Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde einer Hohen Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München
Referent: Professor Dr. Gagnér
Korreferent:Universitätsdozent Dr. Müller-Volbehr
Tag der mündlichen Prüfung: 27. Juli 1977
a.A. | am Anfang |
ADB | Allgemeine Deutsche Biographie |
a.E. | am Ende |
App. | Appellation |
ErdRef | Erdinger Reformation |
Ges. | Gesatz oder Gesetz |
GO | Gerichtsordnung |
HofG | Hofgericht |
HStA | Hauptstaatsarchiv München |
LG | Landgericht |
LGeb | Landgebot |
LH | Landtagshandlungen (s. Krenner) |
LO | Landesordnung |
LRRef | Landrechtsreformation |
LTg | Landtag (s. Krenner) |
MB | Monumenta Boica |
NDB | Neue Deutsche Biographie |
ObbArch | Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte |
OLR | Oberbayerisches Landrecht |
RA | Reichsabschied |
RB | Rechtsbuch |
RKG | Reichskammergericht |
RKGO | Reichskammergerichtsordnung |
RKP | Reichskammerprozesse (s. Lieberich) |
RNotO | Reichsnotarordnung |
RS | Rückseite |
StaBi | Staatsbibliothek München |
StG | Stadtgericht |
StRB | Stadtrechtsbuch |
StRRef | Stadtrechtsreformation |
VHVN | Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern |
VS | Vorderseite |
ZBLG | Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte |
ZRG GA | Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanische Abteilung |
Die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, auf die üblicherweise der Beginn derNeuzeit datiert wird, zeigt die Länder nördlich der Alpen in einer Umbruchsituation, die eine die folgenden Jahrhunderte prägende Entwicklung einleitete. Mehr und mehr setzte sich hier der Einfluß des Südens durch, sei es auf dem Gebiete der Literatur und der bildenden Kunst, sei es im Staatswesen, wo in zunehmendem Maße Männer Einfluß gewannen, die in Italien studiert hatten1.1 und dort mit der Wiedergeburt antiken Gedankengutes, aber auch mit — gegenüber der weitgehend christlich-ständestaatlichen Prägung im Norden — revolutionierenden Ideen, wie sie am deutlichsten bei Niccolo Machiavelli (1469 - 1527) ihren Niederschlag fanden, Bekanntschaft gemacht haben. Humanismus, Reformation und katholische Reform entsprangen diesem Umbruch, aus dem schließlich eine Synthese aus Altem und Neuem hervorging.
Auf machtpolitischer Ebene ging — sicher nicht unbeeinflußt von der geistigen Wegbereitung in obigem Sinne — fast überall ein Kampf um Landesteilung und Landeseinheit einher. Während die kurfürstlichen Häuser Sachsen, Pfalz und Brandenburg geteilt wurden, gelangte Bayern zu Einheit und damit zu einiger Stärke1.2
. Zu Beginn des 16. Jh. war Bayern in die Teilherzogtümer München und Landshut geteilt. In München regierte Albrecht IV., in Landshut Georg der Reiche.1503 starb Georg der Reiche ohne einen Sohn zu hinterlassen. Es entbrannte der sog. Landshuter Erbfolgekrieg zwischen Albrecht IV. und Ruprecht, einem Sohn des Pfalzgrafen Philipp, der die Tochter Georgs des Reichen geheiratet hatte. Die Auseinandersetzung wurde mit dem königlichen Schiedsspruch zu Köln 1505 und auf weiteren Rechtstagen (1506 bis 1509) zugunsten Albrechts beendet.
Von dem vereinigten Herzogtum wurden lediglich Pfalz-Neuburg als neues Fürstentum und einige Tiroler Gebiete abgetrennt. Albrecht IV. errichtete in dem Bemühen, die so gewonnene Landeseinheit zu bewahren, am 8. 7. 1506 mit Zustimmung der Stände die Primogeniturordnung, die das Recht der Erstgeburt in männlicher Linie hinsichtlich der Herzogswürde festlegte.
Albrecht IV. starb 1508. Sein ältester Sohn Wilhelm war zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt. Bis zu dessen Volljährigkeit (1511) regierte ein aus [Seite: S. 12] Herzog Wolfgang, dem Bruder Albrechts IV., und Vertretern der Stände bestehendes Vormundschaftsgremium.
1514 erzwangen die Stände die Mitregierung des Bruders Wilhelms, Herzog Ludwigs, was zunächst zu einer erneuten Verwaltungstrennung führte, die jedoch schon 1516 wieder aufgehoben wurde. Von diesem Zeitpunkt an regierten die Herzöge Wilhelm und Ludwig mit gemeinsamer Hofhaltung das endgültig vereinigte Bayern.
Ähnlich wie in Bayern, nur in größerem Ausmaß und mit später bedeutenderen Folgen, vollzog sich seit dem Anfang des 16. Jh. der Aufstieg der habsburgischen Macht unter Maximilian I. , der in besonderer Beziehung zu Bayern stand: Maximilians Schwester Kunigunde hatte Herzog Albrecht IV. geheiratet, nach dessen Tode der Kaiser seine bayerischen Neffen Wilhelm, Ludwig und Ernst durch entsprechende Heiraten zu Schachfiguren seiner internationalen Politik machen wollte, was jedoch scheiterte.
Die Vereinheitlichungsbestrebungen in den Territorien waren möglicherweise eine wichtige Ursache für die Schaffung neuer oder erneuerter Landrechte, die allenorten zu beobachten ist1.3. Vorausgegangen waren die Stadtrechte, deren Ursachen eher in den wirtschaftlichen Bedürfnissen der aufblühenden Städte, wohl auch in den starken Handelsbeziehungen zu Oberitalien zu sehen sind1.4. Eines der bedeutendsten Ergebnisse der Reformperiode im Reich war die Schaffung des Reichskammergerichts1.5, das im Gegensatz zu dem ihm vorangehenden königlichen Kammergericht1.6 als ständiger Spruchkörper der Reichsjustiz gedacht war. Die Reichskammergerichtsordnung von 1495 ist gerade wegen ihrer appellationsrechtlichen Regelungen von grundlegender Bedeutung, weshalb später auf sie noch näher eingegangen wird.
Wendet man sich dem Herzogtum Bayern näher zu, so ist im zweiten Jahrzehnt [Seite: S. 13] des 16. Jh. eine auffällige Häufung von Gesetzespublikationen festzustellen1.7. 1514 waren eine Landesfreiheitserklärung1.8, 1516 eine weitere Landesfreiheitserklärung und eine Landesordnung1.9, und 1518 die Reformation des oberbayerischen Landrechts verkündet worden. Die Gerichtsordnung von 1520 stellt zeitlich den Abschluß dieser Kodifikationsphase dar. Mit ihr liegt erstmals eine für ganz Bayern geltende, umfassende Regelung des Zivilprozesses vor1.10.
Die Vorrede zu der Gerichtsordnung1.11 gibt bereits einige Aufschlüsse über das Zustandekommen des Gesetzes, über einige der verwendeten Quellen und das Verhältnis zur Landrechtsreformation von 1518, die ebenfalls verfahrensrechtliche Vorschriften enthält.
Einleitend benennen sich die regierenden Herzöge als Gesetzgeber und weisen auf das alle Untertanen erfassende Unterordnungsverhältnis gegenüber dem Gesetz hin: "Von gottes genaden Wir Wilhelm unnd wir Ludwig gebrueder Pfallntzgraven bey Rein / Hertzogen in Obern und Nydem Bayrn etc. Thun aller [Seite: S. 14] menigklich in unnserm lannde zewissen. Alls aus götlicher / Rechtlicher / unnd pillicher verordnung / ain yeglich mensch / dem Gesatz unnderthenig sein sol. "
Besonders wird sodann dieses Unterordnungsverhältnis im Hinblick auf die Gerichtsherrn und Richter hervorgehoben. Angesprochen wird deren Pflicht, das Recht zu kennen, wobei Mißstände diesbezüglich aufgezeigt und gleichzeitig als Rechtfertigung für den Erlaß des Gesetzes dargestellt werden: "Auch die / so Gericht haben und verwallten / damit sy recht hanndeln / in sonnderhait schuldig sind / zuvorab die Recht und täglichen zufallenden gesatz / zuwissen / darinn aber in unserm Fürstnthumb Bairn / bei dem gemainen volck / Richtem / und Rechtsprechern / bißher / grosser mangl erschinen / und ain ungeleicher prauch / gehalten worden / daraus den pa[r]theyen / unnd unnsern unnderthanen vil irrung / unnützer Costung / schad / ferlichait / und versäumnuß entstanden / und füran ye lenger ye mer erwachsen möcht / ..."
Bemerkenswert ist die wahrscheinlich nicht zufällige Unterscheidung zwischen "Recht" und "täglichen zufallenden gesatz". Wie auch an späterer Stelle zu sehen sein wird, dürfte mit "Recht" die Gesamtheit der überlieferten Rechtsordnung im positiven Sinne gemeint sein, worunter sowohl das alte Landrecht als auch das römische Recht des Corpus iuris fallen kann1.12
Die "täglichen zufallenden gesatz" dagegen dürften die zeitgenössischen Normierungen sein, die regelmäßig in Form von Landgeboten1.13 gerade anstehende Probleme, die mit dem vorhandenen "Recht" nicht oder unzulänglich gelöst werden können, regeln. Der "ungeleiche prauch", den die Vorrede anspricht, spielt auf die faktische Teilung des damaligen Bayern in zwei Rechtskreise an.1.14 Auf der einen Seite findet sich der allein aufgrund des Landrechtsbuches urteilende Richter, auf der anderen Seite der urteilsfällende Umstand von Rechtsprechern mit einem das Urteil lediglich anfragenden Richter.
Die Vorrede fährt mit der Kenntlichmachung der ständischen Mitwirkung und mit dem Werdegang der gesetzgeberischen Arbeiten fort: [Seite: S. 15] "dem zufürkomen / So haben wir mit Rate unserer Preläten / Freyen / Ritter / Edlen / Knecht / Auch unnser Burgerschafft in unsern Stetten unnd Märckten / Auff dem Lanndtag zu sant Jörgen tag / im Fünfftzehenhundert und sechtzehenden jar / zu Ingoldstatt / und nachvolgendt auf dem Landtag nach Ostern im Neunzehennden jar zu Lanndßhut gehallten. Ettlich Von unnsern Rathen unnd Lanndtleuten verordent ..."
Dieser bedeutende Hinweis auf die Bildung einer mit der Abfassung des Gesetzes betrauten Kommission aus herzoglichen Räten und Vertretern der Stände ("Lanndtleute") auf dem Landtag 1516 zu Ingolstadt und dem im Jahre 1519 zu Landshut zeigt den Weg auf, der bei der Erforschung der Quellen von Vorschriften der Gerichtsordnung einzuschlagen ist1.15.
Ebenfalls von großer Bedeutung ist die darauf folgende Aufzählung von verwendeten Quellen: "die nach vermög / und Ordnung der Kayserlichen und gemainen geschriben Rechten / Auch geprauch unnd herkhommen unnsers Fürstenthumbs Bayrn / mit hohem vleiß und zeytiger vorbetrachtung / auch mit Rate der Rechtgelerten / zuvorab got zu lob / und Eere / auch zu auffnemen / merung / fürderung / und auffenthallt gemains nütz / und unnserer Lannd unnd Leut / hernachgeschriben gerichtlichen proceß / darzu ertliche gemaine gesatz / ordnung / statut / alltherkomen / und gewonhait. Ains tails aus des heiligen reichs Camergerichts Ordnung gezogen. Auch zum tail von neuem zusam verfassen und vergreiffen ..."
Die 'Ordnung der Kayserlichen und gemainen geschriben Rechten" ist eine Bezeichnung, die in der Gerichtsordnung in dieser oder leicht abgeände[r]ter Form öfters wiederkehrt. Es besteht dabei kein Widerspruch zwischen kaiserlichem und gemeinem Recht, sondern Identität1.16. Die Erwähnung des gemeinen Rechts vor [Seite: S. 16]" dem geprauch unnd herkhommen, dem bayerischen Gewohnheitsrecht und Gesetzesrecht, zeigt die Bedeutung des römischen Rechts bei dem Verschnitt, den die vorliegende Kodifikation darstellt. Wenn dann noch die Beratung durch die Rechtsgelerten hervorgehoben wird, die an der 1472 gegründeten Landesuniversität zu Ingolstadt die "neuen" Lehren verbreiteten, so ist damit abermals eine Linie aufgezeigt, die bei dem Zurückgehen zu dem Ursprung der zu untersuchenden Vorschriften verfolgt werden muß 1.17.
Einen sehr konkreten Hinweis gibt die Vorrede, wenn sie erwähnt, daß die Gerichtsordnung Vorschriften aus des heiligen reichs Camergerichtsordnung enthält. Inwieweit dies zutrifft, wird bezüglich der Appel[l]ationsvorschriften im 4. Kap. im einzelnen aufgezeigt.
Weiter geht es mit der Erwähnung der Landrechtsreformation
von 1518
und neben der Reformation / unnd Ernewerung des Lanndtpuechs und Landtrecht
in Obern Baym ausgeen lassen."
und der Aufzählung der unmittelbaren Adressaten der Gerichtsordnung:
Darauff wir allen und yeden / unnsern Hofrichtern / Vitzdomben / Haubtleuten
/ Statthalltem / Räten / Pflegem / Richtern und Ambtleuten in Obern unnd Nidern
Bayrn / unnd so von unns Gerichtzverwalltung haben / auch allen unsern
Lanndtleuten und Lanndtsässen von Preläten / Graven / Freyen / Rittern / Edlen
/ Knechten / und verwonten / darzu den Burgern in unnsern Stetten unnd Märckten
/ die für sich selbs Gericht haben. Ernnstlich gepieten / ordnen / setzen /
unnd wöllen / das sy nun füran nach vermög unnd innhallt hernachgeschriben
gerichtzordnung / Gesatzen / Rechten / und gepreuchen / ... / mit allen trewen
unnd vleiß hanndeln / Richten / und Rechtsprechen wollen.
Die in der Rangfolge von oben zunächst aufgezählten Repräsentanten der herzoglichen Gewalt sind die direkten Empfänger des landesherrlichen Befehls, als den sich das Gesetz hier versteht. Damit wird zugleich der Geltungsbereich der Gerichtsordnung festgelegt. Nicht nur die herzoglichen Amtsträger in Ober- und Niederbayern, sondern auch die mit der Niedergerichtsbarkeit vom Herzog belehnten Stände (so von unns Gerichtzverwalltung haben), die bisher selbst neben dem Richter auch das Verfahren bestimmten (die für sich selbs Gericht haben), haben nunmehr die vorliegende Gerichtsordnung anzuwenden. Eine Ausnahme hinsichtlich der Geltung nennt die Gerichtsordnung in einem Einschub, der in dem obigen Zitat gekennzeichnet ist: [Seite: S. 17] doch dem Reformirten Lanndtpuch unvergriffen. An den ortten / da sölh puech aus alltem geprauch und herkhomen ligt /
Hier zeigt sich, daß die Gerichtsordnung im Geltungsbereich der Landrechtsreformation von 1518, die ebenfalls — wenn auch in weit geringerem Umfang — Verfahrensvorschriften enthält, nur subsidiär zur Anwendung kommen sollte.
Die Vorrede schließt mit einer Klausel, welche die Abänderung des Gesetzes nach dessen Inkrafttreten ermöglichen sollte. Die Formulierung zeigt, daß man von einer Geltung des Gesetzes ausging, die eine Abänderung nur aufgrund eines derartigen Vorbehalts zuläßt, falls sich die eine oder andere Regelung als verfehlt oder unzweckmäßig erweisen sollte. Die Mitwirkung der Stände wird auch hier hervorgehoben (mit bewilligung unnser Lanndschafft).
Wo aber aynich irrung / geprech / zweyfel oder ungleicher verstanndt / in sölher fürgenomen Gerichtzordnung und gesatzen / fürfallen würd / so nit genugsam erwegen / bedacht / oder nit lautter außgedruckht warn / darinn behallten wir unns vor / dieselben nach Rate unser treffennlichen Landleut und Räte zupessern / zuerstatten / leutterung / und erklärung zuthun / unnd mit bewilligung unnser Lanndschafft / wo es not thut / füran noch mer und weitter pillich / gepürlich und rechtmässige gesatz und Ordnung zemachen. Wie dann söllichs gemains nütz / und unnsers Hertzogthumbs pilliche nottürfft nach gelegenhait der leuff und gestallt der sachen zu yeder zeit erfordern und unns unsern Erben und nachkomen. Auch gemaine unnser Lanndschafft für nütz / guet / und ersprießlich ansehen wirdet.
Als Pendant zur Vorrede sei die Schlußrede bereits hier erwähnt. Sie steht am
Ende des Gesetzestextes und hat besondere Bedeutung für die zeitliche Geltung
der Gerichtsordnung insofern, als nur Rechtsstreitigkeiten betroffen werden
sollen, die nach dem Inkrafttreten der Ordnung ausgetragen werden — ein
Verbot der Rückwirkung also:
Beslus diser gerichtzordnung. Zu wissen / das alle gesatz in disser
Gerichtzordnung allain in den hänndln und rechtsachen / So sich nachaußganng /
underöffnung / derselben Gerichtzordnung begeben / mit rechtverttigung pynden
sollen.
Die Schlußrede fährt mit einer nochmaligen Erwähnung der Mitwirkung der Stände
und der herzoglichen Räte fort:
Unnd nachdem söllich Gerichtzordnung / mit unnserer Lanndtschafft / und
treffennlichen unnsern Lanndsässen in Obern und Nidern Bayern / von allen
Stännden / Auch unnsern Rät Rate beschlossen ist /
[Seite: S. 18]
und endet mit einem Datum, das sowohl den Befehl zum Druck als auch
dieDrucklegung des Werkes selbst betreffen kann:
Haben wir in diß gegenwirtig Buech / durch den drückh vergriffen / und
ausgeen lassen / zu München an sanndt Jörgen tag / des Jars alls man zallte
von Christi unnsers lieben herren gepürt / Fünffzehenhundert
unnd im zwaintzigisten (Anm.:
23.4.1520).
Der eigentliche Gesetzestext, der zwischen den programmatisch-deklaratorischen
Texten von Vor- und Schlußrede eingebettet ist, umfaßt 13 Titel1.18, die wiederum in einzelne Gesatze
eingeteilt sind. Nur um einen Überblick über die geregelte Materie zu geben,
werden hier die Überschriften der einzelnen Titel aufgeführt1.19:
Gegenstand dieser Arbeit ist nun die Appellation, wie sie im 10. und 11. Titel der Gerichtsordnung geregelt ist. Schon die gerade aufgeführten Titelüberschriften zeigen, daß es sich um eine verhältnismäßig umfangreiche Regelung handelt, die aber als eigenständiges Rechtsinstitut vom übrigen Inhalt des Gesetzes klar abgrenzbar ist. Neben diesem formalen Gesichtspunkt sprechen aber auch sachliche Gründe für die Auswahl der Appellationsvorschriften als Untersuchungsgegenstand. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen überliefertem und neuem Recht, die durch die Vorrede zur Gerichtsordnung selbst gestellt wird, verlangt hier, da ein römisch benanntes Rechtsinstitut das alte Hofgeding, wie die Urteilsschelte in Bayern genannt wurde, zu verdrängen scheint, besonders eindringlich nach Klärung. Dazu kommt, daß das Ringen zwischen Ständen und Herzog um die politische Macht im Lande Spuren bei der Ausgestaltung des prozessualen Rechtsmittels hinterlassen haben muß, da insbesondere die Appellation an das Reichskammergericht den Rechtsstreit aus der Einflußsphäre des Herzogs entzog und damit ein Gegenmittel gegen die herzogliche Zentralgewalt darstellte. Andererseits können vielleicht auch Anhaltspunkte für das Verhältnis des Territorialstaates Bayern zum Reich und seinem Kammergericht gefunden werden, die Rückschlüsse hinsichtlich der politischen Geschichte zulassen. All dies zeigt die besondere Bedeutung, die der Regelung des Rechtsmittels zukommt. Dementsprechend stark ist auch die Beachtung, welche die Appellation in der neueren Forschung gefunden [Seite: S. 20] hat. Erwähnt seien die Werke von Schioppa1.20, der die Appellation als zentralen Ausschnitt aus dem Prozeßrecht bezeichnet1.21, und Broß1.22 der von einer ähnlichen Fragestellung wie die vorliegende Arbeit bezogen auf die Reichskammergerichtsordnung von 1495 ausgeht. [Seite: S. 21]
Die Darstellung der legislatorischen Schritte in der zweiten Hälfte des 15. Jh. und den beiden ersten Jahrzehnten des 16. Jh. soll dem grundlegenden Verständnis der Vorschriften der GO dienen. Sie erhebt den Anspruch auf Vollständigkeit nur soweit es zu diesem Zweck erforderlich ist.
Die Entwicklung der Gesetzgebung ist in starkem Maße durch die politische und rechtliche Teilung Bayerns geprägt. Zu Beginn der 2. Hälfte des 15. Jh. ist Bayern politisch in die Teilherzogtümer München und Landshut geteilt. Diese sind nicht gleichzusetzen mit den Begriffen Ober- und Niederbayern bzw. Ober- und Niederland, die auf die erste Landesteilung 1255 zurückgehen2.1 und noch heute in Gestalt der gleichnamigen Regierungsbezirke fixiert sind. Vielmehr haben es einige weitere Teilungen und erneute Zusammenlegungen2.2 mit sich gebracht, daß beide Teilherzogtümer Anteile sowohl am Oberland als auch am Niederland haben. So besteht das Herzogtum München im wesentlichen aus dem Münchner (Oberland) und dem größeren Teil des Straubinger Landesteils {Niederland), das Herzogtum Landshut aus dem Landshuter (Niederland), dem kleineren Teil des Straubinger (Niederland) und dem Ingolstädter Landesteil (Oberland). Weitere Verzahnungen sind im Bayer.Geschichtsatlas (a.a.O. S. 22) gut erkennbar. Eine Vertiefung in Einzelheiten ist aber zum Verständnis des weiteren nicht nötig.
