nicht allzu hoch anzuschlagen. Derselbe habe, meint er, nichts Anderes gethan, als das natürliche, bürgerliche und canonische Recht in ein System zusammengezogen.