Bedeutsam ist die Teilung Bayerns in zwei unterschiedliche Rechtskreise als Folge der Rechtssetzung Ludwig des Bayern und seiner Söhne. Das Rechtsbuch von 1346 2.3 [Seite: S. 22] auch OLR genannt2.4, ist nämlich nur im Oberland eingeführt worden2.5), während es im Niederland bei der Anwendung ungeschriebenen Rechts blieb. Warum das OLR nur im Oberland eingeführt wurde, ist nicht vollständig geklärt, zumal Bayern seit 1341 in den Händen Ludwig des Bayern vereint war und erst nach seinem Tode durch die sog. zweite große Landesteilung 1349 erneut zerfiel2.6. Eine mögliche Erklärung liegt darin, daß dem OLR ein älteres Rechtsbuch vorausgegangen ist, wie sich aus dem Vorspruch zu Art. 1 des 1. Tit. OLR sowie urkundlichen Erwähnungen ab 1336 ergibt2.7. Da Ludwig der Bayer seit dem Teilungsvertrag von Pavia (1329) bis 1340 ausschließlich Oberbayern als Herzog regierte2.8, konnte er dieses ältere Rechtsbuch nur hier einführen. Stellt nun das OLR lediglich eine Umarbeitung des älteren Rechtsbuchs dar2.9, ist somit schon die Identität des Geltungsbereiches indiziert. Einer Neueinführung des älteren Rechtsbuches wie des OLR im Niederland nach der Vereinigung der Territorien stand wohl die weitreichendere Privilegierung der niederbayer. Stände durch die sog. Ottonische Handfeste 1311 entgegen, wonach die niederbayer. Landsassen die niedere Gerichtsbarkeit weitgehend in den Händen hielten2.10.
Gegen den Widerstand der Stände scheint das Rechtsbuch in Niederbayern nicht durchsetzbar gewesen zu sein2.11. [Seite: S. 23]
Der ursprüngliche Geltungsbereich des OLR wurde später nur unwesentlich ausgedehnt2.12. Allein die politischen Verschiebungen haben ergeben, daß auch er auseinandergerissen erscheint. So hat aufgrund der oben (S. 21) aufgezeigten territorialen Umverteilung in der Mitte des 15. Jahrhunderts sowohl Bayern-München als auch Bayern-Landshut Gebiete, in denen das OLR gilt (Münchner und Ingolstädter Landesteil) und solche, in denen es nicht gilt (Landshuter und Straubinger Landesteil). Der zeitgenössische Sprachgebrauch2.13 unterscheidet Orte "wo das Buch liegt" von denen, wo dies nicht der Fall ist — bei der Rechtszersplitterung, die zusätzlich durch die über das Land verstreuten Hofmarken, geistlichen Territorien, Städte und Märkte unüberschaubar wird, verständlich2.14.
Die einschneidendste verfahrensrechtliche Folge der Rechtsteilung ist, daß dort, wo das OLR nicht eingeführt wurde, weiterhin nach Frage und Folge geurteilt wird, der Richter also nur das Urteil vom Gerichtsumstand anfragt, während das OLR den selbst urteilenden Richter vorsieht2.15. Allerdings wurde die Neuerung durch das OLR von der Praxis nur zögernd aufgenommen2.16.
Ab 1437 sind Landgebote der bayerischen Herzöge nachweisbar2.17. Es handelt [Seite: S. 24] sich um kurzgefaßte Regelungen von zumeist gerade anstehenden Einzelproblemen. Diese Regelungen waren dort erforderlich, wo das OLR bzw. die gerichtliche Übung Fragen, die sich hauptsächlich aus der sich verändernden Wirtschaftsstruktur ergaben, nicht beantworten konnte. So haben die meisten Landgebote "Polizeigegenstände" zum Inhalt2.18. Mehrmalige Regelungen erfuhren das Münzwesen, der Fürkauf und die Ausfuhr von Getreide, der Viehhandel und das Schlachten, das Fischereiwesen, das Holzschlagen, Belange der Landessicherheit, die Kriegsrüstung sowie das Abhalten von Hochzeiten. Mit Fragen des Gerichtsverfahrens beschäftigen sich immerhin 11 von etwa 60 bei Krenner erfaßten Landgeboten2.19. Von diesen 11 Landgeboten haben 6 Einzelprobleme der Appellation zum Gegenstand2.20. Dies zeigt, daß die Appellation unter den regelungsbedürftigen prozeßualen Fragenkreisen im Vordergrund des Interesses stand. Die Ursache liegt im Fehlen diesbezüglicher Vorschriften in beiden Landesteilen, da auch das OLR keine Regelung über das Dingen gen Hof enthielt2.21. Die übrigen 5 Landgebote mit verfahrensrechtlichem Inhalt handeln von der Ladung vor fremde (insbes. westfälische) Gerichte2.22, der Bestellung, Vergütung und Selbstvertretung von Vorsprechern (= Anwälten)2.23 sowie von Viztumshändeln2.24.
Die Landgebote sind durchwegs an die herzoglichen Beamten adressiert sei es in einem Gerichtsbezirk2.25, in einem größeren, aber räumlich begrenzten Gebiet2.26, oder im gesamten Teilherzogtum2.27. Gemeinsame Landgebote für [Seite: S. 25] ganz Bayern, also für beide Teilherzogtümer zugleich, sind, soweit ersichtlich, in sehr geringem Maße und nur in Münzangelegenheiten ergangen2.28.
Im übrigen waren die Landgebote der Teilherzogtümer nicht aufeinander abgestimmt. Die Zahl der Landgebote in beiden Landesteilen hält sich in etwa die Waage. Auf beiden Seiten erscheinen als Adressaten Landrichter, Pfleger, Rentmeister, Kastner, Amtleute, Vögte, Forstmeister und Zöllner. Rüstungsaufgebote sind an "alle Edlen", Prälaten, Städte und Märkte gerichtet2.29. Die Landgebote ergingen regelmäßig unter dem Namen des jeweiligen Herzogs. Nur 2 Landgebote sind von den herzoglichen Räten in Stellvertretung des Herzogs erlassen2.30. Die ständische Mitwirkung, die in der frühen Phase (1437 - 1458) stets gegeben war, läßt in einer Übergangsphase (1458 - 1470) spürbar nach und ist in der Spätphase (1470 - 1503), in der der überwiegende Teil (etwa 50) der Landgebote ergangen ist, nur noch in vereinzelten Ausnahmefällen nachweisbar2.31.
Während von den etwa 60 bei Krenner erfaßten Landgeboten rund 40 kurz und ungegliedert ein Einzelproblem behandeln, weisen nur 9 einen unverhältnismäßig großen Umfang auf2.32. Diese sind in 10 oder mehr (maximal 15) Abschnitte gegliedert, welche aber — selbst bei Regelung mehrerer Materien — keine Überschriften tragen. Einen noch größeren Umfang haben die sogenannten Landesordnungen2.33. Die Ordnung des Münchner Landesteils 1500 enthält eine umfassende Regelung ausschließlich auf sicherheitsrechtlichem Gebiet, kann also als reine Polizeiordnung, wie sie auch in der Landesordnung 1516 Gestalt fand, bezeichnet [Seite: S. 26] werden2.34. Die aufeinander aufbauenden Landshuter Ordnungen beinhalten neben sicherheitsrechtlichen Vorschriften auch materielles Straf- und Zivilrecht sowie prozeßuale Regelungen. Ergibt sich aus Umfang und Vielfalt der geregelten Materien ein gewisser Unterschied zu den meisten einzelfallregelnden Landgeboten, so stellt doch der Mandatsstil, die Adressierung der Ordnung an einen bestimmten Beamten, in dem die Landesordnungen 1474, 1491 und 1500 abgefaßt sind, ein wesentliches verbindendes Element dar.
Lediglich die LO 1501 geht von diesem Mandatsstil ab, indem sie mit einem Vorwort, ähnlich den späteren Gesetzen 1518 und 1520, ihren Geltungsanspruch nicht mehr gegenüber einem befehlsempfangenden Beamten, sondern gegenüber der Gesamtheit der Untertanen zum Ausdruck bringt. Auch in der Unterteilung in mit inhaltsangebenden Überschriften versehene Artikel ist diese LO, wenn sie auch nur die LO 1474 inhaltlich erweitert, den späteren Kodifikationen ähnlich.
Etwa zur selben Zeit, als Bayern-Landshut mit der LO 1474 zu umfangreicheren Regelungen schritt, wurde von beiden Herzögen eine gemeinschaftliche Kommission von Räten beider Landesteile gebildet, die in Erding das OLR reformieren sollte2.35. Dabei deutet nichts daraufhin, daß es sich um einen Versuch gehandelt habe, den Geltungsbereich des OLR auszudehnen2.36. Die Beteiligung beider Teilherzogtümer beruht lediglich auf der durch politische Territorialverschiebungen bedingten Geltung des OLR in Teilen beider Gebiete2.37.
Die Erdinger Konferenz fand zwischen 1465 und 1479 statt. Das im Original erhaltene Protokoll der Räte2.38 enthält zwar keine unmittelbare Zeitangabe. Die Überschrift "Reformacion des Lanndtpuchs zu Ärding durch beder hern Rät" weist jedoch einen in einheitlicher Schrift und Tinte gefertigten Zusatz auf: "1516. Beratslagung ainer allten (folgt alte Überschrift: Reformacion ... u.s.w.) In weiland H. Ludwigs zu Landshut und H. Albr. zu München regierung." Dieser Zusatz wurde 1516 offenbar bei der Endredaktion der LRRef, bei der man das Erdinger [Seite: S. 27] Protokoll zugrundelegte, geschrieben. Die vergleichsweise große zeitliche Nähe des Schreibers zu dem datierten Geschehen rechtfertigt die Unterstellung der Richtigkeit der Datierung. Die Regierungszeit der Herzöge Ludwig und Albrecht überschneidet sich zeitlich während der genannten Jahre, da Albrechts Regierung 1465 begann, Ludwig aber schon 1479 starb.
Damit erweist sich die Datierung Krenners2.39 auf "1487 oder kurze Zeit vorher" als unzutreffend2.40.
Krenner stützte sich zum einen auf einen Brief des Landshuter Kanzlers Kolberger an Hans Rieshaimer, den Sekretär Herzog Albrechts, worin um "Aufrichtung" der "Landsordnung zu Erding gemacht" durch den Herzog gebeten wird2.41. Der Brief ist mit 1487 datiert, woraus Krenner schließt, die Erdinger Konferenz müsse 1487 "oder kurze Zeit vorher" stattgefunden haben2.42. Tatsächlich schließt der Brief lediglich die Annahme aus, die Konferenz habe nach 1487 stattgefunden. Die Formulierung Kolbergs "dieweil soviel Kostung darauf gelegt ist, war nit gut daß die (= Reformation) nun erlag" zeigt darüberhinaus, daß bereits eine gewisse Zeit zwischen Konferenz und Brief verstrichen war, da anderenfalls kein Grund zur Äußerung einer derartigen Befürchtung bestanden hätte. Zum anderen führte Krenner einen "Gedächtniszettel" Herzog Albrechts an2.43. In den Notizen des Herzogs findet Herzog Georg von Landshut mehrfach Erwähnung, der nach dem Tode seines Vaters Herzog Ludwig 1479 die Regierung übernahm. Daraus rechtfertigt sich die Datierung des Notizzettels auf 1479 oder später. Auf dem Zettel findet sich u. a. die Anmerkung "Das Recht in beider Herrn Landen zu reformieren, ein Recht zemachen und zeschöpfen und das puch in alle gerichte zelegen". Krenner schloß daraus, daß die Erdinger Konferenz noch nicht stattgefunden hatte. Dieser Schluß ist jedoch nicht zwingend, da auch nach der Erdinger Konferenz, deren Protokoll ja nur einen Entwurf darstellte, die Reformation des OLR eine unerledigte Aufgabe blieb. Auch ist die die Rechtsreform betreffende Notiz als einzige nicht gestrichen, also innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes nicht als erledigt betrachtet worden, was nach Krenners Gleichsetzung von tatsächlicher Reformation und Erdinger Konferenz der Fall hätte sein müssen. Schließlich spricht auch nicht die auf dem Zettel fixierte Überlegung Herzog Albrechts, bei mißbräuchlicher Appellation entweder zu strafen oder dem Mißbrauch durch Auferlegung [Seite: S. 28] eines Eides zu begegnen, gegen die Tatsache, daß die Konferenz bereits stattgefunden hatte. Zwar legt sich das Erdinger Protokoll auf den Eid fest2.44. Wegen des Entwurfcharakters war jedoch ein erneutes Abwägen von Einzelheiten dadurch nicht ausgeschlossen.
Das Konferenzprotokoll2.45 gibt auch Aufschluß über den Arbeitsgang der Räte. Zuerst wurde das OLR in der bestehenden Form durchgegangen, wobei der jeweilige Artikel entweder übernommen ("daß er soll bleiben" - 3. Art. , "manet" - 5. Art.), geändert ("das Wort ... heraus bleiben soll" - 1. Art. , "dafür soll stehen ..." - 4. Art.) oder ausgeschieden wurde ("daß er überflüssig sei" - 10. u. 31. Art., "ganz abgethan werden" - 38. Art.). Sodann wurden 7 neue Artikel (348. - 354.). davon 3 die Appellation betreffend (351. - 353.), angefügt. Bis dahin wurde die durch das OLR vorgegebene Artikelfolge nicht verändert. Erst nachdem der materielle Inhalt des Entwurfs feststand, wurde eine Gliederung angefertigt, die eine einschneidende Umgestaltung der Artikelfolge nach einem neu erdachten System darstellt. Diese Gliederung wurde dem Entwurf (Bl. 13 - 52) vorangestellt (Bl. 2 - 12). Die einzelnen Artikel sind innerhalb dieser Gliederung noch mit den ursprünglichen, durch das OLR vorgegebenen Ziffern bezeichnet. Innerhalb des 1. Abschnitts "Von Richtern und Gerichtsschreibern" z.B. ergibt sich deshalb die Folge der Artikel 3, 37, 139, 263, 264, 269, 341, 348 u. 354. Die drei Appellationsvorschriften (Art. 351 - 353) bilden einen selbständigen Abschnitt (10. "Von geding und appellation").
Kunkel2.46 stellt bezüglich der materiell-rechtlichen Vorschriften des Erdinger Entwurfs fest, daß es sich um eine ziemlich konservative Angleichung des OLR an die veränderten Verhältnisse und Bedürfnisse handele mit der Tendenz, das überlieferte Recht in seinem Kern unverändert zu lassen. Die Umgestaltung sei vorwiegend redaktioneller Natur, wobei schonende Spracherneuerung und Ausweitung der engen Kasuistik des OLR durch allgemeine Formulierungen im Vordergrund stünden. Die Streichungen dienten lediglich der Beseitigung von Wiederholungen oder Widersprüchen, der stoffliche Rahmen des OLR sei ziemlich genau eingehalten worden. Andererseits seien jedoch Einwirkungen des römischen Rechts erkennbar. Zum einen seien gegen gemeines Recht verstoßende Artikel weggelassen ("Der 328. Art. soll abgetan werden, denn er sei wider Recht und Vernunft."), zum anderen Veränderungen vorgenommen worden, die deutlich auf das Vorbild des römischen Rechts hinweisen.
Der Erdinger Entwurf wurde, wenn man von der späteren Zugrundelegung bei [Seite: S. 29] der LRRef 1518 absieht, nie als Gesetz publiziert. Die Ursachen dafür sind unbekannt. Die noch vorhandene Unvollständigkeit der Regelungen kann, selbst wenn sie den Zeitgenossen bewußt wurde, kaum der Grund gewesen sein, da die Landesordnungen 1474 und 1501 mindestens ebenso unvollständig waren und dennoch als Gesetze ausgingen.
Erst 1501 finden sich wieder Anzeichen, daß an die Fortführung der Reformation des OLR gedacht wurde. Auf die Beschwerde der Stände des Landshuter Landesteiles, die gelehrten Ausländer im Hofgericht seien unfähig, für die "Ende (wo) das Buch liegt" Recht zu sprechen2.47, äußerten die herzoglichen Räte gutachtlich, daß etliche Artikel des "Buches im Oberlande ... wider gemeine Rechte und gute Sitten sind", weshalb den Räten die Reformation des Buches aufgetragen werden sollte2.48. Herzog Georg vermerkte eigenhändig daneben: "Das laß ich mir auch gefallen". Auch die Landschaft stimmte der Fortführung der Reformation zu2.49. Der Ausschuß bat, "förderliche Handlung darinn fürzunehmen"2.50, was jedoch zunächst nur zur Aufnahme einer entsprechenden Absichtserklärung in die LO 1501 führte: Der Herzog gab in dem 2. Teil des Abschnitts "Besetzung der Hofgerichte" seinen Willen kund, das OLR zu reformieren, das neue Gesetz durch den Kaiser bestätigen zu lassen und es alsdann auch im Niederland einzuführen2.51.
Auf dem Landtag 1506 zu Landshut wurde der Plan zur Reformation des Landrechts erneut aufgegriffen2.52. 1507 wurde hierzu ein Ausschuß von 24 Verordneten gebildet. Dieser Ausschuß beantragte auf dem Landtag 1510 zu Straubing2.53, "die Statuten, darauf viel Geldes in vergangenen Landschaften verzehrt worden, jetzt gar aufzurichten, damit gemeines Land doch eines Theils [Seite: S. 30] Ergötzlichkeit habe"2.54. Dies wurde durch Beschluß der gesamten Landschaft bewilligt.
Ein nicht hoch genug einzuschätzendes Dokument für die Entstehungsgeschichte des zu untersuchenden Gesetzes ist ein handschriftlicher Entwurf zur Gerichtsordnung des Gelehrten und herzoglichen Rates Hieronymus de Croaria2.55. Dieser Entwurf ist bislang nicht beachtet und daher nicht entsprechend seiner Bedeutung eingeordnet worden. Er trägt auf Bl. 1 den Titel: Newe gerichtsordnung des durchlewchtigen hochgebornen fursten und herre heren Wilhalms pfaltzgraven bey Rhein hertzoge in Obern und Nidern Bayern Wie man in seiner fürstlichen G. lande an den schrannen und undergerichten in recht procedirn und gerichtlich handeln solle. Der Verfasser geht aus einem persönlichen Anschreiben, mit dem das Werk Herzog Wilhelm übergeben wird, hervor (Bl. 2 - 3): Dem durchleuchtigen ... Hern Wilhalmen ... Embeut Ich Hieronimus von Croarien doctor beder rechten, Ordinari in e. f. g. universitet zu Ingolstat Mein underthenig gehorsam ... Nachdem mir von e. f. g. in sunderhait bevolhen worden ist ain gerichlich Ordnung wie man nach ausweysung der recht und gueten leidlichen gewonhaiten e. f. g. landen und leuten zu guet und aufnemung an e. f. g. landtschrannen und undergerichten im rechten procediern und handeln soll, damit die Unordnungen und mengerlay beschwerung, so bißher e. g. landsessen durch die richter gerichtschreiber und amptknecht beschehen waren vermitten belieben das ich solhs nach meinem besten vermögen und meiner hechsten schlechten verstentnuß ... gern gethan, und sovill dester liber das Ich zu sambt schuldiger pflicht ain sunder begirlich wollgefallen ob dem (das e. f. g. alls ain Junger angeender fürst ... so gros erwegen und bedenken) gehabt, darauf hab Ich solh Ordnung in zwöllf titl deren jeder sein sunder articl in sich hellt begriffen, die ich dann e. f. g. in gehorsamen willen hiemit uberantwurt, fleissiglich bittende e. f. g. welle solh mein mue und arbait ... annemen denn wiewoll mir vor etlichen wuchen durch e. f. g. geschriben ist, solh Ordnung aufs furderlichst aufzurichten so hat doch solhs so bald nit sein mögen ursach das solh Ordnung zubegreiffen nit ain klaine arbait sunder ist sie dapfer ... nutzbar und allso [Seite: S. 31] hoch zuerwegen deßhalben mir auch nit klain mue darauf gegangen, das ich die heyligen recht mit den leidlichen gewonhaiten und gebrauchen so in e. g. land sein gegen einander vergleicht, dartzu hab ich mein gewonlich leczyon, so auch sunderer mue bedarf mitler Zeit alltag selbs versehen ...
Aus diesem Anschreiben können Daten gewonnen werden, die eine zeitliche Einordnung des Entwurfs auf das Jahr 1514 rechtfertigen.
Hieronymus de Croaria, der Verfasser des Werkes, war von 1497 - 15162.56 Professor des kanonischen Rechts an der Universität Ingolstadt2.57. Da sich Croaria in der Handschrift selbst als Ordinarius an der Ingolstädter Universität bezeichnet, der während der Arbeiten an dem GO-Entwurf täglich seine Vorlesung hielt ("hab ich mein gewonlich leczyon ..."), ist die Entstehung der Handschrift nach 1516 a priori ausgeschlossen.
Andererseits kann das Werk nicht vor 1511 entstanden sein, da in ihm ausschließlich Herzog Wilhelm als allein regierender Fürst angesprochen ist. Zwar war Wilhelm schon seit dem Tode seines Vaters Albrecht (1508) Herzog, stand jedoch bis zu seiner Volljährigkeit (13.11.1511) unter der Vormundschaft eines aus seinem Onkel Herzog Wolfgang und 6 Vertretern der Stände bestehenden Regentschaftsrates, der die Regierung führte2.58. Es ist ausgeschlossen, daß der noch minderjährige Herzog einem herzoglichen Rat wie Croaria2.59 den Befehl zur Erstellung einer GO erteilen konnte. Auch deutet das völlige Fehlen einer Erwähnung der Vormünder daraufhin, daß die Vormundschaftsregierung bereits beendet war. Dem widerspricht nicht, daß Wilhelm als "junger angeender fürst" bezeichnet ist. Immerhin war der Herzog 1514 erst 20 Jahre, Croaria dagegen etwa 54 Jahre alt. Eine verhältnismäßig genaue Datierung kann aus dem Umstand hergeleitet werden, daß die Landschaft auf dem Landtag von 1514 zu München die Mitregierung Herzog Ludwigs, des jüngeren Bruders Herzog Wilhelms, erzwang2.60. Dies hatte u. a. zur Folge, daß bei Regierungsakten stets [Seite: S. 32] beide Herzöge genannt wurden2.61. Das Fehlen einer entsprechenden Nennung sowohl im Titel der Handschrift (Bl. 1) als auch im Anschreiben deutet auf die Entstehung vor dem Landtag 1514 hin.
Diese Ergebnisse decken sich mit der Mitteilung Freybergs2.62, daß auf dem Landtag 1514 zu München der Entwurf einer Gerichtsordnung der Landschaft vorgelegt werden konnte, nachdem herzogliche Räte auf Befehl des Landesherrn Verfahrensvorschriften ausgearbeitet hatten. Wenngleich Freyberg keine Quellen zitiert, kann doch mit einiger Sicherheit davon ausgegangen werden, daß der von ihm angesprochene Entwurf und die Handschrift Croarias identisch sind.
Der Entwurf Croarias enthält sämtliche Elemente der späteren GO. Auf das Anschreiben folgt auf Bl. 3 RS eine Vorrede, mit der der Herzog das Gesetz bei seinen Untertanen einführen sollte. An diese Vorrede ist die der GO 1520 deutlich angelehnt, wenngleich in der Endfassung weitgehende Streichungen erkennbar sind, denen u. a. dem gelehrten Zeitgeist entsprechende Allegate vom Propheten Daniel über die griechischen Weisen zu den Zwölftafelgesetzen der Römer, die als Vorbild für die Unterteilung des Entwurfs in 12 Titel genannt werden, zum Opfer fielen. Auf Bl. 6 beginnt der eigentliche Gesetzestext, wobei sich die 12 wiederum in Artikel unterteilten Titel auf über 200 Seiten erstrecken.
Auf Bl. 112 RS folgt eine Nachrede, in der Croaria dem Herzog zwei zusätzliche, noch nicht ausformulierte Artikel zum Appellationsrecht empfiehlt. Zum einen soll bei Appellationen in Besitzklagen die Beschlagnahme des streitgegenständlichen Gutes angeordnet werden können, um Appellationen lediglich zur Verlängerung der Besitzdauer zu unterbinden. Diese Regelung, die dem 4. Gesetz des 10. Tit. der Nürnberger Stadtrechtsreformation 1479 entspricht, wurde jedoch nicht in die GO 1520 aufgenommen. Zum anderen sollte ein kaiserliches Appellationsprivileg über 500 oder 1.000 Gulden angestrebt werden, wobei für diese privilegierten Sachen eine das RKG ersetzende 3. Instanz, besetzt mit Hofmeister und zwei gelehrten Doctores, geschaffen werden sollte. Hiervon ging nur das 1517 erlangte Appellationsprivileg über 100 Gulden in die GO 1520 ein2.63,[Seite: S. 33] während die Schaffung einer 3. bayr. Instanz erst mit dem Revisorium 1625 erfolgte.
Die Nachrede ist — höchstwahrscheinlich von Croaria eigenhändig — unterschrieben: williger gehorsamer diener hieronymus von Croaria doctor beder rechte ordinari zu Ingolstadt
Schriftbild und Tinte dieser Unterschrift begegnen in der ansonsten einheitlich abgefaßten Handschrift nur noch in ganz vereinzelten Korrekturen. Das legt die Vermutung nahe, daß Croaria das Werk nach Konzept einem Schreiber diktiert hat und nach Fertigstellung nur noch Korrekturen und Unterschrift eigenhändig hinzufügte. Bl. 116 -131 schließlich enthalten ein Register des Gesetzesentwurfs.
Die Appellationsvorschriften sind im 10. und 11. Titel des Entwurfs enthalten. Diese Anlage wurde von der GO 1520 übernommen:
In einem Überblick soll nun gezeigt werden, welche Vorschriften dieser beiden Titel des Entwurfs in die GO 1520 Eingang fanden. [Seite: S. 34]
Dabei sind die Vorschriften mehr oder weniger geändert, erweitert oder gekürzt worden. Die Einzelheiten dazu werden im 4. Kap. dargestellt. Die durch den Entwurf vorgegebene Grundstruktur blieb jedoch bis auf ganz wenige Ausnahmen stets erhalten.
Vermutlich blieb der Entwurf Croarias zunächst einmal liegen, da Landschaft und Herzog zu sehr mit dem politischen Tauziehen um den Vorrang, das sich auf die Landesfreiheitserklärung und die davon abhängig gemachte Erbhuldigung konkretisiert hatte, beschäftigt waren2.64. Erst 1516 beschloß die Landschaft, daß die Herzoge wegen des Landrechtsbuchs ersucht werden sollen, etliche ihrer Räte zu verordnen; deßgleichen wolle eine gemeine Landschaft auch etliche Personen dazu fürnehmen, die nach Endung des Landtages über das Buch sitzen, und solches der Nothdurft nach in eine bessere und leidentlichere Form zu stellen und zu bringen hätten2.65.
Daraufhin traten im Sommer 1516 10 Verordnete der Landschaft2.66 mit dem Kanzler Dr. Augustin Lösch2.67 und dem Sekretär Augustin Kölner2.68 in München zusammen. Ihre Aufgabe war neben der Landrechtsreformation die Erstellung [Seite: S. 35] der GO. Nachdem man sich auf das Erdinger Protokoll als Grundlage der Landrechtsreformation geeinigt hatte, wurden die weiteren Arbeiten auf Kölner übertragen2.69.
Aus dem Jahre 1516 ist ein Entwurf zur LRRef erhalten2.70. Die Handschrift folgt im Aufbau zunächst der Gliederung der Erdinger Reformation, stellt also einen Umguß des Textteiles in die bereits durch das Register des Erdinger Protokolls gestaltete neue Gliederung des Landrechts dar2.71.
Nach dem 5. Titel wurde jedoch durch spätere Korrektur ein neuer 6. Tit. ("von vorsprechern") eingefügt, und der ursprüngliche 6. Tit. geteilt (7. Tit. "von anweisem", 8. Tit. "von schub und tag"), so daß der ursprüngliche 10. Tit. ("von geding und Appellation") zum 12. Tit. wurde. Die 3 Rubriken2.72 dieses 12. Tit. entsprechen wörtlich den Artikeln 351 - 353 der Erdinger Reformation. Durch spätere Korrektur ist nur der Zusatz "und den hailigen" beim Appellationseid gestrichen und der "kaiserliche hof" zum "k. Camergericht" umgeändert.
Nach der Textkorrektur wurde eine Vorrede und eine Schlußrubrik abgefaßt. Diese zeitliche Folge ergibt sich aus Textkorrekturen, die auf der Rückseite des letzten Blattes der Vorrede zu finden sind. Die Vorrede weist ein flüchtigeres Schriftbild auf und ist ihrerseits erneut korrigiert worden, wobei dies die 1518 gedruckte Fassung darstellt. Der Entwurf stellt nicht die Endredaktion, die als Grundlage für den Druck diente, dar. Dies ergibt sich aus dem Titel über die Appellation, dessen Vorschriften noch keinen Einfluß von Croarias Entwurf zur GO aufweisen, während die Endfassung der LRRef wesentlich erweiterte Appellationsvorschriften auf der Grundlage des GO-Entwurfs 1514 beinhaltet. Das Protokoll der Endredaktion ist nicht mehr auffindbar2.73.
Kurze Zeit danach muß der für die Endfassung der GO grundlegende Entwurf entstanden sein2.74. In der Vorrede ist einerseits der Landtag am St. Jörgentag 1516 zu Ingolstadt erwähnt2.75; andererseits fehlt noch das später als 9. Ges. des 10. [Seite: S. 36] Tit. in die GO eingefügte Appellationsprivileg vom 3. 8. 1517. Mit Ausnahme dieses fehlenden Privilegs zeigt der Entwurf mit seinen Korrekturen in Aufbau und Inhalt die Form der Appellationsvorschriften, die 1520 gedruckt wurde.
Neben der oben erwähnten Umarbeitung des Entwurfs 1514 erfolgte die Aufnahme der die Appellation betreffenden Vorschriften des Erdinger Protokolls (351 - 353), die Croaria noch nicht erwähnte. Dabei wurde
Art. ErdRef Ges. | GO-Entw. 1516/17 (10. Tit.) |
351 | zu 9 |
352 | zu 5 (1. u. 3. Abschn.) |
und 353 | zu 12 (1. Teil d. 1. Abschn.). |
Die ersten 15 Blätter des Entwurfs (Bl.144-158), die den 1. Tit. beinhalten, sind durchnumeriert. Es folgen drei Leerblätter, die offenbar zur Ergänzung der Vorschriften gedacht waren. Der Rest, beginnend mit dem 2. Tit. (Bl. 158-262), ist nicht mehr durchnumeriert. Die Blätter tragen die Aufschrift "das n plat", wohl um spätere Ergänzungen zu ermöglichen, ohne die Reihenfolge der Blätter berichtigen zu müssen. Auch auf das 15. Ges. des 10. Tit. folgen zwei Leerblätter, bevor mit dem 11. Tit., der insgesamt mit flüchtigerer Schrift konzipiert ist, fortgefahren wird. Das 5. Ges. des 11. Tit. befindet sich auf einem gesonderten Blatt, das ursprünglich "Der ... artickl. Was fatalia ... u. s. w. " überschrieben war. Die Benennung "artickl" weist auf die unmittelbare Anknüpfung an Croarias Entwurf hin.
Bei der Abfassung des Entwurfs 1516/17 kommt dem herzoglichen Rat Augustin Kölner die entscheidende Rolle zu. Dies ergibt sich zum einen aus der Erwiderung der Räte auf das Drängen der Landschaftsverordneten, die die Gesetze fertiggestellt sehen wollten: ... der Kanzler (Anm.: Dr. Lösch) sey mit anderen Geschäften überladen, dem Köllner aber sey nicht nur aufgegeben worden, die Gerichtsordnung ans Ende und zur Öffentlichkeit zu bringen, sondern man fordere von ihm auch noch die Abfassung einzelner Traktate über die Natur der Klagen, über Erbfälle, Testament, Vormundschaft und dergleichen, darüber große Bücher geistlichen und weltlichen Rechts von Pabst und Kaiser gemacht sind, die vieler Erwägung bedürfen, wobei vonnöthen neben dem Landesgebrauch auch die Skribenten zu bedenken, dazu wohl etliche Jahre erforderlich wären, wo man anders nicht Schimpf und Spott erfahren wolle. Man bitte daher diese Traktate noch etlichen Gelehrten und Erfahrenen vorzulegen, und die noch baß zu berathschlagen, um allen Nutz und Ehre eine beständige Ordnung und Recht im Haus Bayern zu beschließen2.76. [Seite: S. 37] Zum anderen kann mittels eines Schriftvergleichs das von Kölner im Entwurf eigenhändig Geschriebene nachgewiesen werden. Als Vergleichstext dienen ein von Kölner angefertigter Stammbaum der bayerischen Herzöge2.77 der ausweislich eines Vermerks durch Augustin Khölner, altn Secretarien In diß registratur puech, mit aigner handt geschribn ist, und ein eigenhändig geschriebener und unterschriebener Brief Kölners an seinen Vetter Dr. Thomas Rudolf, Kanzler zu Landshut, aus dem Jahre 15392.78. Der Schriftvergleich ergibt, daß sämtliche Korrekturen, die den Wortlaut der Vorschriften in die endgültige Fassung bringen (im 10. Titel z.B. auf Bl. 235 RS, 239 RS, 240 VS u. RS, 243 RS, 247 RS, 249) sowie das 4. Ges. des 11. Tit., ab dem 6. Fall und der damit korrespondierende letzte Abschnitt des 5. Ges. des 11. Tit. (Bl. 253 - 255) von Kölner stammen. Gerade diese Zusätze, die die Appellation zum RKG zum Gegenstand haben, sind von großer politischer Bedeutung, da sie das Verhältnis der kaiserlichen und herzoglichen Macht abgrenzen. Sie wurden offenbar länger abgewogen und schließlich von Kölner gleich selbst zu Papier gebracht.
1518 ging die LRRef. in Druck. In ihrem verfahrensrechtlichen Teil wurden Teile des GO-Entwurfs 1516/17 eingearbeitet. Die Appellationsvorschriften finden sich im 12. Tit., was der Anordnung im Entwurf 1516 zur LRRef. entspricht. Welche Vorschriften dem GO-Entwurf entnommen wurden, zeigt folgender Überblick:
Art.ErdRef | Ges.GO-Entw. 1516/17 | Art. LRRef. 1518 |
- | 1 | 1 |
- | 2 | 2 |
- | 3.. (1. u. 2. Abschn.) | 3 |
352 | 5 | 9 |
- | 6 | 4 |
- | 7 | 7 |
- | 8 | 8 |
351 | 9 | 5 |
353 | 12 | 10 |
- | 14 | 6 |
Damit wurde einerseits wohl dem Bestreben entsprochen, die LRRef. mit Verfahrensvorschriften nicht zu überladen, sondern die ausführliche Regelung der GO zu überlassen, andererseits das Problem umgangen, die brisanten Regelungen der Appellation zum RKG, die ausweislich des Entwurfs 1516/17 als bruchstückhaft und ergänzungsbedürftig angesehen wurden, bereits zu diesem Zeitpunkt zu publizieren. Diese Gesichtspunkte dürften generell bei der Auswahl der Vorschriften aus dem Entwurf 1516/17 berücksichtigt worden sein. Die 2 nicht übernommenen Abschnitte des 3. Ges. des GO-Entwurfs kamen für die LRRef. a priori nicht in Frage, da sie speziell das Verfahren nach Frage und Folge betreffen und daher ausschließlich außerhalb des Geltungsbereichs des OLR zur Anwendung kommen konnten. Bei den übrigen Appellationsvorschriften des GO-Entwurfs, die nicht in die LRRef. eingearbeitet wurden (10. Tit. 4., 10., 11., 13., 14.Abschn.2 - 5, und 15. Ges.), wurden offenbar als weniger bedeutsam für die Aufnahme in die nicht so sehr verfahrensrechtlich orientierte LRRef. angesehen. Das 4., 11. und 13. Gesatz des Entwurfs bringen Definitionen (Wirkungen der Appellation, Fälle der Unzulässigkeit der Appellation, Apostel), die übrigen weggelassenen Vorschriften, abgesehen vom Anfang des 10. Ges., der aber nur eine Wiederholung bereits ausgesprochener Grundsätze darstellt, das Prüfungs- und Apostelerteilungsverfahren des Hofgerichts bei Appellationen zum RKG.
Auffällig ist, daß die LRRef. den Appellationseid auf Appellationen zum RKG beschränkt (9. Art.). Diese Beschränkung erfolgte allein hier, während die Entwürfe und die GO in Anknüpfung an die weit zurückreichende Tradition2.79 den Eid bei sämtlichen Appellationen vorsahen. Der Grund für die Beschränkung ist unbekannt. Es ist lediglich eine Vermutung, daß der noch relativ große ständische Einfluß die Behinderung, die sich durch den Eid in den Augen der Stände wohl ergab, wenigstens teilweise abwehren konnte. Ebenso unerklärlich ist das Fehlen des Appellationsprivilegs vom 3.8.1517, das in der GO (9. Ges.) als [Seite: S. 39] ungeheuere Errungenschaft gefeiert wird. Zwar mag die Endredaktion der LRRef. noch im Sommer 1517, also vor der Erlangung des Privilegs abgeschlossen gewesen sein. Die Drucklegung dürfte jedoch kaum einen derart langen Zeitraum in Anspruch genommen haben, ohne daß die Möglichkeit der nachträglichen Einrückung des Privilegs vorhanden gewesen wäre. Betrachtet man die Artikelfolge der Appellationsvorschriften der LRRef. im Vergleich zu der Folge der Gesatze des GO-Entwurfs 1516/17, so ist festzustellen, daß in der LRRef. eine Ordnung nach systematischen Gesichtspunkten erfolgt ist, während der GO-Entwurf sowie die darauf basierende GO 1520 diese Systematisierung nicht aufweisen. Die Art. 1-6 LRRef. betreffen die Appellation im allgemeinen, wogegen die Art. 7-10 ausschließlich Appellationen zum RKG zum Gegenstand haben. Sieht man sich das Schema auf S. 37 an, so wird ersichtlich, wie bei der Redaktion der Vorschriften vorgegangen wurde: Unter Weglassung der als nicht erforderlich angesehenen Regelungen entnahm man dem GO-Entwurf, indem man dessen Anordnung folgte, zunächst die allgemeinen Appellationsvorschriften, um erst in einem zweiten "Durchgang" die die Appellation zum RKG betreffenden zu übertragen. Dabei stellt lediglich der 9. Art. LRRef. eine Ausnahme dar, der bei strikter Einhaltung dieses Vorgehens als 8. Art. hätte erscheinen müssen. Möglicherweise steht diese Ausnahme mit der restriktiven Fassung der Vorschrift, die sie abweichend vom GO-Entwurf erst durch die LRRef. erfuhr, im Zusammenhang.
Bereits aus diesen Beobachtungen ergibt sich, daß die Auffassung Freybergs2.80, die Verfahrensvorschriften der LRRef. entsprächen dem Stand der Stoffsammlung zur GO im Jahre 1518, wobei die Vorschriften, so weit sie eben zu diesem Zeitpunkt fertig waren, in die LRRef. mit aufgenommen worden seien, unzutreffend ist. Hinzu kommt, daß durch den Entwurf Croarias 1514 der Stoff der GO weitgehend vorgelegt war und im folgenden nur noch Modifikationen erfuhr, eine Neuschöpfung von Vorschriften, wie sie Freyberg noch nach 1518 unterstellte, jedoch nicht mehr stattfand.
Schließlich kann die Tatsache, daß die LRRef. Teile des bereits umfangreicheren GO-Entwurfs 1516/17 übernommen hat, durch zwei Details nachgewiesen werden. Der 5. .Abschn. des 5. Ges. (10. Tit. GO-Entwurf), der die Unzulässigkeit des Appellationseides in bestimmten Strafsachen zum Gegenstand hat, knüpft an die Definition dieser Strafsachen im 4. Fall des 11. Ges. an. Nur aus der Existenz dieser Definition ist die Eidesregelung verständlich. Die LRRef. gibt nun im 9. Art. des 12. Tit. die vollständige Regelung bezüglich des Eides, also auch den 5. Abschn. der Vorschrift wieder, ohne die grundlegende Definition des 11. Ges. des GO-Entwurfs ebenfalls einzuarbeiten. Das isolierte [Seite: S. 40] Vorkommen des 5. Abschn. der Eidesvorschrift zeigt, daß das 11. Ges. vorhanden gewesen sein muß. Daß die grundlegende Definition erst nach dem Bestehen der "Verweisung" geschaffen wurde, ist ausgeschlossen. Weiterhin lassen die Textkorrekturen im GO-Entwurf entsprechende Schlüsse zu. Zwar entsprechen die von der LRRef. übernommenen Vorschriften weitgehend dem noch unkorrigierten Entwurf. Daraus ergibt sich, daß die Korrekturen, die den Entwurf in die 1520 gedruckte Endfassung gebracht haben, erst nach der Endredaktion der LRRef. vorgenommen worden sind. Einige wenige Vorschriften sind jedoch nicht in der ursprünglichen Fassung des Entwurfs in die LRRef. eingegangen, sondern in der korrigierten Form, z.B.:
Entwurf 2. Ges. 10. Tit. | LRRef. 2. Ges. 12. Tit. |
So sich yemands von ains Richters urteil berueffen und dingen wil ... | So sich yemands von ains Richters urteil berueffen und beschwern wil ... |
Kreittmayr2.81 führte den "Unterschied" zwischen LRRef. und späterer GO bezüglich Regelung und Geltungsbereich auf die unterschiedliche Kompetenz der bei der Verabschiedung jeweils anwesenden Ständevertreter zurück. So seien auf dem Ingolstädter Landtag 1516 nur die Stände des Oberlandes, auf dem Landshuter Landtag 1519 dagegen nur die Stände des Niederlandes zugegen gewesen. Dies ist unzutreffend, da die ober- und niederbayerischen Stände seit 1508 vereinigt waren. Die Tagungsorte Ingolstadt und Landshut drücken nicht das Zusammenkommen von Teilen der Gesamtlandschaft aus, sondern entsprechen dem ebenfalls 1508 festgelegten Turnus, wonach die Gesamtlandtage reihum in Straubing, München, Landshut und Ingolstadt stattfinden sollten2.82.
Um die Jahreswende 1518/19 muß ein Entwurf zur GO gefertigt worden sein, der mit späteren Zusätzen der Drucklegung zugrunde gelegt wurde2.83. Einerseits [Seite: S. 41] weist der Text dieses Entwurfs die korrigierte Form des Entwurfs 1516/17 auf, so daß er unter Zugrundelegung der oben gewonnenen Erkenntnisse nicht aus der Zeit vor dem Druck der LRRef. 1518 stammen kann. Andererseits ist der Landtag nach Ostern 1519 zu Landshut noch nicht, wie in der die Endfassung darstellenden Korrektur, erwähnt. Selbst dieser Entwurf wurde offenbar noch nicht als reif für den Druck angesehen, wie das Protokoll des Landtags zu Landshut unter dem 1.5.15192.84 zeigt:
Man hat auch an heut ainer Landschaft angezaigt, wie aus Bevelch
jungstgehalltner Landschaft zu Ingolstat ain Gerichtsprozeß, mit grosser muehe
unnd Costung vergriffen, darinnen aber noch etlich Articul nit erledigt. Darumb
sover es ainer Landschaft vermaint war, Wollt man etlich Landleut darüber
verordnen, die mitsambt den fürsten oder derselben Räthn, solich Articul
erledigtn. damit das Puch gemainen nuz zu guet In den Truckh. Unnd nachvolgennd
allenthalb Im Land In sein würckhung khomen möcht.
Das hat ir ain Landschaft vasst wol gefallen lassen. Unnd sind das dy
Verordenten.
Die verordenten zu dem Gerichtsprozeß
Abbt zu Nidern Alltaich
Brobst zu Innderstorff
Herr Hanns von Closen zu Arnnstorff unnd Gern
Herr Diettrich von Pleiningen zu Eysenhoven
Doctor Petter Paumgarttner
Achacj Pusch Hofmaister zu Freisingen
Statt München
Statt Lanndshuet
Etwas neues brachte jedoch auch dieser Ausschuß nicht mehr zustande. In die
Vorrede wurde lediglich noch der letzte Landtag eingefügt
auch nachvolgendt auf Jüngstem Landtag so der nach ostern negstverschinen zu
Landshut,
abermals korrigiert:
und nachvolgend auf dem Landtag nach ostern Im newnzehenden Jar
zu Landshut
und der Beisatz
und andern geteutschten Rechtspüchern sunderlich der stat wurmbs
gezogen, [Seite: S. 42]
der den Verordneten wohl zu offen auf die Quellen der Vorschriften hinzuweisen
schien, gestrichen.
Die spärlichen Korrekturen und Zusätze im Entwurf 1518/19 stellen die Endredaktion dar. Nach dem 8. Ges. des 10. Tit. vermerkte Kölner, dessen Schrift aufgrund des Schriftvergleichs identifiziert werden kann: hiebei die freiheit mit Iren Ursachen anzezeigen2.85.
Das damit gemeinte Appellationsprivileg, das zusammen mit einer Begründung zu seiner Erlangung als 9. Ges. eingerückt werden sollte, ist vermutlich gesondert entworfen worden. Ein Korrekturzeichen Kölners zeigt zusätzlich die Stelle, wo es eingearbeitet werden sollte. Der Entwurf der das Privileg enthaltenden Vorschrift ist nicht mehr auffindbar. Die Bezifferung der folgenden Gesatze des 10. Tit. (ursprünglich 9 ff.) ist entsprechend der Einfügung des Appellationsprivilegs als 9. Ges. entsprechend verschoben: das neunt gesatz: neunt gestrichen, darüber zehent u.s.w .
Auch im Text ist dem Appellationsprivileg Rechnung getragen. Neben dem 11. und 15. Ges.2.86 desselben Tit. finden sich die Zusätze: sach hundert gülden wert oder dahinter beträfe oder die appellation so und oder die haubtsach über hundert gülden nit.
Nach dem 6. Ges. des 13. Tit. (1. Abschn.) ist die Bemerkung eingefügt:
hie hat das puech ain ennd.
und sol weiter von form der clag
nichts gedruckt werden.
Es wurde damit zum Ausdruck gebracht, daß die Klageformulare, die dem Entwurf 1516/17 beigefügt waren2.87 nicht gedruckt werden sollten. Zwei weitere Abschnitte des 6. Ges. bekamen den Vermerk bedarf nit in druckh kumen2.88.
Auf einem eingelegten Blatt in kleinerem Format ist der Beschlus diser gerichtsordnung [Seite: S. 43] konzipiert, der in dieser Fassung als letztes Gesatz der GO gedruckt wurde und den St. Jörgentag 1520 (23.4.) nennt. Der letzte Schritt war der Entwurf eines Titelblattes und des Registers, wie sich aus der Tatsache ergibt, daß das Register bereits das Appellationsprivileg als 9. Ges. des 10. Tit. aufführt. Das Register weist in einzelnen Teilen die Handschrift Kölners auf2.89.
Der Entwurf des Titelblattes
gibt dem angesprochenen Künstler die Anordnung an, die er mit dem Titel und dem Bildschnitt einzuhalten hat.Offenbar wollte man nun endlich den Erfolg der langedauernden Vorarbeiten sehen. Ohne weitere Änderungen, die noch auf dem Landtag 1519 zu Landshut angesprochen worden sind, ging das Gesetz in der Form des Entwurfs 1518/19 in Druck.[Seite: S. 44]
Wie oben festgestellt wurde (2. Kap. /4), sind Hieronymus de Croaria und Augustin Kölner als Schöpfer der Appellationsvorschriften der GO anzusehen. Der Entwurf Croarias stellt das Fundament dar, auf dem Kölner durch Selektion, Korrekturen und Zusätze die Endfassung schuf. Um Anhaltspunkte bezüglich der Quellen, die bei der Schaffung der Vorschriften Verwendung gefunden haben könnten, zu gewinnen, ist es daher geboten, das Leben und Schaffen Croarias und Kölners näher zu betrachten. Nicht zuletzt soll durch die biographische Darstellung dieser für das Zustandekommen der Vorschriften in ihrer vorliegenden Gestalt nicht wegzudenkenden Persönlichkeiten auch der unmittelbare geistige Hintergrund der Kodifikation beleuchtet werden.
Croaria wurde 1460 oder kurz vorher3.1 in Konstanz geboren. Von seinen Vorfahren ist Nikolaus de Croaria erwähnt, der 1398 Hofpfalzgraf und Mitglied des königlichen Hofstaates wurde. Ulrich de Croaria ließ sich 1422 in Konstanz nieder3.2. Er dürfte der Großvater Hieronymus' gewesen sein. Der Vater Hieronymus' Friedrich de Croaria, war 1504 tot; von der Mutter, N. Sattler, weiß man lediglich, daß sie aus Waiblingen stammte3.3.
Croaria wurde 1476 in Basel immatrikuliert. 1486 kam er als Professor nach Tübingen3.4, wo er als utriusque iuris doctor eingeschrieben wurde3.5. In Tübingen war Croaria 1492 und 1496 Rektor3.6. 1497 wechselte Coraria an die bayer. Landesuniversität Ingolstadt, wo die Matrikel doctor, ordinarius iuris canonici vermerkten3.7.
Neben seiner Tätigkeit an der Universität bekam Croaria nun bedeutende praktische Aufgaben zugewiesen. 1498 wurde er von Herzog Georg dem Reichen von Landshut [Seite: S. 45] an dessen Hofgericht in Neuburg/Donau berufen in dessen Gerichtsbriefen er bis 1501 als Beisitzer erscheint3.8. Gleichzeitig wurde Croaria zum Ratskonsulenten der Stadt Nürnberg bestellt. Diese Aufgabe nahm er bis 1518 wahr3.9.
1501 erwarb Croaria Schloß Hornstein und heiratete Eva von Reischach (gest. 1537)3.10, Tochter des Konrad von Reischach, der ein Amt am Hofe Herzog Eberhards von Württemberg innehatte3.11. 1504 erhielt Croaria die kaiserliche Bestätigung des 1358 von König Wenzel der Familie erblich verliehenen Palatinats3.12. Im gleichen Jahre wurde Croaria herzoglicher Rat Albrechts IV. Dies ergibt sich aus einem Verzeichnis der herzoglichen Bediensteten3.13, wo auch zu ersehen ist, daß Croaria jährlich 100 Gulden Sold zuzüglich 20 Gulden für Futter für zwei Pferde erhielt3.14.
In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß Croaria neben diesen 100 Gulden aus seiner Ratstätigkeit für sein Wirken an der Ingolstädter Universität nach einer [Seite: S. 46] Erhöhung 125, später sogar 200 Gulden jährlich erhielt3.15
1507 wurde Croaria vom 3. Reichskreis zum Assessor am RKG nominiert, dann aber nicht gewählt. Ein Jahr später wurde Croaria Fiskalprokurator beim RKG, also Prozeßvertreter des Königs für die Rechte der Krone und des Reichs3.16. Er quittierte den Dienst in Ingolstadt vorübergehend, kehrte aber bereits 1509 vom RKG auf seinen Lehrstuhl zurück3.17. 1510 ist er als canonum ordinarius, decanus" erwähnt3.18.
1511 wurden seine Söhne Hieronymus und Martin in Ingolstadt immatrikuliert3.19.
Seit 1509 war Croaria Rat und Diener des Herzogs von Württemberg3.20. 1514 ist Croaria unter den Räten Herzog Wilhelms IV. in Ingolstadt erwähnt2.21, 1516 und 1523 als Rat und Diener von Haus aus3.22 von Pfalz-Neuburg3.23, wo er es zum Kanzler bringt3.24. Es ist anzunehmen, daß Croaria diese und die anderen erwähnten Ämter gleichzeitig innehaben konnte, wobei er von Fall zu Fall bald hier, bald dort in Anspruch genommen wurde.
1516 beendete Croaria seine Lehrtätigkeit in Ingolstadt2.25. 1516/17 war er unter Maximilian I. kaiserlicher Bundesrichter des schwäbischen Bundes3.26. Zuletzt trat er 1524 politisch hervor, als er sich um die Einigung aller Wittelsbacher Linien zur Sicherung der Kurwürde und gegenseitigen Erbfolge sowie um ein Schutzbündnis gegen die böhmische Gefahr bemühte3.27.
Croaria starb 15273.28.
Sein gleichnamiger Sohn Hieronymus de Croaria, der mit ihm oft identifiziert [Seite: S. 47] wurde3.29, war seit 1529 Landvogt an den Gerichten Höchstädt/Donau und Graisbach sowie Pfleger zu Monheim. Als Hofjunker Pfalzgraf Ottheinrichs wurde er als Astrologe tätig, wobei er das Geburtshoroskop Ottheinrichs für politische Fragen von höchster Tragweite auswertete. Dabei rief er den Nürnberger Astrologen Joh. Schöner zur Hilfe.
Hieronymus de Croaria der Jüngere starb 15363.30.
Von erheblichem Einfluß auf den GO-Entwurf war das Lehramt Croarias in Ingolstadt. Croaria hielt in den zwei Jahrzehnten, die er annähernd in Ingolstadt war, stets die "Lectura in decretis", während der andere Kanonist — es lasen stets zwei Professoren kanonisches Recht — die päpstlichen Novellen zu übernehmen hatte3.31. Durch das langjährige Verbleiben leistete Croaria einen wesentlichen Beitrag zur Kontinuität des Lehrbetriebes3.32. Gleichzeitig setzte es ihn in die Lage, vielfache Reformvorschläge für die Universität beizusteuern3.33. Den Studenten scheint das hohe Niveau Croarias lästig gewesen zu sein: seine Gelehrsamkeit bestreite niemand, aber er trage langweilig vor und sei eben manchen Studenten allzugelehrt, kurz er werde nicht gerne gehört3.34.
Sein Kollege Johannes Rosa3.35 tadelte Croaria gegenüber dem Rektor, daß er nicht, wie ursprünglich üblich, im Sommer um 5 Uhr und im Winter um 6 Uhr, sondern im Sommer um 8 Uhr und im Winter um 9 Uhr mit der Vorlesung beginne 3.36.
Andererseits war Croaria mit einigen Humanisten enger befreundet3.37. Konrad Celtis und Philomusus (= Jakob Locher) verkehrten in seinem Hause; ersterer versuchte Croaria nach Wien zu ziehen3.38. Die von Croaria besorgte Erstausgabe [Seite: S. 48] der Akten des Konstanzer Konzils 14143.39 bezeugt die Freundschaft zu Konrad Summenhart und Jakob Locher durch die als Einleitung gedachte Wiedergabe eines Briefes von Summenhart an Croaria (Conr. Summerhart Theolog. Profess. Tübingens, ad Hieron. de Croaria), einer Ermahnung Lochers (Jac. Locher ad eundem Hieronymum Carmen admonitorium) und einer Erwiderung Croarias (Croariae ad Summerhart et Locher amica responsio). Der Druck schließt mit einem Elogium Philomusi ad Constantiam3.40. Von Locher wiederum ist überliefert, daß er ein Schüler und Freund von Sebastian Brant war, der ein Jahr vor Croaria (1475) in Basel immatrikuliert worden war3.41. Daraus ergibt sich, daß Brant und Croaria zumindest näher bekannt waren. Das Band, das diese Männer auch in späteren Jahren zusammenhielt, war ihre Herkunft aus dem schwäbisch-alemannischen Gebiet und ihr Wirken an den Universitäten Basel und Tübingen. Die Zusammenhänge sollen mit folgendem Überblick veranschaulicht werden: [Seite: S. 49]
Die meisten von Summenharts Werken sind wie Croarias Aktenedition in Hagenau publiziert3.42. [Seite: S. 50]
Croaria bewirkte auch die Berufung des 24-jährigen Johannes Eck nach Ingolstadt3.43, der wiederum die erste seiner Reden dort Augustin Kölner als besonderem Gönner der Landesuniversität widmete (1512)3.44.
Aus der Ingolstädter Zeit ist die Niederschrift einer Vorlesung Croarias über das Gewohnheitsrecht erhalten3.45. Es handelt sich vermutlich um eine am Ende der Lektionen von Croaria diktierte Kollegnachschrift3.46. Auf Bl. 027 RS beginnen sechs Konklusionen über den Glossensatz consuetudo ex errore introducta non valeat. Über der quinta conclusio3.47 befindet sich der Zusatz de Appella. Der folgende Text ist jedoch nur bruchstückhaft zu entziffern, so daß der Inhalt im Dunkeln bleibt. Aufschlußreich ist jedoch der abschließende Satz Iste conclusiones poss. recipi ex doctrina Jo is Andree ... Auch auf der RS des Blattes ist Johannes Andreae genannt.
Schließlich soll noch die gutachterliche Tätigkeit Croarias erwähnt werden. Sein Gutachten über eine Ehestreitigkeit (1510) fand so große Beachtung, daß es Claudius Cantiuncula in seine Fallsammlung (Köln 1572, S. 499) aufnahm3.48.
Kölner wurde um 14703.49 in Neustadt/Donau3.50 geboren. Er stammte aus einem "ansehnlichen bürgerlichen Geschlecht"3.51.[Seite: S. 51]
1487 wurde Kölner in Ingolstadt immatrikuliert3.52. Welcher Fakultät er angehörte, ist der Eintragung nicht zu entnehmen. Aus den Umständen im späteren Leben Kölners ist zu vermuten, daß er entweder ein theologisches oder ein juristisches Studium absolviert hat. Die Mitwirkung bei der Erledigung mannigfaltiger Verwaltungsaufgaben und bei der Gesetzgebung läßt diesen Schluß zu, da Kölner in beiden Fällen zumindest mit den Grundzügen römisch-kanonischen Rechts in Berührung gekommen ist. Für eine theologische Ausbildung spricht die spätere Verwendung Kölners in der herzoglichen Kanzlei, wo Kölner nachweisbar ab 1497 wohl bis an sein Lebensende tätig war. Die Kanzlei war nämlich zu dieser Zeit noch weitgehend dem Klerus vorbehalten. Einer der Gründe dafür war die Übung, das Kanzleipersonal anstelle einer Besoldung mit Pfründen, die der Verfügungsgewalt des Herzogs in größerer Zahl unterlagen, zu versehen — eine Übung, die auf das kirchenrechtliche Verbot für Kleriker, weltliche Ämter zu übernehmen, zurückzuführen ist3.53. Andererseits bekam Kölner gerade ein weltliches Amt, nämlich das des fürstlichen Lehenpropstes, 1518 übertragen3.54. Dieses Amt bestand in jedem bayer. Viztumsamt und hatte die Verwaltung der betreffenden Lehen, insbesondere die Führung der Lehensbücher, zum Inhalt3.55. Es ist nicht zu verwechseln mit dem der kirchlichen Pröbste3.56. Die Innehabung dieses Amtes weist wieder eher auf ein juristisches Studium Kölners hin.
Mit welchem Grad Kölner das Studium abschloß, ist ebenfalls nicht bekannt. Das Fehlen einer Promotion durfte für den weiteren Werdegang ohne Bedeutung gewesen sein, da zu dieser Zeit die Promotion nur noch eine kostspielige Ehrenangelegenheit war3.57.
Bereits 1497 ist Kölner als Sekretär Herzog Albrechts erwähnt3.58. Zu Beginn seiner Laufbahn dürfte ihn sein Schwager, der herzogliche Sekretär Sigmund Kraus, unterstützt haben3.59. Kölner fungierte nach 1506 als Geheimschreiber Herzog Albrechts und als Vorstand des Münchner Zollhauses3.60 Stellungen, die bereits auf ein enges Vertrauensverhältnis zum Herzog hinweisen. Erste diplomatische [Seite: S. 52] Aufgaben erledigte Kölner nach Beendigung des Landshuter Erbfolgekrieges, als er zu Verhandlungen nach Neuburg geschickt wurde3.61.
Zusammen mit seinem unmittelbaren Vorgesetzten, dem Kanzler Dr. Neuhauser und den weiteren Sekretären Taschinger, Prucker und Steger leistete Kölner 1508 den Canntzley Ayd auf Herzog Wolfgang, den Vormund des noch minderjährigen Herzogs Wilhelm3.62. 1512 leisteten einige neue Räte ihren Ratseid in Gegenwart eines kleinen Ratsgremiums, dem auch Kölner angehörte3.63), was die Annahme rechtfertigt, daß Kölner bereits zu dieser Zeit eine nicht unbedeutende Stellung unter den Räten einnahm. Auch beim Ratseid des Dr. Ridler 1513 war Kölner zugegen, wobei er als protonotarius3.64bezeichnet ist65, in der Ämterliste von 1514 folgt Kölner auf den Kanzler Joh. Neuhauser als erster Sekretär in der Kanzlei3.66. Hinzugefügt ist: Hat sich eingetrungen, solt Protonotarius bey Hzg. Wilhelm gewesen sein, ist der Nam Ime genomen, soll Secretarius allain sein, und nichts hinder ainem Cannzler frevenlich ausschreiben, sonst kapitlt worden, daß Er sich baß dann bißher halt, unnd aigennüzigkait abstelle. Dementsprechend enthält der "Kapittlzedel" vom gleichen Jahre3.67 nach der Überschrift Dise sein wol gecapitlt worden ires Unwesens oder unfleys halber an erster Stelle Kölners Namen.
Dieser offizielle Tadel, verbunden mit einer wohl mehr formellen als faktischen Degradierung, war offenbar dadurch veranlaßt, daß Kölner den Kanzler umgangen hatte. Es scheint jedoch, daß die Stände, die sich zu dieser Zeit auf dem Höhepunkt ihrer Macht befanden, diesen Umstand mehr als Vorwand benutzten, um Kölner, der sicher nicht zu Unrecht als Wegbereiter einer umfassenden herzoglichen Zentralgewalt angesehen wurde, politisch auszuschalten3.68. Auf der anderen Seite scheint das offizielle Vorgehen des Herzogs gegen Kölner mehr eine taktische Maßnahme gegenüber den Ständen gewesen zu sein, da Kölner [Seite: S. 53] bereits 1515 wieder zu den auf den Landtag zu Landshut verordneten Räten gehörte, die die selbst nicht erschienenen Herzöge vertreten mußten3.69. Ein bezeichnendes Licht auf die Vertrauensstellung Kölners zu Herzog Wilhelm, die unter dem formellen Tadel von 1514 nicht gelitten hatte, wirft ein geheimes Schreiben, das Kölner vom Landshuter Landtag 1515 an den gerade am kaiserlichen Hof zu Kaufbeuren weilenden Herzog richtete3.70. Obwohl am gleichen Abend ein offizielles Schreiben aller Räte an Herzog Wilhelm verfaßt worden war3.71, gab Kölner in seinem Brief3.72 noch gesondert Beobachtungen und Ratschläge durch. Aus dem Inhalt geht hervor, daß Kölner als persönlicher "Beobachter" Wilhelms eingesetzt worden war. Demgemäß berichtete Kölner über das Verhalten sowohl der Landsassen als auch Herzog Ludwigs und. "dessen" Räte, wobei er Herzog Wilhelm riet, baldigst persönlich zum Landtag zu erscheinen, um eine weitere Verständigung Herzog Ludwigs mit der Landschaft zu verhindern. Der Stil des Briefes mit seiner dezidierten Stellungnahme zu Detailfragen verrät, daß Kölner trotz aller Ehrerbietung in formeller Hinsicht als engster Vertrauter des Herzogs anzusehen ist, dessen Wort großes Gewicht zukam.
Auch in der Folgezeit tauchte Kölner immer wieder unter den zu speziellen Aufgaben delegierten Räten auf3.73, 1515 wurde er zusammen mit Aventinus, Leonhard v.Eck und Dr. Ilsung als Kommissar zur Schlichtung eines Zwiespalts zur Universität Ingolstadt geschickt3.74.
Auch nach der Zeit der Redaktion von LRRef. und GO, die Kölner in nicht unerheblichem Maße in Anspruch genommen haben dürfte, findet sich sein Name wieder. Unter dem 30. 6.1521 erfolgte eine Erbteilung eines Jörg Mölltzer, Bürger zu München, mit Kölner3.75. 1526 erscheint Kölner als Mitunterzeichner der Blutbannverleihung an den Schultheiß der Stadt Regensburg3.76, 1528 reiste er zusammen mit Leonhard v. Eck in herzoglichen Geschäften nach Reichenhall, 1534 wurde er vom Herzog als dem damaligen Administrator Badens als Erster Kommissar dorthin gesandt3.77, wo er von 1536 -1539 regelmäßige [Seite: S. 54] Berichte über die Durchführung der Gegenreformation nach München erstattete3.78. Vom 4.12.1539 liegt ein Brief Kölners an seinen Vetter, Kanzler Thomas Rudolf, Dr. der Rechte, zu Landshut vor, der den Druck und die Verteilung eines Münzmandats zum Gegenstand hat3.79.
Das letzte Lebensjahrzehnt verbrachte Kölner offenbar mit archivalischen Arbeiten, die er ausweislich seiner handschriftlichen Eintragungen schon 1506 begonnen hatte und in der Folgezeit ständig weiterführte3.80, sein Hauptverdienst auf diesem Gebiete ist die Ordnung und Repertorisierung des durch Landesteilungen und Plünderungen in Unordnung geratenen herzoglichen Archivs3.81. Kölner konnte dabei seinen Freund Aventinus mit Urkunden unterstützen und ihm durch Einsichtgewährung in seine Repertorien und Urkundensammlungen Hilfe leisten3.82.
Zu erwähnen ist noch die historische Abhandlung De bello palatino boico, mit der Kölner im Auftrage Albrechts IV. die "offiziöse, aktenmäßig amorphe Darstellung"3.83 des Landshuter Erbfolgekrieges vorlegte. Es handelt sich dabei um tagebuchartige Aufzeichnungen, die nicht veröffentlicht, sondern als amtliche Kriegschronik im herzoglichen Archiv hinterlegt wurden. Von den drei Bänden ist nur noch der zweite erhalten, der den Krieg von April 1504 bis Februar 1505 beschreibt3.84.
Schließlich schuf Kölner auch ein geographisches Werk, Designationem Bavariae geographicam, in deutscher Sprache geschrieben, das aber ungedruckt blieb3.85.
Kölner starb wahrscheinlich 15493.86.
Aus den Lebensdaten Croarias und Kölners kann bereits auf die Rolle geschlossen werden, die beide bei der Redaktion der GO spielten. Während Croaria das gelehrte Element verkörperte, das die dogmatischen Grundlagen zu schaffen hatte, war es die Aufgabe des Universalpraktikers Kölner, das Werk für den täglichen Gebrauch von Überflüssigem und Unverständlichem zu befreien und praxisbezogene Gesichtspunkte einzuarbeiten. Durch diese "Arbeitsteilung" leisteten beide ihren Beitrag zur Endfassung des Gesetzes.[Seite: S. 55]
Weder in den Entwürfen zur LRRef. und GO noch in den Belegstellen, aus denen sich Croarias und Kölners Lebenslauf ergibt, sind die Quellen, aus denen die Appellations-Vorschriften geschöpft sein könnten, unmittelbar ersichtlich. Es handelt sich daher im folgenden um einen Versuch, mittels Textvergleichs die Gesetze und sonstigen Schriften zu ermitteln, die mit hoher Wahrscheinlichkeit als Quellen der Appellations-Vorschriften der GO angesehen werden können.
Einen ersten Hinweis gibt die Vorrede zur GO, die mitteilt, daß die Regelungen Ainstails aus des heiligen reichs Camergerichtsordnung gezogen. Auch zum tail von neuem zusam verfassen und vergreiffen worden sind, wobei im Entwurf 1516/174.1 hinter Camergerichts Ordnung noch der Zusatz und anderen geteutschten rechtspuechern sowie die Anmerkung am Rande sunderlich der statt Wurmbs folgte.
Daraus ergibt sich, daß für den Vergleich sämtliche RKGOen, die vor der GO ergangen sind4.2 sowie die Wormser Stadtrechtsreformation von 1498 heranzuziehen sind4.3. [Seite: S. 56]
Die beiden jüngeren Drucke sind bezüglich der Appellations-Vorschriften mit dem älteren bis auf geringe Abweichungen in der Schreibweise identisch. Beachtlich ist jedoch, daß sie sich etwa zur Zeit der Redaktion der GO in Bayern befanden. Der Druck 1507 enthält außer der Wormser Reformation ein Landgebot Herzog Albrechts von 1507, und der Druck 1513 enthielt ausweislich der Inhaltsangabe auf einem Aufkleber sowie auf Bl. 3 des Bandes neben der Wormser Reformation die GO 1520 und die Landesordnung 1516, die später herausgerissen wurden und nunmehr fehlen. Der handschriftliche Eigentümervermerk im Druck 1513 weist das Kloster St. Quirin in Tegernsee unter der Jahreszahl 1520 aus. Dies wirft ein Licht auf die Orientierung der bayerischen Praktiker über die Landesgrenzen hinweg, die auch in Erkundigungen zum Ausdruck kommt, die Herzog Wilhelm 1513 bezüglich Steuerangelegenheiten in anderen Ländern einholen ließ, wovon Auskünfte über die Regelung der Pfalz, Württembergs und Nürnbergs erhalten sind4.4.
Die Nachweisbarkeit von Rechtssätzen der Nürnberger Stadtrechtsreformation von 1479 in der LRRef. 15184.5 legt nahe, die Appellations-Vorschriften der GO auch auf Parallelen zur Nürnberger Reformation zu untersuchen4.6.
Die Tätigkeit Croarias als Ordinarius für kanonisches Recht gebietet bei der Suche nach möglichen Quellen ein weites Ausholen auf dem Gebiete des kanonischen Prozeßrechts.
Als Vergleichstexte werden hier in erster Linie verwendet:
a) der Ordo iudiciarii des Tancredus, verfaßt um 1215. Es ist
anzunehmen, daß Croaria dieses überaus wichtige Werk, dessen Liber IV von der
Appellation handelt, kannte, wenngleich der Ordo z.Z. Croarias in der
Ingolstädter [Seite: S. 57] Bibliothek nicht vorhanden war4.7.
b) das Speculum iudiciale des Guilelmus
Durantis (gestorben 1296), verfaßt zwischen 1271 und 12914.8. Es findet sich z.Z. Croarias in drei Bänden im Bestand der
Ingolstädter Bibliothek4.9. [Seite: S. 58]
c) die Additionen zum Speculum des Durantis
von Johannes Andreae und Baldus4.10. Auch sie
waren in der Ingolstadter Bibliothek vorhanden4.11. In dem verwendeten Druck des Speculum
sind sie bereits eingearbeitet.
d) die Practica nova des Johannes Petrus de Ferrariis, eine
zwischen 1400 und 1414 verfaßte Sammlung von "formae" mit Kommentierungen, die
erstmals 1473 in Speyer gedruckt wurde4.12. Sie fand in
Deutschland schnell Verbreitung und ist u. a. in der Ingolstädter
Bibliothek4.13 und in
Nürnberg4.14 nachweisbar4.15.
Neben diesen in erster Linie herangezogenen Vergleichstexten kommen zu Einzelfragen die Summa Hostiensis, die Practica aurea des Panormitanus, der Ordo "antequam" und der Layenspiegel Tenglers zur Anwendung. Die Summa Hostiensis, auch Summa aurea des Henricus de Segusio wurde 1253 vollendet [Seite: S. 59] und stellt die bedeutendste Summe der Dekretalistik dar4.16. Sie war ebenso wie die Practica aurea des Nicolaus de Tudeschis, genannt Panormitanus (gestorben 1445), dem bedeutendsten Kanonisten der Spätzeit4.17, zur Zeit Croarias in Ingolstadt vorhanden4.18. Die Practica aurea zitiert häufig den Ordo Tancredi, das Speculum des Durantis, die Additionen dazu von Johannes Andreae und die Summa Hostiensis ("Tancre., guil. in Spec., Jo.an.in addi. spe., summa Hosti."). Auch dies ist ein Hinweis dafür, daß die Heranziehung dieser Schriften als Vergleichstexte einen relativ vollständigen Überblick über das kanonische Prozeßrecht gewährt.
Der Ordo "antequam", eine aus Frankreich stammende Prozeßsumme, deren Verfasser unbekannt ist4.19 und die deshalb mit ihrem Anfang gekennzeichnet wird, ist nach 1215 in Anlehnung an den Ordo Tancredi entstanden und fand in Deutschland große Verbreitung4.20. Der Layenspiegel Ulrich Tenglers schließlich (entstanden vor 1509) dürfte zwar von Croaria nicht unmittelbar verwendet worden sein, da er sich mehr an den Nichtjuristen wendet und damit zwangsläufig eine niedere Ebene beschreitet. Gerade darin liegt jedoch eine Parallele zu der Arbeit, die Croaria mit der Schaffung der GO zu leisten hatte. Der ebenfalls in Deutsch geschriebene Layenspiegel steht bezüglich der sprachlichen wie der sonstigen regionalen Gepflogenheiten in näherer Verwandtschaft zur GO, zumal der aus Heidenheim stammende Tengler ab 1483 Landvogt zu Hochstedt war, das damals zum Herzogtum Bayern-Landshut gehörte4.21. Es ist anzunehmen, daß gerade die Einflüsse der bayer. Gerichtspraxis dieser Jahre im Layenspiegel weitgehend Verwendung fanden.
Wenn es gilt, allgemeine römisch-rechtliche Institute aufzuzeigen, wird soweit erforderlich, die Prozeßrechtsdarstellung von Wetzell als Hilfsmittel verwendet4.22.
Der folgende Textvergleich folgt im Aufbau der Anordnung und der Reihenfolge der Appellations-Vorschriften in der GO. Der Erörterung der einzelnen Gesatze ist jeweils der vollständige Gesetzestext vorangestellt, dem — soweit vorhanden — die entsprechende Regelung im Entwurf Croarias (1514), die der GO zugrundegelegt worden ist, gegenübergestellt wird. Auf diese Weise kann unschwer erkannt werden [Seite: S. 60], in welchem Umfange Kölner Zusätze, Änderungen oder Streichungen vornahm. Gleichzeitig liegt damit eine ausführliche Textbasis vor, die die vorzunehmenden Vergleiche in befriedigender Weise ermöglicht.
Die Begriffsbestimmung der Appellation, die im ersten Abschnitt der Vorschrift gegeben wird, ist an die kanonischen Vergleichstexte angelehnt:
Während im Speculum Tancredus zitiert wird, verweist Segusio auf Azo. Außerdem ist in der Summa aurea die Definition durch Einbeziehung des Suspensiveffekts erweitert: Vel dic ap. est iurisdictionis prioris iud. per invoca. superioris rite facta suspensio. Diese Definitionen erscheinen mehr oder weniger vereinfacht im Ordo "antequem", Appellatio est provocatio facta a minore iudice ad maiorem iudicem, de iniqua sententia, vel iniquo gravamine in einer Gerichtsordnung, die die Übersetzung eines Orda iudiciarii, vielleicht sogar des Ordo "antequam", darstellt4.23, beruffn von dem myndern zu dem merern Richter und in dem Freisinger Rechtsbuch 13284.24 dingen um ein igleich sach ... für den hoehern richter.
Mit Ausnahme dieser letzten Stelle sind ähnliche Definitionen aus dem bayerischen Rechtskreis nicht überliefert.
Ein Element, das in den grundlegenden kanonischen Schriften nicht vorhanden ist, brachte Croaria mit dem Erfordernis der Förmlichkeit in die Definition ("so sy formlich beschehen").
Kölner vervollständigte schließlich die Vorschrift, indem er entsprechend der bayerischen Gewohnheit die Appellation mit dem Dingen gen Hof gleichstellte ("das man im Fürstenthumb Bairn nennt dingen"). Das Hofgeding war in Bayern der althergebrachte Weg, Urteile und sonstige Maßnahmen während des Verfahrens anzufechten4.25. Es ist als solches im Münchner Satzungsbuch B (1295-1313)4.26, im Freisinger Rechtsbuch (1328)4.27 und im Münchner Stadtrechtsbuch (1365)4.28 benannt. Noch 1440 spricht der bayer. Gesetzgeber lediglich [Seite: S. 62] vom Dingen gen Hof, ohne die Bezeichnung Appellation zu verwenden4.29. Erstmals 1444 ist "appellieren" und "appellierens Recht" nachweisbar4.30. Das Landgebot 14644.31 spricht wiederum lediglich von "Geding", das von 14684.32 von "Appellation und Geding", obwohl es lediglich den Inhalt des Landgebots 1464 wiederholt. In den folgenden Landgeboten4.33 und in der Landesordnung 14744.34 sind Appellation und Hofgeding bzw. "appellieren und dingen" immer nebeneinander genannt. Im LGeb 15024.35 ist nur noch von Appellation die Rede, wobei daneben erstmalig die Bezeichnung "Berufung" verwendet wird.
Während Croaria lediglich in Art. 24 (10. Tit.), einer Regelung, die speziell auf das bayerische Verfahren der Aktenedition vom Untergericht zum Hofgericht zugeschnitten ist und von Kölner nicht übernommen wurde, weil das Recht zur Aktenedition anstelle der Ausfertigung von Aposteln gem. dem 16. Ges. des 10. Tit. GO dem Hofgericht gegenüber dem RKG vorbehalten bleiben sollte, die Bezeichnung "geding" verwendete, im übrigen aber nur von Appellation sprach, arbeitete Kölner an den meisten einschlägigen Stellen den herkömmlichen Begriff mit ein ("Appellation und Geding" und "appellieren und dingen" im 1., 2., 3., 5., 6., 10., 13. und 15. Ges. d. 10. Tit.): Seltener ist die synonyme Bezeichnung "Berueffung" bzw. "berueffen", die schon von Croaria verwendet wird. Am Anfang des 2. Abschnitts des 1. Ges. faßt Kölner die gleichbedeutenden Begriffe zusammen ("Appellation / geding / und berueffung"). In der Weiterverwendung der alten Bezeichnung durch Kölner ist das Bestreben erkennbar, die Kontinuität des Instituts Geding zu wahren, auch wenn es mittlerweile zur Appellation um- bzw. ausgeformt war.
Wann diese Umformung, also die weitgehende Rezeption des römisch-kanonischen Appellations-Rechts in der Gerichtspraxis vor sich ging, ist nicht unmittelbar Gegenstand dieser Arbeit. Der Vollständigkeit halber sei der Lehrstreit darüber zwischen Stölzel und Rosenthal erwähnt. Rosenthal4.36 sah das Dingen gen Hof bereits im 14. und 15. Jh. als mit der Appellation nahezu identisch an, während Stölzel3.37 den Wandel von [Seite: S. 63] der Urteilsschelte zur Appellation in die 2. Hälfte des 15. Jh. legte4.38. Schlosser4.39 hat zu Recht Pauschalisierungen in diesem Maße abgelehnt und eine Differenzierung nach der Art der Urteilsfindung vorgenommen: Im Frage- und Folge-Verfahren habe das Geding weitgehend Urteilsscheltencharakter, bei Urteilsfindung nach Buchsage weitgehend Appellations-Charakter gehabt. Für diese Auffassung spricht, daß der nach Buchsage richtende Richter statt des Umstandes gewissermaßen das Rechtsbuch "anfragt", der Vorwurf der Rechtsbeugung, den die Urteilsschelte darstellt, folgerichtig gegen das "Buch" hätte gerichtet sein müssen. Anstelle des Vorwurfs der Rechtsbeugung mußte daher hier schon sehr früh (Mitte des 14. Jh.) ein echter Rechtszug treten, der Interpretationsfehler — denn nur solche konnten dem das Buch zugrundelegenden Richter unterlaufen — durch den Gerichtsherrn, den Herzog, revisibel machte.
Die im 5. Kap. dargestellten Untersuchungen anhand der bayerischen Gerichtspraxis werden zeigen, daß das Hofgeding in der zweiten Hälfte des 15. Jh. mit den römisch-kanonischen Appellations-Formalien durchsetzt war, also als Appellation unter Beibehaltung auch der herkömmlichen Bezeichnung Geding angesehen werden kann.
Weder die Beibehaltung einer herkömmlichen Bezeichnung wie "Dingen" noch die vorangestellte Definition, wie sie im 1.Ges. in Anlehnung an die kanonischen Schriften erfolgt ist, hat Parallelen in den vorausgegangenen RKGOen und Stadtrechtsreformationen.
Der 2. Abschnitt der Vorschrift, der zu den eigentlichen Regelungen überleitet, weist einen bemerkenswerten Zusatz Kölners auf. Während Croaria lediglich auf die folgenden Vorschriften verweist ("wie hernach gesetzt ist"), läßt Kölner die Unvollständigkeit der Regelungen ("zum tail in disem Tittl ...") durchblicken, wobei er subsidiär die "geschriben Rechte" angewendet wissen will. Was Kölner unter dem schillernden Begriff "geschriben Rechte" verstand, und ob er bewußt mit dieser Mehrdeutigkeit arbeitete, bleibt ungeklärt. Die Vorrede zur GO spricht von "kayserlichen und gemainen geschriben Rechten", so daß lediglich an Reichsrecht, aber auch an das Corpus iuris gedacht werden kann4.40.
Möglich ist auch, daß Kölner nur das Fehlen einer Regelung des zweitinstanzlichen Verfahrens in der GO im Auge hatte, das verständlicherweise in den [Seite: S. 64]RKGOen sehr eingehend normiert war4.41, worauf Kölner mit der Verweisung hätte Bezug nehmen können. In diesem Falle wäre die Mehrdeutigkeit den bayerischen Hofrichtem zugute gekommen, da sie ihnen einen weiten Spielraum bezüglich der beim Verfahren zu beachtenden Vorschriften einräumte4.42.
Die Interpositionsfrist ("innerhalb zehen tagen") entspricht dem römisch-rechtlichen decendium4.43 wie es auch bei Tancredus [Seite: S. 65] Et debet fieri appellatio intra decendium a die latae sententiae, sive sententia, a qua appellatum fuerat, sit interlocutoria, sive diffinitiva (S. 458), und Durantis Quando et intra quod tempus appellandum sit. ... Semper infra decendium ..." (5. Kap. § 1) erscheint.
Auch die erst durch Kölner vorgenommene Präzisierung des Fristbeginns ("sopaldt er der wissen empfächt", "unnd seins empfanngen Wissens") geht auf die kanonischen Vergleichstexte zurück:
Parallelen zeigen die Stadtrechtsreformationen, die zwischen Appellations-Einlegung sofort ("zu stund im fußstapffen nach erofmung der urteil" u. ä.) und innerhalb des decendiums differenzieren, was eine unterschiedliche Form zur Folge hat (dazu unten):
Worms 2. Buch 1. Tit. 1. Abschn.: ... Welcher aber nit zu stund im fußstapffen nach eroffnung der urteil appellirt oder das yn bedeucht das er nit formlich appelliret hette. der mag innerhalb X. tagen, auch vo der zeit seins wissens so er die urteil vormals nit gehört und gewist hette. in schriftten appellim ...
Nürnberg 10 Tit. 1. Ges. ... und so die partheyen davon (Anm.: von einem Beiurteil) nit appelliern In zehen tagen dernach den nechsten / So gewinnet sie irenhalb die krafft einer berechten sache.
6. Ges. ... (Anm.: Bei streitigen Endurteilen) sol die sach Rechtlicher execution und volziehung ir rw und anstal haben zehen tag ... und auff verscheynung [Seite: S. 66] derselben wo der antwurter frevenlich / oder nit geappelliert hette / sol mit volstrekung des Rechten sovil ergeen ... als Recht ist.
10. Ges. So zwischen partheyen entliche urteyl außgeen / und davon nit appelliert wirdt In zehen tagen nach gerichtlicher irer offnung ... So entpfecht sie und hat die krafft einer berechten sachen ...
12. Ges. (1503) Wo aber der Appellirend tayl sein appellation / nit mit lebendiger stym / und alßpald nach eröffenter urtayl vor sitzendem gericht thet / und sich doch mit gesprochner urtayl vermeynt beschwert zesein. So soll solche sein app. beschehen In zehen tagen den nechsten nach eröffnung der urtayl ...
Die Fristberechnung ("von stund zestund") ist in den Vergleichstexten nicht nachweisbar. Sie erscheint aber in dem RA 15354.44 § 10: ordnen und wollen wir, daß die Unterrichter ..., die Stunde der gesprochenen Urteil ... in actis anzeigen sollen.
Möglicherweise wurde eine entsprechende gerichtliche Übung dieser Zeit erstmalig von Croaria in die Regelung der Einlegungsfrist mit einbezogen.
Die Interposition der Appellation beim iudex a quo (vor dem Richter der das urteil / davon man appellirn wil / gefellt hat) entspricht einem von den kanonischen Vergleichstexten vorausgesetzten Grundsatz des römischen Rechts4.45, der bei Jo.Pe.de Ferrariis ausgesprochen ist (Forma app. a snia diff.): Quinto queritur consequenter coram quo interponi debet appellacio. Dic quod coram illo qui sniam (Anm.: sententiam) tulit ut dicta ...
Dieser Grundsatz stimmt mit dem herkömmlichen Verfahren beim Dingen gen [Seite: S. 68] Hof insoweit überein, als das Hofgeding ebenfalls beim Unterrichter seinen Ausgang nahm.
Das grundsätzliche Verbot, die Appellation vor Notaren einzulegen ("und nit vor Notarien") wurde bereits in dem erwähnten Ratschlag zu einem Landgebot 14444.46 vorgeschlagen: Es soll auch kein Laye mit keinem Notar oder offenen Schreiber dingen, noch mit Instrumenten umgehen, sondern des Rechtens Gerichtsbrief nehmen ... als Appellirens recht ist.
Die Berufung auf "Appellirens recht" indiziert die Kenntnis und die Verwertung eines entsprechenden römisch-rechtlichen Rechtssatzes, wie er auch in der Wormser Reformation zum Ausdruck kommt: ... doch das sölichs beschehe vor dem Gericht oder Richter von dem appellirt wirdt so derselb Richter zubekommen were. Wo aber die appellirend parthy das Gericht oder den Richter nit ankommen, und des seynen gethanen fleiß beweisen so möcht sölich Appellation vor einem bekanten glaubwirdigen Notarien und gezeugen geschehen (1. Tit. 1. Abschn.).
Hier ist gleichzeitig der erste Fall, in dem auch die GO die Einlegung der Appellation vor einem Notar zuläßt (2. Abschn. den Richter ... nit sopald erraichen oder gehaben möcht), erkennbar, wobei die GO statt Notarien und gezeugen vor erbern leuten / unnd ainem Notari setzt, ohne damit einen sachlichen Unterschied zu beinhalten.
Diese Ausnahme bei Abwesenheit des Richters geht auf das römische Recht zurück4.47. Die "erbarn leute" könnten einer Stelle bei Jo.Pe. de Ferrariis entnommen sein: Et si fortassis nec superioris iudicis possit haberi copia. Tunc debet appellans coram honestis personis de sua appellatione protestari et sic excusabitur.
Der zweite Fall, in dem die Einlegung der Appellation zum Hofgericht vor dem Notar für zulässig erklärt wird, stammt ebenfalls aus dem römischen Recht ("aus forcht / vor demselben Richter / nit erscheynen dörfft")4.48. Die zugrundeliegende Stelle (C. liber VII. De his qui per metum iudicis non appellaverunt) beruht auf einem Einzelfall, in dem Kaiser Septimus Severus eine Appellation [Seite: S. 69] bei der der Appellant aus Furcht vor dem Unterrichter die Einlegung bei diesem nicht wagte, als zulässig ansah4.49.
Anders als die GO und die Wormser Reformation geht das 12. Ges. (1503) der Nürnberger Reformation nicht von einer grundsätzlichen Unzulässigkeit der Einlegung vor Notaren aus. Die Vorschrift erklärt die Errichtung eines Notarinstruments bei Appellation zum Rat der Stadt, der im Instanzenzug mit dem bayerischen Hofgericht gleichzustellen ist, lediglich als unnötig: Doch ist in Appellationsachen für ain Rat unnot söllich schrifften / durch ain Notarium in form ains offen Instruments zuthun.
Aus dieser Regelung ist der Gegenschluß zu ziehen, daß bei einer weiteren Appellation zum RKG die Einlegung der Appellation vor einem Notar erforderlich ist. Während dies hier nicht ausdrücklich und im Wormser Stadtrecht überhaupt nicht ausgesprochen ist, hat Kölner diesen Grundsatz in die GO aufgenommen(1. Abschn. 2. Teil). Er beruht auf einer entsprechenden reichsrechtlichen Regelung, nämlich dem 4. Tit. der RNotO 15124.50, der "Von Appellations-Instrumenten" überschrieben ist und die Form der Notarinstrumente, mit denen die Appellation zum RKG einzulegen ist, zum Gegenstand hat. Diese Vorschrift setzt voraus, daß die Appellation zum RKG vor einem Notar einzulegen ist. Kölner sah sich der Tatsache gegenüber, daß die Appellation zum RKG als dritter Instanz vor den Untergerichten, die das zweitinstanzliche Hofurteil verkündeten, eingelegt wurde. Von dieser Übung sollte ausweislich des 8. Ges. (3. Abschn. ) nicht abgegangen werden (s. u.). Kölner beschritt daher den Weg, das Erfordernis der Einlegung vor einem Notar lediglich für Appellation zu statuieren, die von erstinstanzlichen Hofurteilen ("von den urteyln / so vor den Fürstlichen hofgerichten und in den Vitzdombambten vor Vitzdomben und Räten / in freyen unwilkürten Rechten außgeen") zum RKG gehen. Die "freyen unwilkürten Rechte" stehen dabei im Gegensatz zu "wilkürten Rechten", um streitige Hofurteile von den "Abschiden", die teils Vergleichs-, teils Schiedsspruchscharakter hatten, abzugrenzen4.51. Daß die Appellation gegen zweitinstanzliche Hofurteile nicht vor dem Notar eingelegt werden mußte (8. Ges. 3. Abschn.), dürfte keinen Konflikt mit dem RKG ausgelöst haben, da das RKG Landesbrauch gegenüber Reichsrecht gelten ließ4.52.
Für die Einarbeitung der Regelung der Interposition vor Notaren mag neben der Angleichung an die RNotO die praktische Erwägung gesprochen haben, daß die [Seite: S. 70] nur sporadische Abhaltung von Hofgerichtstagen in den Vitztumsämtern4.53 eine Einlegung erst innerhalb des decendiums oft nicht möglich machte. Erst die Interposition vor einem Notar ermöglichte die Ausschöpfung der vollen Frist in diesen Fällen.
Der 3. und 4. Abschnitt des 3. Ges. beinhaltet eine Klarstellung, daß im Frage-und-Folge-Verfahren die Einlegung bei dem anfragenden Richter ausreichend ist. Diese Klarstellung war wegen des nur in Bayern herrschenden Dualismus der Urteilsfindung4.54 geboten. Parallelen finden sich auch in den Städten, wo nach Frage und Folge geurteilt wurde (z.B. Nürnberg, 12. Ges. StRRef.: "mag sich der Richter / bey dem gericht und urtaylern erkundigen und erfarn ...") und wo sich daher das gleiche Problem ergab, nicht. Auch zu der Stelle bei Ferrariis Coram quo interponi debet appellatio ... Et si plures pronunciaverunt debebit coram singulis communiter vel seperatim app. interponit könnte allenfalls eine sehr schwache Verbindung bestehen, da dort das Problem der Mehrheit von Appellanten angesprochen ist.
Anzumerken wäre noch, daß der 2. Abschnitt mit der Formulierung "vor erbern leuten / unnd ainem Notari" keine sachliche Änderung des Entwurfs von Croaria darstellt, der von "erbarn leuten oder Notarien" spricht. Es handelt sich nämlich im Entwurf nur um einen Schreibfehler, wie die (von Kölner nicht übernommenen) Art. 10 und 17 des Entwurfes, die Formularbeispiele der Appellation von Bei- bzw. Endurteilen enthalten und jeweils die Interposition vor "notarien und zeugen" erwähnen, zeigen.[Seite: S. 71]
Die Definition der Wirkungen der Appellation geht auf die kanonischen Vorbilder zurück. Bemerkenswert ist, daß dort stets der Suspensiveffekt mehr oder weniger ausführlich behandelt wird, während der Devolutiveffekt immer nur in der meist einleitenden Definition der Appellation auftaucht (s.o. zum 1. Ges.), nicht aber in dem Abschnitt über die Wirkung der Appellation. Die Synthese beider Wirkungen scheint erstmals durch Croaria Niederschlag in einer einheitlichen Vorschrift gefunden zu haben.
Der Suspensiveffekt ist bei Tancredus kurz und bündig erklärt: Effectus appellationum est, ut omnia permaneant in eodem statu, quo erant tempore factae appellationis (S. 463).
Die schon dem römischen Recht bekannte Zweiteilung des Suspensiveffekts
("sententia appellatione suspensa" und "jurisdictio per appellationem
suspensa")4.55 wird bei Durantis sichtbar, der bezüglich des
ersten Falles die Tancredus-Stelle zitiert: Quis sit effectus appellationis
... ut ea pendente nil innovetur sed omnia in eo statu permaneant in quo erant
tempore appellationis (11. Kap. § 1).
Quod sit officium eius a quo appellatur ... item appelatione pendente sive
fit recepta sive non iudex non debet aliquid in preiudicium appellantis
innovare nec executionem facere ... (9. Kap. § 8).
Jo.Pe. de Ferrariis formuliert so: Queritur de effectus huius appellationis. Ad quod respondetur quod effectus ipsius est duplex. Primo quando extinguitur vel suspenditur pronunciatum ut supra dictum est. Secundus quia pendente appellatione ligate sunt manus iudicis nec ultra potest quitquam agere sive detulerit appellacioni sive non.
Diese beiden Fälle des Suspensiveffekts hat Croaria als erste (Suspension des "ergangen urtails": "sententia suspensa") und zweite Wirkung (Suspension des "gerichtszwangs": "jurisdictio suspensa") ausgearbeitet (2. u. 3. Abschnitt). Die dritte Wirkung (4. Abschnitt) stellt auf die Präsumtion der Wirksamkeit des Urteils ab. Das Denken in prozessualen Vermutungen war zwar im Zusammenhang mit dem Beweis bereits dem römischen Recht bekannt.4.56 Eine Verknüpfung der [Seite: S. 74] Präsumtionswirkung beim Urteil mit den Wirkungen der Appellation ist jedoch in den Vergleichstexten nirgends zu ersehen und scheint ebenfalls eine Neuschöpfung Croarias zu sein.
Die vierte Wirkung (5. Abschnitt) beschreibt den Devolutiveffekt. Die Regelung entspricht den oben zum 1. Ges. zitierten Stellen.
Die Zulässigkeit der Appellation von nichtigen Urteilen4.57 (7. Abschnitt) entspricht dem kanonischen Recht, wie ein Umkehrschluß aus einer Stelle bei Durantis zeigt: a sententia que nulla est non necesse appellari (2. Kap. § 18).
Wenn die Appellation auch nicht nötig ist, weil das nichtige Urteil als nicht vorhanden angesehen wird, so ist sie doch zulässig. Konsequenterweise hat eine derartige Appellation lediglich Devolutiv-, nicht aber Suspensiveffekt (die obvermellten drey würckung nit). Die Gleichsetzung des Verfahrens solcher Appellationen mit dem von Appellationen, die die bloße Rechtswidrigkeit rügen (wie sich gepürt / verfarn), findet sich bei Ferrariis: Nam si provocatur respectu nullitatis venit nullitas principaliter sicut appellacio iniquitatis.
Der Beitrag Kölners zum 4. Ges. besteht in der Übersetzung lateinischer Bezeichnungen (suspendiert, presumption, devolviert, prosequiern, procediern) sowie deren Streichung (effecten, nullitet, nulla). Sein Zusatz im 7. Abschnitt (sonnder / so für das Kayserlich Camergericht appellirt wirdet) entspricht der ihm wohl aufgetragenen Haltung, die Appellation zum RKG strengeren Voraussetzungen zu unterwerfen. [Seite: S. 75]
Der Appellations-Eid hat eine lange Entwicklung im bayerischen Rechtskreis. Bereits im Münchner Satzungsbuch B (1295 - 1313) wird von demjenigen, der dingt, verlangt, daß er sweret als unser herre, der hertzog gesetzet hat (Art. 79). [Seite: S. 77]
Nach dem Freisinger Rechtsbuch 13284.58 muß er einen ait swern, daz er durch chain lengerung ding, wan durch rechts rechten willen (Art. 262).
Ausführlicher ist schon das Münchner Stadtrechtsbuch 1365: sol swern, daz er durch chainer lengrung noch durch chain verziehen der urtail nicht ding, newr darumb daz er seins rechtens bechöm, als unser herre der hertzog gesetzet hat (Art. 310).
In dem Landshuter Landgebot 14404.59 wird von der Praxis berichtet, dem Gegner den Eid daß er von keinerlei längerung, noch Zug wegen, sondern von der lautern Gerechtigkeit wegen dinge zu erlassen. Das LGeb befiehlt dem Richter, dem nicht zuzustimmen, sondern auf der Eidesleistung zu bestehen. Für den Fall der Zuwiderhandlung wird dem Richter sogar eine Strafe angedroht, das man sehen soll, daß Uns solches Ueberfahren unserer Geschäfte und Bote kein Gefallen sei.
Nach dem schon öfters erwähnten Ratschlag zu einem Landgebot4.60 soll der Appellant schwören, daß er das von keiner Längerung noch von keiner Sache wegen, dann nur allein darum, daß er zu seinen Rechten kommen möge (tue).
Verweigert er den Eid, soll er dessen auch entgellten, als appellirens Recht ist. [Seite: S. 78]
Damit dürfte die Desertation der Appellation (dazu u.) gemeint sein4.61. Die Erdinger Konferenz formulierte den oben wiedergegebenen Art. 3524.62 der offenbar Croaria nicht vorlag, als er seine Art. 5 und 6 entwarf. Kölner, der wohl einen entsprechenden Auftrag hatte, vielleicht auch in der Verwertung speziell bayerischer Gegebenheiten die Möglichkeit sah, sich als Mitschöpfer der GO zu profilieren, übernahm diesen Art. 352 im 1. und 3. Abschnitt, wobei er den 2. Abschnitt selbst anfertigte. Daß der 3. Abschnitt, der inhaltlich auch mit dem 4. Teil des 5. Art. Croarias übereinstimmt, von der Erdinger Reformation übernommen ist, zeigt die Verwendung der gleichen Formulierungen. Daraus wird auch die weitere Verwendung des Entwurfs Croarias verständlich. Nachdem Kölner die ersten drei Abschnitte fertig hatte, hängte er, der vorgegebenen Reihenfolge getreu, die ersten drei Teile des 5. Art. Croarias als 4. - 6. Abschnitt an, wobei der 4. Teil des Entwurfs als bereits inhaltlich erfaßt entfiel.
Wenn auch Kölner statt des 6. Art. Croarias die Erdinger Reformation verwendet hat, blieb Croarias Entwurf doch nicht ganz außeracht: die Formulierung das er acht und gänntzlich dafür hallt / das er durch das erganngen urteyl unpillich beschwärt sey, die die Erdinger Reformation nicht enthält, stammt aus dem 6. Art. Croarias. Kölner scheint als geschickter Kompilator alles eingearbeitet zu haben, was ihm brauchbar erschien.
Noch nach der Erdinger Konferenz4.63 erwog Herzog Albrecht ausweislich eines von ihm stammenden Gedächtniszettels4.64, statt des Appellations-Eides eine Bestrafung des aus Verzögerungsgründen Appellierenden zu statuieren. Als Alternative nur kam der Eid in Betracht: wo diese Ordnung nicht gut wäre, einen Eid ... setzen, daß er nicht um Längerung wegen appelliere ... [Seite: S. 79]
Dies zeigt, wie sehr die einzelnen Regelungen im Erdinger Protokoll noch als vorläufig und Veränderungen zugänglich angesehen wurden — vielleicht ein Grund, warum die Erdinger Reformation nie als Gesetz verkündet wurde.
Eine Normierung erfährt der Appellations-Eid dagegen in der Landshuter LO 14914.65: ... schwören, daß er von keiner Gefährde, Auszug, Längerung oder seiner Widerparthey zuwider oder Schaden, sondern allein von des göttlichen Rechten wegen tue.
Verweigert der Appellant den Eid, soll der Richter das Geding nicht gestatten, sonder für und für auf des andern Teiles Ersuchen und Fürbringen im Rechten vollfahren lassen.
Nicht zu klären ist, warum der Appellations-Eid in der LRRef. 1518, die ansonsten die gleiche — aus Kölners Entwurf 1516/17 stammende — Regelung wie die GO enthält (12. Tit. Art 9), nur auf das Verfahren zum RKG, nicht aber auf das zum HofG, Anwendung findet. Ein ähnlicher Fall wie beim Frankfurter Stadtrecht, wo ein kaiserliches Privileg bezüglich eines Appellations-Eides bestand (s. u.), liegt hier jedenfalls nicht vor. Es wäre möglich, daß die Stände ein Interesse daran hatten, den Rechtszug zum Hofgericht von einer fürstlichen Beeinträchtigung, wie sich der Eid in ihren Augen möglicherweise dargestellt hat, freizuhalten, und dies noch 1518 bei der LRRef., nicht mehr aber 1520 bei der GO durchsetzen konnten. Zur Abrundung des Bildes sei angemerkt, daß der Appellations-Eid erst durch den Codex iudiciarii 17534.66 abgeschafft wurde:4.67 Was endlich den AppelacionsEyd ... betrifft, ist dieses ... in hiesigen Chur-Landen als ungebräuchig abgeschafft (15. Cap. § 7 a.E.).
Die Frage nach den Quellen des Appellations-Eides in der GO ist nicht damit abgetan, die Entwicklung im bayerischen Rechtskreis aufzuzeigen. Als Ausgangspunkt der weiteren Untersuchung sollen die Meinung Rosenthals4.68, es handele sich um einen Calumnieneid, und die Schlossers, es sei ein spezieller Gefährdeeid4.69 dienen. Der allgemeine Calumnieneid stammt aus Codex II, 58 (De iureiurandum propter calumniam dando) und ist in den 5. Titel der GO (Ayd gevärde und poßheyt zuvermeyden) eingearbeitet. Bereits daraus ergibt sich, daß der Appellations-Eid etwas besonderes sein muß, da sonst eine Verweisung im 10. Titel genügt hätte. Den Calumnieneid speziell im Hofgerichtsverfahren statuiert die Mainzer Hofgerichtsordnung 15164.70: Der Eidt für Gefährde / Iuramentum malitiae genannt. Sollen die Procuratores schweren in iren Partheyen / und ir eygen Seelen einen Eidt zu Gott und den Heiligen / daß sie ihr fürbringen / unnd begeren nicht auß gefährden böser Meynung / noch zu verlengerung der Sachen / sonder allein zu Notturft thun alles ungefährlich (Tit. XVIII).
Eine Differenzierung nach erst- oder zweitinstanzlichem Verfahren vor dem Hofgericht ist hier nicht ersichtlich. Der Wortlaut allerdings weist Parallelen zum bayerischen Appellations-Eid auf. Der Calumnieneid im Appellations-Verfahren erscheint in den RKGOen 15004.71 und 15084.72. Er ist vor dem Obergericht nach der Litiscontestation zu leisten, wenn der Appellant neue Tatsachen vorbringt, und soll verhindern, daß der Appellant gerade durch dieses neue Vorbringen den Prozeß verschleppt4.73. Dieser in den RKGOen geregelte Eid unterscheidet sich vom bayerischen Appellations-Eid dadurch, daß der letztere bereits bei der Appellations-Einlegung vor dem Untergericht zu schwören ist. Auch ist seine Funktion weiter, da er sich auf die gesamte Prozeßführung bezieht, während der bayerische Appellations-Eid lediglich die einzelne Prozeßhandlung der Appellationseinlegung berührt4.74.
Einen vor dem Unterrichter zu leistenden Eid kennt neben der in Anm. 62 aufgeführten württembergischen Regelung auch die Nürnberger Stadtrechtsreformation: So aber der parthey eine davon Appelliert ... und mit irem ayde behielt / das sie sollicher beschwerung halb und nit zu geverlichem verzug der sach / die furgenomen hab ... (10. Tit. 10. Ges.).
Der Richter ist nicht schuldig, die Partei mit dem Eid zuzulassen, die offensichtlich mutwillig appelliert: [Seite: S. 81] .. wo dann eynich parthey durch Iren widerteyl mit Irselbs bekantnuß / oder genügsamer weysung / oder dermaß / das nit zweyfels darin besteet / uberwunden wirdet / darauff dann Rechtlich entschiedt oder urteyl sich ergrunden und außgeen. Allso / das eynich völlige beschwerung darin nit erscheynt noch vermerckt oder verstanden mag werden / sunder vermutet wirdt / das dieselb verrecht parthey zu verlengung Rechtlichs außtrags / und gepürlicher außrichtigung und volziehung / des / darinne sie Condemniert ist / sich zu appellieren / und den Ayde deßhalb zullaysten understeet. Und so dann die urteyler / oder aber ein Rate sollichs dermaß gestalt und gelegen zesein erfinden / So sein sie hinfur nit schuldig dieselben freveln Appellierenden parthey mit iren turftigen und verlichen Ayde zuzelassen / sunder sie sollen der widerparthey nichts destminder verrer verhelffen zu Iren personen oder güttern / sovil und Recht ist (10. Tit. 3. Ges.). Die Regelung entspricht dem 5. Abschnitt des 5. Ges. GO, wo ebenfalls der Eid bei gerichtlich bekanntnuß in erster Instanz abzulehnen ist.
Die Nürnberger Reformation läßt im 2. Ges. des 10. Titels die Leistung des Eides durch den Anwalt der Partei zu.
Von diesem Appellations-Eid zu unterscheiden ist der Kautionseid, der durch das 12. Ges. der Nürnberger Reformation 1503 hinzukam. Er konnte bei Armut der Partei anstelle der bei Streitwerten von dreißig Gulden und darunter zu zahlenden Kaution geleistet werden. Die Kaution bzw. der Eid gehen auf ein kaiserliches Privileg zurück, wie das 12. Ges. selbst anzeigt: in krafft ainer sonndern freyhait / von ainem Rate erlanngt.
Ein ähnliches Privileg bekam die Stadt Frankfurt am 13.5.1512 von Kaiser Maximilian I. verliehen4.75 Danach war in Sachen bis zu sechzig Gulden Wert (daneben in anderen sehr speziellen Sachen) die Appellation zum RKG ausgeschlossen. In den übrigen Sachen, die also zum RKG gelangen konnten, mußte der Appellant — auch das wurde als Privileg erteilt — einen Gulden beim Rat hinterlegen und den Eid schwören daß er von iren Urtheyln ... nicht gefehrlich / oder der der Widerparthey ihre Gerechtigkeyt zu verhindern / Appellier / dinge / nichtig spreche / Supplicir / oder Reducir / Sondem daß er nicht anderß wisse / oder sich versehe / dann das er ein gerechte Sach habe / und ime (nach) Setzung der Recht / [Seite: S. 82] sein Gerechtigkeyt zu beschirmen / zu Appellieren / zu dingen / zu Suppliciren / zu nichtig sprechen / oder zu Reducirn / und weyter Recht zu suchen / noth seye / Daß er auch derselben Appellation ... fürderlich nachvolgen / und Prosequirn ... wolle ...
Es handelt sich wie beim bayerischen Eid um einen vor dem Unterrichter zu leistenden Eid, wobei allerdings die Verschiebung vom Oberrichter zu dem die Appellation zulassenden Unterrichter durch das Privileg veranlaßt ist. Orth4.76 schreibt dazu: Im § 10 komt nun von berufungseide und dessen form vor, so eine art des eides für gevärde und so wol im päpstlichen c. 2 jur. cal. in 6 als deutschen rechten vom berufer schon erfordert wurde, daher solcher, ob er gleich wegen deßen misbrauches, öfters fast vergeblich und von gar wenig nuzen ist, doch an den meisten gerichten Deutschlandes beim unterrichter geleistet wird, weil die meisten Reichesstände dahin befreiet sind ... Der inhalt des eides selbst, so aus dem freiheitsbriefe Kaiser Maximilians I. von 1512 meistens genommen ...
Hier ist die Praxis angedeutet, den Appellations-Eid den Untergerichten als kaiserliches Privileg zu verleihen, wie es im 16. Jahrhundert in zunehmendem Maße geschehen ist. Diese Praxis hatte jedenfalls auf den bayerischen Appellations-Eid keinen Einfluß mehr. Daß das päpstliche Recht einen Eid vom Appellanten verlangte, ist unzutreffend. Allenfalls kam der allgemeine Calumnieneid der zitierten Stelle vor dem Oberrichter zur Anwendung. Eine Ausnahme galt für das spezielle Verfahren gegen kirchliche Ämterverleihungen. Hier wurde durch die Konstitution Ut circa von Gregor X. auf dem 2. Konzil zu Lyon 1274 ein Eid über Wahrheit und Beweisbarkeit eingeführt4.77. Keinen Bezug zum Appellations-Eid hat der Probationseid, den Durantis (zitiert in der zweiten Addition von Baldus zum Titel "De appellatione") erwähnt: ad obtinendam dilationem iudicis probatur impedimentum per iuramentum. Dieser Eid soll lediglich einen Hinderungsgrund dartun, um eine Verlängerung der Fatalien zu erreichen.
Eine Quelle, die dem bayerischen Appellations-Eid als Vorbild hätte dienen können, ist aus alledem nicht ersichtlich. Vielmehr ist anzunehmen, daß — möglicherweise auf der Grundlage eines schon im 13. Jahrhundert rezipierten allgemeinen Calumnieneides — schon sehr früh ein eigenständiges Rechtsinstitut entstand, das den späteren oben aufgezeigten Eiden allenfalls seinerseits als [Seite: S. 83] Vorlage diente. Dieses Ergebnis wird von Perneder, der eine Generation nach Croaria und Kölner in den Diensten der bayerischen Herzöge stand, unterstrichen, wenn er in seinem Gerichtsprozeß4.78 Vom ayde / den der appellant im Fürstenthumb Bayrn zuschweren schuldig spricht und damit die besondere Rechtsentwicklung in Bayern kennzeichnet.
Der 5. Abschnitt des 5. Ges. GO steht in engem Zusammenhang mit dem 4. Fall im 12. Ges. und kann nur aus diesem Zusammenhang heraus verstanden werden (s. dort). Der Zusatz Kölners, daß der Unterrichter den solchermaßen Appellierenden bis zum Bescheid des Landsfürsten oder seins Vitzdombs oder Räte gefangennehmen solle (dieweyl in verwarung hallten), stammt wahrscheinlich aus Tenglers Layenspiegel4.79: Wenn aber ain übelthater oder jemands ander also ein rechtmässige appellation zu thun untersteen / und es wollt der richter zweiflich sein / ob er die zulassen solt oder nit ... so möcht er den übelthater widerum in gefängknüß verwaren / und die Sachen an sein oberkeit gelangen lassen.
Die Zulässigkeit der Appellation von Interlokuten war ein zentrales Problem dieser Zeit. Das römische Recht, von Perneder dem zeitgenössischen Sprachgebrauch gemäß gmaines gschribnes Kaiserlich recht genannt4.80, verneinte sie generell, während das kanonische Recht, wie Croaria im Entwurf hervorhebt (alls in den geistlichen rechten beschicht), von der generellen Zulässigkeit ausging4.81.
Tancredus bringt das so zum Ausdruck: Sequitur quando sit appellandum ? Respondeo quandocumque gravamen infertur, sive per interlocutoriam, sive per diffinitivam sententiam, sive aliter, extra iudicium, statim potest appellari (S. 456).
Ein vermittelnder Standpunkt wurde von der RKGO 1495 eingenommen: ... so sol hinfüro an das Camergericht die Appellacion von solichen Interlocutorien nit annemen, wo die Beswerung in der Appellation bestimbt durch die Appellation von der Endurtail der Haubtsach möcht erstattet und widerbracht werden, wie das in Kaiserlichen Rechten geordnet und begriffen ist (§ 24).
Eine frühere Quelle, auf die der letzte Halbsatz hinweist, ist allerdings nicht ersichtlich. Möglicherweise wurde an eine Belegstelle im gemeinen Recht gedacht.
Die gleiche Regelung findet sich schon 1474 in der Landshuter LO4.82: ... daß man hinfür von keiner Beyurteil, so in unserm Hofgericht gesprochen wird, appelliern und dingen solle, wo die Beschwerung derselben Beyurteile durch die endlichen Urteile, so in der Hauptsache gesprochen würden, wieder zu bringen wäre. Der Zusatz als Uns das durch unsern allergnädigsten Herrn, dem römischen Kaiser zugegeben ist deutet auf die Möglichkeit der Beschränkung der Interlokutsappellation in Form von Privilegien hin. Ebensogut kann aber auch die in § 24 RKGO 1495 angedeutete Stelle in den "Kaiserlichen Rechten" gemeint sein. Ein entsprechendes Privileg [Seite: S. 86] ist jedenfalls für Bayern nicht nachweisbar4.83.
Die Nürnberger Reformation zeigt im 12. Ges. (1503) die Regelung der RKGO 1495: Ist dann dieselbig urteyl undterredlich. So ist der appellant damit nit zulessig / wo anders derselben beschwerde / in appellation sachen / von der enndurtayl mag widergepracht werden.
Das Wormser Stadtrecht enthält diese Regelung nicht ausdrücklich, setzt sie aber im 5. Abschnitt des 1. Titels voraus, da nur so die der Nürnberger Reformation entsprechende Form der Appellation von Beiurteilen erklärbar ist.
Obwohl Herzog Albrecht in seinem Gedächtniszettel4.84 noch das strikte Verbot der Interlokutsappellation erwog, Daß von Beyurteilen nicht gedingt werde, weder an Hof noch an den Kaiser, wurde sie mit der GO, was das Verfahren zum Hofgericht betrifft, unbeschränkt zugelassen. Ob die Unzulänglichkeit der Richter, wie es das Gesetz selbst angibt, der wahre Grund dafür war, oder ob auch hier politische Gesichtspunkte ausschlaggebend waren, kann nicht geklärt werden. Der Gegensatz zur RKGO 1495 wird jedenfalls bewußt aufgezeigt (Wiewohl nach außweysung gemainer kayserlicher Recht / nit von yeder beyurttl / gestatt ...).
Der 2. Abschnitt des 6. Gesatzes regelt die Form der Appellation von Beiurteilen zum Hofgericht. Die bei Durantis als strittig dargestellte Frage est una differentia quando appellatur ab interlocutoria (6. Kap. § 1) ist überall dort eindeutig beantwortet, wo die Zulässigkeit als solche von der Voraussetzung der selbständigen Beschwer, die durch die Appellation vom Endurteil nicht mehr beseitigt werden kann, abhängig gemacht ist. Schriftform und Begründungspflicht sind hier die notwendige Folge, die sich aus dem Umstand ergibt, daß der die Zulässigkeit prüfende Unterrichter nur durch die Begründung über das Vorliegen der entscheidenden Voraussetzung Aufschluß bekommen kann, wobei die Schriftlichkeit Zweckmäßigkeitsgründen entspricht. [Seite: S. 87]
So normiert die RNotO in Titel 4 § 1: ... so einer appellieren will von einer Beyurtheil, der soll das thun in Schrifften, und mit anzeigen der Ursach der Beschwerde, dieweil dieselbe Appellation aus andern Ursachen nicht mag gerechtfertiget werden.
Die Nürnberger Reformation bestimmt im 12. Ges. (1503): und mag solch appellation von beyurtayln nit annders beschehen / dann in schrifften / und mit bestimmung ursachen der beschwerden.
Die Wormser Reformation verlangt im 5. Abschnitt des 1. Titels, daß die Interlokutsappellation schriftlich mit Begründung eingelegt wird: So aber gemant von einicher Beyurteil oder einicher anderen beschwerde appellirt das sol geschehen in gegenwertigkeit des Richters innerhalb zehen tagen, und in schrifften mit sampt ertzelung der beschwerde.
Croaria folgte dieser Regelung wie der 8. Art. des Entwurfs (und zum 7. Ges. abgedruckt) zeigt, während Kölner davon abwich und mit Berufung auf allten geprauch unnd herkhomen mündliche Einlegung ohne Begründung genügen ließ. Dies ist zugleich die Konsequenz aus der unbeschränkten Zulassung der Interlokutsappellation zum Hofgericht, da hier keine Notwendigkeit besteht, einen Formzwang wie oben aufgezeigt zu statuieren. Kölner stellt sich auch damit bewußt gegen die reichsrechtliche Regelung in Titel 4 § 1 der RNotO 1512, die er mit eigenen Worten umreißt (Und wiewol die Kaiserlichen geschriben Recht / weiter setzen und wollen ...).
Es soll noch angemerkt werden, daß Kölner hier im 2. Abschnitt die Geltung der Vorschrift neben den Landsässen / innwonern / unnd unntterthanen auch ausdrücklich auf Außlennder erstreckt, was innerhalb der Appellations-Vorschriften einmalig ist. Eine Parallele findet sich in dem öfters erwähnten Ratschlag zu einem Landgebot4.85: Deßgleichen soll es um die Gäste des Appellirens wegen auch bestehen, in aller Maß als von der Landsleute wegen und vor geschrieben steht. [Seite: S. 88]
Croaria wollte der RNotO 1512 (Titel 4 § 1) und den ebenfalls unten (zum 6. Ges.) aufgezeigten Regelungen der Stadtrechtsreformationen folgen und alle Interlokutsappellationen an Schriftform und Begründungszwang binden (8. Art. 1. Teil). Kölner lehnte dies für die Appellation zum Hofgericht ab (s. u.) und übernahm die Regelung nur für Appellationen von Beiurteilen vom Hofgericht als erster Instanz zum RKG. Dabei hat das 7. Ges. in erster Linie eine klarstellende Funktion (sollen dem gemainen geschriben Rechten nachgeen. Allso ...), die an die in der RNotO zum Ausdruck gekommenen reichsrechtlichen Grundsätze anknüpft. Die Überprüfung durch das Hofgericht (beratschlagt werden / [Seite: S. 90] ob man söllicher appellation / Deferirn / und allso irn fürgang wöll lassen / oder nit) stellt lediglich das Zulassungsverfahren des Untergerichts, das das Hofgericht in diesem Falle ist, dar.
Während Croaria im zweiten Teil des 8. Art. statuiert, daß dem Appellanten keine Apostel zu erteilen sind, wenn die Appellation wegen Unförmlichkeit verworfen wird (allso kain auch nit refutatorios apostolos geben), ordnet Kölner an, Refutatorios zu erteilen (2. Abschnitt). Diese Abweichung mag sich aus der Beschränkung auf Appellationen zum RKG ergeben haben, da das Schweigen des Hofgerichts als Erteilung von Apostolos reverenciales hätte ausgelegt werden können (s. u. zum 16. Ges.).
Die Strafmöglichkeit bei trotz Verwerfung durch das Hofgericht an das RKG weiterverfolgter Appellationen zeigt zunächst, daß die GO in Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen des römisch-kanonischen Prozesses4.86 davon ausging, daß die Introduktion der vom Unterrichter als unzulässig betrachteten Appellation beim Obergericht, das dann erneut zur Zulässigkeit entscheidet, möglich ist. Diese Grundsätze klingen auch in Tenglers Layenspiegel (Bl. 102) an: und ob er im solch apostel nit geben wölt / mag nichtsminder die appellation volfürt werden.
Die Strafandrohung der GO, die in den Vergleichstexten nicht erscheint, stellt deshalb den Versuch einer Behinderung von unerwünschten Appellationen an das RKG dar, da der Appellant davon abgehalten wird, von der Möglichkeit, die vom Hofgericht verworfene Appellation an das RKG zu bringen, Gebrauch zu machen4.87. [Seite: S. 91]
Die Vorschrift, die von Kölner neu geschaffen wurde, gibt im 1. Abschnitt die Regelung des § 24 RKGO 1495 fast wörtlich wieder. Durch den 2. Abschnitt wird die Befugnis des Obergerichts, die Zulässigkeit einer weiteren Appellation zum RKG als 3. Instanz zu prüfen, auch auf Appellationen von Endurteilen ausgedehnt. Dieser zunächst banal erscheinende Inhalt wird in seiner Bedeutung erst erkennbar, wenn man die nur noch in Bayern bestehende verfahrensmäßige Besonderheit berücksichtigt, daß das zweitinstanzliche Hofurteil nie vom Hofgericht selbst, sondern stets vom Untergericht, an das es zurückgeschickt wurde, verkündet wurde. Im 3. Abschnitt wird sie angesprochen: so zu hof außganngen / und wider / in das unnter gericht gesanndt ist.
Dieser Grundsatz, daß das Verfahren nicht vor dem Obergericht, sondern dort, wo es begonnen hat, seinen förmlichen Abschluß findet4.88 geht auf den ursprünglichen [Seite: S. 93] Charakter des Hofgedings als Urteilsschelte zurück und wurde durch das überlagernde Appellations-Recht nicht abgeschafft. Er ist als partikuläre Besonderheit in Bayern noch im Codex iudiciarii 17534.89 nachweisbar, wo der Unterrichter die Verkündung von konfirmatorischen Urteilen stets, von reformatorischen nach des Oberrichters Willkür4.90 vorzunehmen hat4.91. Kreittmayr sieht den Unterschied zu den Reichsgerichten, die die Publication den Untergerichten niemals ... überlassen, sehr deutlich4.92.
Die Folge dieser Besonderheit ist, daß eine weitere Appellation vor dem das Hofurteil verkündenden Untergericht eingelegt werden muß4.93. Kölner stand bei der Abfassung der Vorschrift vor dem Problem, die Zulässigkeitsprüfung der Appellation an das RKG entweder diesem Unterrichter zu überlassen oder sie dem Hofgericht wieder zuzuweisen, das lediglich durch die Zurücksendung der Akten mit dem Hofurteil an das Untergericht von der weiteren Sachbehandlung ausgeschlossen ist. Kölner entschied sich mit dem 3. Abschnitt für letzteres, wobei die Zulassung durch das Hofgericht, wie eben gezeigt, keine Durchbrechung des Instanzenzuges, sondern die Wahrnehmung der Aufgaben darstellt, die dem Hofgericht in einem — im Gegensatz zum bayerischen — regulären Verfahren (mit Verkündung des zweitinstanzlichen Urteils durch das Obergericht selbst) ohnehin zuständen.
Allerdings verband Kölner mit diesem Verfahren ein Formerfordernis, das das Reichsrecht nicht kannte: Auch die Appellation von Endurteilen ist (wenn das RKG als dritte Instanz angegangen wird) in schrifften / mit anzaygung der ursachen (3. Abschnitt) einzulegen, während die RNotO 1512 (Titel 4 § 1) statuiert: Aber von einem Endurtheil davon zu appelliren nit verbotten ist, mag ohn Ausdruck der Ursach, auch ohn Schrifft, sondern mit Mund appellirt werden, wo das im Fußstapffen, nach Eröffnung der Urtheil, das ist, ehe dann zu andern Sachen gegriffen wird, geschieht, und also, daß solche Appellation darnach in Schrifften verfaßt werde: aber wo das nicht alsbald nach Eröffnung der Urtheil geschehe, ist noth, solches in Schrifften zu thun. [Seite: S. 94]
Lediglich die nicht sofort, sondern erst innerhalb des decendiums eingelegte Appellation mußte schriftlich erfolgen, wobei auch hier keine Begründungspflicht gegeben war. Ob der weitergehende bayerische Formzwang allein durch das hofgerichtliche Zulassungsverfahren veranlaßt war, scheint fraglich zu sein, da hierbei auch ein entsprechender Bericht des Unterrichters ausreichend gewesen wäre. Vielmehr könnte auch der Gesichtspunkt der Eindämmung von Appellationen zum RKG eine Rolle gespielt haben, unter dem die auf Befehl Und was darauf ... bevolhen wirdet / dem sol derselb Richter / darnach nachkomen. des Hofgerichts nur formell durch den Unterrichter erfolgende Zulassung bzw. Verwerfung der Appellation sehr gelegen war, da gegenüber dem RKG — z. B. als Adressat von Compulsorien — der Unterrichter auftrat. Möglicherweise ist dies mit ein Grund, warum in Bayern die Verkündung der Hofurteile durch den Unterrichter so lange beibehalten wurde.
Das Neundt Gesatz. Das weder von bey und enndturtheyln / noch anndern decretn / da die Hauptsach hundert gulden / oder darunnter / wert ist / für das camergericht zeappellirn nit gestatt sol werden.
Nachdem sich auch in erfarung offennlich erfindet / das unserer unntterthanen und verwannten unnsers fürstenthumbs verderben / täglich entsteet / aus muetwilligem und leychtvertigem appellirn / so mer aus neyd / haß / trütz / gevärlichem verzüg / lengerung / und außflücht / dann der notturfft und rechtem grund / geschehen / unnd sonnderlich bey dem Armen gemaynen / aigenwilligem / und unverstendigen / burger unnd paurßman / der dardurch sein hauß / hof / guetter / weyb / kinder / und arbayt verlässt / und den muetwilligen appellationen anhanngen. Unnd aber wir Hertzog Wilhelm / und hertzog Ludwig gebrueder / alls Regirenndt Lanndsfürsten söllich täglich verderben zufürkomen / auch unnser landt / leut / unnd unntterthanen / vor schaden zuverhuetten / genaygt und schuldig seien. Demnach haben wir von weylenndt dem allerdurchleuchtigisten großmechtigisten Fürsten und herrn / herrn Maximilian erwölltem Römischen Kayser löblicher gedechtnuß / unnserm allergnädigisten lieben herrn / und vettern / ain Kayserlich privilegium und freyhait erlanngt. Nämlich / das nun hinfüran von dato der selbigen Freyhait / so geben ist / in des heyligen Reichs Statt Augspurg / am dritten tag des monadts Augisti / nach Christi [Seite: S. 95] gepurde Fünffzehenhundert und im Sibenzehenndem jare / in ewig zeyt aus / von unnsem Landtsässen / unntterthanen / und verwanntn / hohes unnd nyders stannds / kainer hierinn ausgenommen / von kainen bey oder enndtlichen urteyln / erkhanntnussen / oder decret / so an unsem höfen / oder anndern Gerichten an dieselbigen von hof geschickht / außgesprochen / oder geöffnet werden / In sachen / da die anfenngklich clag unnd haubtsach / nit über hundert gülden reinisch haubtsumma / sonnder hundert / oder darunter wert wäre / weder an Kayserlicher mayestat / ire nachkhommen am Reych / das Kayserlich / oder Königklich Chamergericht / nit appellirn / supplicirn / noch reducirn / soll noch mag / in kainweis / sonnder dieselbigen urteyln / erkanntnussen unnd decret / ganntz krefftig unnd mächtig sein / stät pleiben / vollstreckt / unnd vollzogen / an unnsern Höfen und anndern gerichten / volfarn und procedirt werdenn sol / wie sich gepürt / von allermenigkhlich unverhindert etc.
Damit sich aber niemannds der unwissenhait söllicher freyhait enntschulldigen möge / haben wir euch vor schaden wissenn zuverhuetten / und darnach zurichten obgemellt kayserliche freyhait hyeinn anzezaigen nit verhallten wöllen.
Das 9. Ges. gibt das Appellations-Privileg Maximilians I. vom 3. 8. 1517 wieder, wonach Appellationen mit einem Wert bis zu 100 Gulden an das RKG ausgeschlossen sind. Dieses erste für das Herzogtum Bayern nachweisbare Appellations-Privileg4.94 geht wahrscheinlich auf den Vorschlag Croarias in der Nachrede zu seinem Entwurf4.95 zurück, der auf dem Münchner Landtag 1514 konkretisiert wurde4.96:
Nachdem sich die Untertanen zu vil Zeiten unndersteen ... in geringen schlechten Sachen aus hässigem und neidischem gemuett, so sy zu iren Widertailn tragen, oder annderen muettwilligen und ungegründten Ursachen für das Kayserlich Camergericht zu appellirn, unnd allso zehelligen , unnd in verderblich unnutz Cosst und schaden zefüren ... Diesem Wortlaut folgte das Privileg, das ihn nur noch etwas ausschmückte.
Die Höhe des Privilegs blieb auf dem Landtag noch offen: [Seite: S. 96] die haubtsach unnter ainer benenntlichen Summa.
Die auf dem Landtag noch vorgesehenen weiteren Ausnahmen umb schmachwort ains Ehr unnd Lewmat betreffend, die kain nemlich schazung haben ... wurden im Privileg nicht übernommen.
Der Grund, warum das Privileg in der GO abgedruckt wurde, ist am Ende des Gesatzes selbst genannt (Damit sich aber niemannds der unwissenhait söllicher freyhait enntschulldigen möge). Eine Parallele findet sich im 12. Ges. (1503) der Nürnberger Reformation,wo ebenfalls ein Privileg eingerückt ist: in krafft ainer sonndern freyhait / von ainem Rate erlanngt / den ayde und Caution / in laut derselben freyhayt zuthun und zuvolfuren. Es handelt sich dort um eine Kaution und ersatzweise einen Eid, die bei Sachen bis 30 Gulden zu leisten sind, wenn zum RKG appelliert werden soll.
Eine weitere Parallele stellt das schon erwähnte4.97 Privileg vom 13. 5.1512 dar, das Maximilian I. der Stadt Frankfurt verlieh. Auch dieses Privileg wurde — allerdings erst 1578 — innerhalb der Appellations-Vorschriften der erneuwerten Frankfurter Reformation abgedruckt.
Es sei noch aufgeführt, daß die Appellations-Summe zum RKG durch weitere Privilegien 1521 auf 200 und 1559 auf 500 Gulden angehoben wurde. 1620 erlangte Bayern schließlich das unbeschränkte Appellations-Privileg.4.98 Nirgends kann man deutlicher die Entwicklung ablesen, in deren Verlauf es dem Landesherrn immer mehr gelang, das RKG als oberste Instanz und damit zumindest einen Teil der Reichsgewalt auszuschalten. Wenn das in der GO wiedergegebene Privileg die wirtschaftliche Gefährdung der Untertanen durch unnützes Appellieren als Motiv des Trachtens nach der Privilegierung so nachdrücklich hervorhebt, kann dies kaum den tatsächlichen politischen Hintergrund verdecken4.99.[Seite: S. 97]
Im 10. Gesatz übernimmt Kölner den Art. 351 der Erdinger Reformation, wonach der Appellant die Appellation innerhalb 30 Tagen nach Urteilsfällung an das Hofgericht bringen muß. Kölner erweitert diese Pflicht noch, indem er dem [Seite: S. 98] Appellanten auferlegt, innerhalb dieser Frist bereits die hofgerichtliche Inhibition4.100 dem Untergericht zu übermitteln.
Die Frist von dreißig Tagen ist mit großer Wahrscheinlichkeit den kanonischen Vorbildern nachgebildet.
Diese Stellen werden von den Stadtrechtsreformationen wiedergegeben.
Während alle diese Regelungen die Frist auf das Begehren bzw. die Erteilung von Aposteln beziehen, normiert sie die Erdinger Reformation auch für den nächsten Schritt, die Introduktion der Appellation beim Obergericht. Für diese Introduktion bestimmt das römisch-kanonische Recht einen Termin, der durch den um vier vorausgehende und fünf nachfolgende Tage verlängerten Schlußtag einer Frist umrissen wird, die bald sechs, bald drei, bald zwei Monate von der Einlegung der Appellation an läuft und sich bei Säumnis von selbst dreimal um jeweils dreißig Tage verlängert4.101. Diese Regelung scheint sich in Deutschland [Seite: S. 99] nicht durchgesetzt zu haben, wie neben der GO die Stadtrechtsreformationen zeigen.
Nürnberg (5. Ges. 1479): So yemandt von eynicher urteyl für ainen Rat zu Nüremberg appelliert So sol ein yede appellierende parthey zu anpringung sollicher Appellacion ein zeyt haben mit namen zehen wochen die nechsten nach eröffnung der urteyl ... / sollicher Appellacion in yetz bestympten zeyt mit ladung und erfordrung seiner widerparthey vor einem Rate ... nachzuvolgen / er wurde dann des auß Rechter Eehafft verhindert.
Die Festlegung auf zehn Wochen stand im Widerspruch zum 10. Ges., das offenbar der Wormser Reformation als Vorlage diente:
Nürnberg 10. Ges. | Worms 1. Tit., 4. Abschnitt |
... so mag ditz gericht ein zeyt benennen. In der / der Appelierend teyl die volfürung seiner Appellacion anfahe / und dieselben zeyt kurtzen oder lengen nach gestalt unnd gelegenheyt einer yeden Sachen. | ... so mag der richter ein zeit benennen in der der Appellirer die volfürung seyner appellacion anfalle, und dieselb zeyt kürtzen oder lengen nach gestalt und gelegenheit einer yeden sach und parthey. |
Dementsprechend sind in der Ausgabe 1503, die dem Ratskonsulenten Nadler gehörte4.102 im 5.Ges. die zehn Wochen gestrichen und ist handschriftlich angemerkt: nach Satzung und benennung des unnterer Richters ... nach gelegenhait der person, sachen, und der stat oder gegend ermessen ...
Der 1. Abschnitt des Titels 3 der Wormser Reformation spricht die Introduktion an, ohne das Fristsetzungsverfahren im 4. Abschnitt des 1. Titels zu erwähnen: Ein yeder appellans soll syn gethan appellacion den obern Richter ansagen und daruff in recht zu volfarn Ladung bitten und erlangen. Und dieselb Ladung dem Appellaten das ist dem widerteil verkünden lassen, wie in Sachen der ersten Instanz angezeigt ist.
Einen Sonderfall, in dem ebenfalls die dreißig Tage auftauchen, behandelt Titel 1, 6. Abschnitt der Wormser Reformation. Wenn gemäß dem 1. Abschnitt desselben Titels die Appellation vor Notar und Zeugen eingelegt worden ist, [Seite: S. 100] so sol dann in bestimpter zeyt des Rechtens das ist in XXX. tagen nach einlegung der appellacion dem Richter und der Widerparthey wo er die ankommen mag sölich appellacion insinuieren und verkünden nach ordenung des rechten wie sich dann söliche gepürt und recht ist.
Diese Frist ist auch im 10. Ges. der Nürnberger Reformation erwähnt: in dreissig tagen insinuiert und verkündt ... Sie ist jedoch von der Introduktionsfrist beim Oberrichter streng zu trennen, da von ihr lediglich die Insinuation beim Unterrichter erfaßt wird.
Während der Appellant nach den Vergleichstexten innerhalb von dreißig Tagen nur die Apostel beantragen muß, hat er nach der GO in der gleichen Zeit darüber hinaus die Appellation beim Hofgericht anzubringen, dort einen Inhibitionsbrief zu erlangen und diesen an den Unterrichter zurückzubringen. Daß bereits die in Erding tagenden Räte Zweifel an der Praktikabilität dieser Frist hatten, die sich mit der Erschwerung durch Kölner verstärken mußten, zeigt die in die Vorschrift vorsichtshalber eingebaute Ausnahme für diejenigen, deren Säumnis auf Verschulden von Richter oder Gerichtsschreiber zurückzuführen ist.
Anzumerken wäre noch, daß Herzog Albrecht ausweislich seines Gedächtniszettels4.103 den Appellanten 2 oder 3 Monate zu setzen erwog, um dem Richter zu sagen, ob sie die Appellation persequieren wollen oder nicht. Eine derartige, über die Introduktion hinausgehende Frist wurde jedoch von Kölner nicht in die GO aufgenommen. Gleichfalls keine Aufnahme fand eine Vierzehntagefrist, die das Landgebot 1502 des Landshuter Landesteils4.104 für einen räumlich begrenzten Sonderfall statuierte: ... wer von einer Urtheil so in unsern Landgerichten ergehen vermeynt beschwert zu seyn, und für unser Hofgericht gen Neuburg appellirt, daß nach eines jeden Berufung solche Appellationen in vierzehn Tagen aufgerichtet und unserm Rentmeister daselbst überantwortet, und von ihm eine Inhibition genommen werden soll ... [Seite: S. 101]
Kölner folgte zwar im Aufbau Croarias Entwurf (12. und 14. Art.), setzte aber einen anderen Inhalt.
Croarias 12. Art., der die mündliche Einlegung der Appellation nur sofort nach Urteilsfällung zuläßt (in fuestapfen vonstundan ...), bei Einlegung erst innerhalb des decendiums aber Schriftform verlangt, entspricht dem Vorbild des kanonischen Rechts und der Stadtrechtsreformationen.
Kölner dagegen nahm den allten geprauch, der bereits in das 6. Gesatz Eingang gefunden hatte, auch hier auf und ließ dementsprechend mündliche Einlegung der Appellation zum Hofgericht, auch wenn diese erst innerhalb des decendiums erfolgen sollte, genügen. Das Erfordernis der Schriftlichkeit bei Appellationen zum RKG ist lediglich eine Wiederholung des bereits im 8. Gesatz Gesagten. Die Begründungsfreiheit, die Kölner von Croaria nur bezüglich der Appellation zum Hofgericht übernommen hat (nit not / das er aynich ursach mellde), geht auf Durantis zurück.
Die Regelung des öfters schon erwähnten Ratschlags zu einem Landgebot4.105, wonach die Beschwer immer angegeben werden sollte, wer ein Urteil dingen will ... soll ... benennen, in wem er beschwert sei fand keine Aufnahme in die GO.
Die gedrängte Darstellung des Zulassungsverfahrens vor dem Hofgericht bei Appellationen zum RKG als 3. Instanz im zweiten Teil der Vorschrift (wie dann im achtn gesatz dis Tittls vergriffen ist), die an den 14. Art. Croarias angelehnt ist, was den Aufbau betrifft, wurde von Kölner offenbar an dieser Stelle eingerückt, um den Unterschied zu Appellationen zum Hofgericht zu verdeutlichen, wo eine Prüfung der "Ursachen" analog zur fehlenden Begründungspflicht nicht stattfindet. Croarias Regelung wiederum erinnert an Durantis De officio eius ad quem appellatur ... diligenter eius formam inspicere et videre an fuerit infra X dies appellatum vel fuerit appellationi renuntiatum tacite vel expresse ... ex qua causa fuerit appellatum ... probata legitima esset ... causa sufficiens sit proposita {10. Kap. § 1), obwohl es sich dort um das Verfahren des Oberrichters, hier aber um das des die Zulässigkeit prüfenden Unterrichters handelt.[Seite: S. 104]
Eigenartig ist, daß Kölner bei der Wiederholung des decendiums (wobei er dem Vorbild Croarias folgt) statt des 2. Gesatzes, wo sich die Regelung befindet, das erste Gesatz zitiert (lawt des Ersten gesatz dis Tittls). Eine Erklärung könnte sich möglicherweise aus dem Umstand ergeben, daß Kölner die Vorschrift, die als 11. Ges. in die GO kam, schon sehr früh formulierte, nämlich zu einem Zeitpunkt, als er den Art. 1 Croarias noch nicht in das 1. und 2. Gesatz aufgeteilt hatte, da die Regelung des 2. Ges. damals noch im 1. Art. (3. Abschn.) stand, wobei Kölner nur statt Artikel Gesatz verwendet hätte. Aus dieser frühen Entstehungszeit würde sich auch die relativ konfuse inhaltliche Abfassung der Vorschrift erklären.
Die Absicht der Vorschrift, die vier Fälle der Unzulässigkeit hervorhebt,
ähnelt der des 12. Ges. (1503)
der Nürnberger Reformation (Wie sich der Richter und die urteyler halten
sollen So von ainer urtayl hie Appellirt wirdet), wo auch dem Richter ein
Prüfungsschema an die Hand gegeben werden soll, das bei der
Zulässigkeitsprüfung benützt werden kann. Der zweite und dritte Fall stellt
lediglich ein Extrakt aus bereits vorangegangenen Formvorschriften
(Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Form und Weigerung, den Appellationseid
zu schwören) dar. Neu sind die beiden anderen Fälle. Zu ihnen findet sich eine
auffällige Parallele in Tenglers Layenspiegel {Bl. 101 RS: Appellation
Warnungen): Nun ist zu wissen / daz zuvorderst vier appellacion seind. Wann
die erst offenbar unnützlich / als so man über offenbar missethat appelliert /
die mag vom rechten und richter verworffen werden.
Die ander ist verborgen unnutz / als so in ainer appellacion vernünfftig
ursachen furgewendt / sye seind aber falsch / die mag vom rechten verworffen /
aber vom richter zugelassen werden.
Die drit ist verborgen beweißlich / als so in der appellacion ain gerechte
ursach gemelt / die im rechten nit ußdruckt ist / die mag von rechten und
richter zugelassen werden. Es sey dann ungewaigert bevolhen.
Die vierdt ist offenbar beweißlich / als so man von gerechter ursach wegen die
im rechten außgedruckt ist appelliert / die würdet auch vom rechten und richter
zugelassen.
Der erste Fall Tenglers entspricht dem vierten Fall in der GO, wenn auch Croaria, [Seite: S. 106] dessen Entwurf Kölner sehr eng folgte, wie auch in den übrigen Fällen keinen Unterschied zwischen Verwerfung durch das Recht einerseits und durch den Richter andererseits machte. Der erste Fall in der GO ist an die beiden letzten Fälle im Layenspiegel angelehnt, wobei dort die im rechten außgedruckte Ursache in der Appellation, bei Croaria jedoch in dem angefochtenen Urteil erscheinen muß. Bei dieser Formulierung unterlief Croaria ein Fehler. Wenn nämlich das angegriffene Urteil einen Artikel enthält, der den offenbaren rechten widerwertig" ist, dann ist die Appellation nicht unzulässig, sondern zulässig. Diesen Fehler korrigierte Kölner (im Rechten außgedruckht). Außerdem fügte Kölner eine Ausnahme hinzu, die den Vorrang des lokalen Gewohnheitsrechts (lanng geyebt lanndßprauch) klarstellen sollte.
Der vierte Fall hat drei Gestaltungen. Zum einen ist die Appellation unzulässig, wenn der Appellant während des Verfahrens gestanden hat und dennoch appelliert, zum anderen, wenn eine Straftat — hier erscheint eigenartigerweise und einmalig eine strafprozessuale Regelung — offenlich ist, was wohl mit ganz offensichtlich gleichzusetzen ist, und zum dritten, wenn der Appellant lediglich einen rechtswidrigen Zustand oder Vorteil aufrechterhalten will, wobei wahrscheinlich bewußt eine solchermaßen dehnbare Vorschrift gewählt wurde, um bei Bedarf eine Handhabe gegen unliebsame Appellationen zu haben. Alle diese Varianten haben Vorbilder in den kanonischen Texten.
Tancredus zeigt zunächst, daß die Appellation in Strafsachen nicht nur dem Verurteilten, sondern auch Dritten möglich ist (S. 452): In criminalibus post sententiam non solum condemnatus, sed etiam quilibet alius tam consanguineus condemnati quam extraneus admittitur ad appellandum, etiam invito condemnato. Curat enim humanitas ratio in tali casu quemlibet provocatum audiri.
Dann versieht er die Appellation in Strafsachen allerdings mit einer weitreichenden Einschränkung (S. 467): Scelus vetat appellare post sententiam, quia appellatio non debet esse vinculum iniquitatis, sed praesidium iniquitatis ... Et intelligitur de iis, qui praetextu appellationis in manifesto, et notorio crimine perseverant, quod non permittitur.
Diese Einschränkung bezüglich der bekannten und offenkundigen Missetat (manifesto et notoria crimine) scheint das Vorbild für Croaria gewesen zu sein.
Sie erscheint auch bei Durantis (2. Kap. § 13): in delictis notoriis si per appellationem velit quis eis preservare. nam appellatio non debet esse presidius iniquitatis. [Seite: S. 107]
Die Formulierung presidius iniquitatis könnte dem unrecht zu beschirmen Pate gestanden haben.
Tengler faßt diese Stellen richtigerweise im 3. Teil des Layenspiegels, der das Strafverfahren zum Gegenstand hat, unter der Überschrift Von der verurteilten ubelthäter appellation (Bl. 144 RS) zusammen: Doch seind etlich väll unnd missethaten angezaigt in gemainen rechten / davon dem verurtailten nit zu appelliern / als wenn die übelthat kundtlich ist / auch da solich übelthat als groß übermässig / wie der etlich in Kayserlichen rechten außgeschlossen und erzelt seind. Oder so der verurtailt seiner übelthat willigklich bekennt / und darinn verharret biß er verurtailt würt. Deßgleichen so er mit rechtmässiger getzeugknüß überwunden / so war die appellacion nit leichtlich zuzulassen. Er verweist auf Spe. de app. § in quibus etc. in notoriis, die oben zitierte Durantis-Stelle. Die auch bei Tengler erscheinende Stelle aus dem Speculum (2. Kap. § 2). argumentis superatus testibus confessus et convictus non auditur appellans wurde von Croaria nicht übernommen. Dafür fügte er als fünften Fall die clainfuegen sachen" an, die den Art. 15 des Entwurfs voraussetzen, wo Appellationen in geringen Sachen (unter zwei Pfund Pfennig) als unzulässig erklärt werden. Dies entspricht Tancredus (S. 467) Minima res, ratione valoris non potest appellari, wurde aber von Kölner nicht übernommen.[Seite: S. 108]
Die Vorschrift, die dem Unterrichter aufgibt, dem Appellanten eine Frist von drei Monaten für den Nachweis der Introduktion der Appellation beim RKG zu setzen, entspricht dem Art 353 der Erdinger Reformation. Im Unterschied zum 10. Ges., das den Nachweis der Introduktion der Appellation beim Hofgericht regelt, wird die Frist hier nicht durch das Gesetz unmittelbar angeordnet. Das entspricht der Handhabung, wie sie in den Stadtrechtsreformationen üblich war4.106, wobei dort aber der Richter in der Bestimmung der Durchführungsfrist frei war. Im Gegensatz zur Wormser Reformation (Tit. 1, 4. Abschn.) ist in der Nürnberger Reformation die Introduktion zum RKG eigens geregelt: Doch so mag Ime der Richter abermals ein zeyt zuverfürung seiner Appellation setzen darinn er dieselben anfahe und anhengig mache / und solche zeit kürtzen oder verlengern / nach gestalt und gelegenheyt der verne oder nehende Königklicher Maiestat / oder seiner Maiestat Camergericht / mit dem anhanng / das der Appellant dem Richter söllichs solle anzaigen und glaublich machen In bestimpter zeyt (12. Ges. 1503).
Eine derartige Differenzierung der Frist nach dem jeweiligen Aufenthalt des Kaisers bzw. Tagungsort des RKGs ist nach der bayerischen Vorschrift nicht möglich. Andererseits liegt die Dreimonatsfrist innerhalb des Rahmen von einem bis sechs Monaten, wie er schon vor den reichsrechtlichen Normierungen (ab 1521) üblich gewesen sein dürfte4.107.[Seite: S. 110]
Die Vorschrift folgt ohne sachliche Änderungen den Art. 18 und 19 des Entwurfs von Croaria.
Art. 18 Croarias scheint an Jo. Pe. de Ferrariis angelehnt zu sein: Isti apostoli sunt quedam litere dimissorie quos iudex a quo appellatur tradit appellanti deferendas iudici ad quem est appellatum et in quibus continetur qualiter talis persona ab eius sentencia appellavit...
Die Unterscheidung der verschiedenen Arten von Aposteln, die Croaria im 19.
Art. macht, findet sich schon in der Summa aurea (Hostiensis)4.108.
In einem Unterabschnitt (Diversa genera apostolorum) der 6. Rubrik des
2. Buches4.109 nennt Segusio:
testimoniales: quia testificantur de appellatione facta ... dimissorii
dicuntur hi per quos apparet, quod Iudex appellationi detulit: et sic partem
quo ad hanc causam a sua manu, id est potestate et iurisdictione dimittit et
ipsam ad illum ad quem appellatum est mittit ...[Seite: S. 112] refutatorii
apostli (sunt) hi per quos apparet quod Iudex non defert appellationi: sicut
alia scriptura refutatoria dicitur ...
conventionales quando scilicet pars admittit appellationem, sive in iudicio
iudice refutante vel tacente, sive extra iudicium ...
reverendi, scilicet quando propter reverentiam superioris defertur ...
Die Practica aurea Panormitani zählt in folgender Reihenfolge auf 4.110:
Dieser Reihenfolge kommt die von Croaria sehr nahe.
Das 12. Ges. (1503) der Nürnberger
Reformation erwähnt nur Refutatorios und Reverentiales: So soll Ine
der Richter mit sollicher Appellation nit zulassen. Sonnder von stundan
Apostolos Refutatorios geben / unnd wider Ine mit Execution ... verrer
procedirn ...
Auch sein Appellation zulessig were. So soll Ime der Richter apostolos
Reverentiales geben / sein appellation zulassen ...
Auch die Wormser Reformation nennt im 2. Titel nur diese beiden Arten, ohne Definitionen zu geben. Damit dürfte dem letzten Abschnitt in Croarias 19. Art., wonach reverentiales und refutatorii .. am mainsten im gebrauch sind, überregionale Bedeutung zukommen. [Seite: S. 113]
Der erste Abschnitt gebietet dem Unterrichter, der die Appellation zum
Hofgericht zuläßt, die Aktenedition und die Ausstellung eines Apostelbriefs.
Die Pflicht zur Apostelerteilung entspricht dem römischen Recht4.111, wie es auch bei Tancredus Ad officium
iudicis pertinet a quo est appellatum ut recipiat appellationem, si legitima
est: et appellatori literas dimissorias intra triginta dies exhibeat (S.
461), und Durantis [Seite: S. 116] Quid sit officium eius a quo appellatur ...
ut recipiat appellationem et reverenter ei deferat si ex causa sit legitima
interiecta (9. Kap. § 1),
recepta autem appellatione debet dare appellanti apostolos requisitos
(9. Kap. § 7), in Erscheinung tritt. Die Strafmöglichkeit bei Nichtannahme
einer rechtmäßigen Appellation Sed si appellationem legitimam Iudex non
receperit, secundum leges puniri debet in XXX pondo auri, et officiales eius
simili poena puniendi sunt (Tancr. S. 461) wurde nicht in die GO
übernommen. Die Pflicht zur Aktenedition wurde von Kölner neu statuiert.
Im Anschluß daran wird noch im ersten Abschnitt ein Formularbeispiel gegeben, das die Erteilung von Apostolos reverentiales zum Gegenstand hat und mit Einschränkungen dem 21. Art. Croarias folgt. Wahrend in den kanonischen Vergleichstexten mannigfach derartige Formulare geboten werden, ist dies die einzige Stelle, wo in die Appellations-Vorschriften der GO ein Formularbeispiel eingerückt ist. Die dem GO-Entwurf 1516 / 17 beigegebene Formularsammlung112 und die Formulare in Croarias Entwurf (Art. 10: Forma der Appellation von Beiurteilen, Art. 17: Forma der Appellation von Endurteilen, Art. 22: Forma Apostolis refutatoriis) fanden keinen Eingang in die GO.
Der folgende Überblick soll zeigen, welche Quellen das Apostelformular Kölners beeinflußt haben könnten. [Seite: S. 117]
Tancredus (S. 462) | Panormitanus (Bl. 90 RS) | Tengler (Layenspiegel Bl. 102) [Digitalisat BSB München Ausgabe 1509 Bl. 103v] |
Formula apostolorum dimiß. Tenor apostolorum talis est. | Apostolorum dimissorium forma | Forma apostel genant Dimissorii. |
Salvatione praemissa iudici ad quem appellatum est, dicat sic. Lucium Tit. appellasse a sententia mea, quam contra eum tuli pro Gaio Seio, super tali causa, notum sit vobis: Et ideo dimitto eum a iudicio meo, et ad vestrum examen cum istis literis dirigo. | ... cum in causa que
inter A. ex una parte et B. ex altera parte de.et super re vel deposito tali,
vel de et super domo vel fundo tali coram me in iudicio vertebatur sententiam
pro predicto. A. et contra B. praefactum tuli diffinitivam vel interlocutoriam
sie vel sie pronunciando super exceptione taliter etc. Et quia ab hmoi snia diff. va vel interl. ia idem B. ad sanctitatem vestram et sanctam sedem apostolicam appellavit idcirco ipsum B. appellantem a meo iudicio dimitto, et ad vesteram sanctitatem ad examinendum his litteris dirigo sibi litteras hmoi sigillo meo sigillatas concedens in testimonium premissorum. Datum etc. et hoc cum appellatum est ad papam Si vero appellatum est ad inferiorem puta ad episcopum vel archiepm. scribatur sub eadem forma verbis competentibus mutatis. | Dem N entbeut ich N mein etc. und thun E. G. zu wissen /
als A. und B. von des guts wegen vor mir in recht gestanden seind / darinn ich
ein bey oder endturtail / für A. und wider B. also und also gegeben hab / die
weil aber derselb B. dann für E. G. geappelliert hat / so send ich in von
meiner gerichtszwang / für E. G. mit disem brieff / der under meinem insigel /
doch mit und dem gerichtszwang sonst onschädlich ist geben etc. Forma Reverencialium. Dem etc. ut supra. Und wiewol ich solch appellation für unnütz und frävel angesehen / so hab ich doch E. G. zu eern derselben stat geben / deferiert und uffglegt / daz er die hie zwischen und N tag volfüren sol etc. |
Während das Formular bei Tancredus knapp gehalten ist, ist das der Practica aurea in dem Bestreben nach Vollständigkeit weit umfangreicher geraten. Das Beispiel Tenglers zeigt, daß Croaria höchstwahrscheinlich darin sein Vorbild genommen hat.
Kölner beschränkte die Abschnitte 2-5, die sich am 20. Art. Croarias
orientieren, auf die Appellation von erstinstanzlichen Hofurteilen zum RKG. Daß
das Gesuch um Apostelerteilung, das schon bei Tancredus erwähnt ist Officium
appellatoris est petere literas dimissorias, quae dicunter Apostoli (S.
461).
Forma libelli provocationis haec est. Ego T. senties me gravatum a
sententia tua ... et apostolos instanter peto (S. 457), in Form einer
offen protestation gestellt werden muß, hat keine Parallelen in den
Vergleichstexten. Es folgt dies aber aus der Verbindung von
Appellations-Einlegung und Antrag auf Apostelerteilung, da die Einlegung gemäß
dem 3. Gesatz (1. Abschn. 2. Teil) vor dem Notar erfolgen muß. Lediglich die
Formel, in die das Gesuch gekleidet werden soll und die pitten zum Ersten /
Anndern / unnd Dritten maln / vleissig / vleissiger / und aller
vleissigist, erinnert an das römische petisse intra tempus dimissorias
instanter et saepius 113 und gleicht dem
von dem Richter apostel forderen, bitten und begeren. fleissig noch
fleissiger und allerfleissigist der Wormser Reformation (2.
Tit. 1. Abschn.).
Die dreißigtägige Bedenkzeit, die Kölner den Räten im 3. Abschn. einräumt, entspricht wieder den oben aufgezeigten kanonischen Regelungen bezüglich der Apostelerteilung, wie sie z.B. in der Addition des Baldus zum Speculum erscheint: apostoli sunt dandi intra triginta dies a die sententie (Bl. 191 RS).
Während Kölner aus dem 17. Art. Croarias, der insoweit mit dem 10. Art. des Entwurfs übereinstimmt, einige Formulierungen in den 2. Abschnitt einbaut, [Seite: S. 119]
läßt er die 2. Hälfte des 3. Teils von Art. 20, der bei einer unförmlichen Appellation überhaupt keine Apostel erteilt wissen will, weg. Letzteres entspricht dem Vorgehen bei der Fassung des 2. Abschnitts des 7. Gesatzes, wo Kölner ebenfalls die Apostelerteilung im Gegensatz zu Croaria (2. Teil des 8. Art. des Entwurfs) für erforderlich hält.
Im 5. Abschnitt hat Kölner noch das Appellations-Privileg eingearbeitet.
Die bloße Aktenedition ohne ausdrückliche Apostelerteilung, wie sie Croaria allgemein, Kölner nur für das Hofgericht im Verfahren zum RKG zuließ, ist in den Vergleichstexten ohne Beispiel. Zwar unterstellte Baldus in additionem ad speculum si instrumentum dicat iudex a quo recepit appellationem presumitur detulisse, ging dabei aber doch von der ausdrücklichen Annahme der Appellation durch den Unterrichter aus.
Auch die Practica aurea Panormitani ließ lediglich eine Formerleichterung zu: Iudices modernis temporibus raro tales literas dirigunt ad superiorem des faciliter se de his apostolis expedientes dicunt verbo ad appellantem vel eius procuratorem sub hac forma: Appellationi ... defero etc. (Bl. 91 RS).
Nur Tengler erwähnt die Möglichkeit bloßer Aktenedition: Und wiewohl die Richter etwo die gerichtsacta und proceß für apostel / so werden sye doch etwo besonder geben nachvolgender forma (Bl. 102 [Digitalisat BSB München Ausgabe 1509 Bl. 103v]).
Die nachfolgende forma stellt das oben bereits wiedergegebene Apostelformular dar4.114, das Tengler somit als Mindestanforderung an eine ordnungsgemäße Apostelerteilung ansah.
Den Hintergrund für den Wegfall von Aposteln im Verfahren des Hofgerichts zum RKG stellt die bayerische Gerichtspraxis dar. Aus politischen Gründen war das Hofgericht nämlich nicht gewillt, selbst Apostel an das RKG auszustellen4.115. Wenn ihm dies im Verfahren, wo es als zweite Instanz tätig wurde, durch die die Hofurteile verkündenden Untergerichte abgenommen wurde, so war es doch durch die RKGO 1500 Tit. 16 § 2 [Digitalisat der HAB Wolfenbüttel. H.S.] gezwungen, in erstinstanzlichen Verfahren, in denen zum RKG appelliert wurde, wenigstens die Akten vorzulegen: Nachdem aber nicht wohl müglich, sonder schwehr ist, solche Formalia zu beweisen, ohn die Urtheil und Gerichts-Acten der ersten Instantz: so ist geordnet, so die Parthey das begehrt, Compulsoriales wider die Richter der ersten Instantzien, und alle andere so solch Urtheil, Acta, und andere Urkund, zu der sach dienend, hin der ihnen hätten, erkandt werden, damit Mangel halben derselben Händel und Urkund, die sach nicht verhindert werde. Es sollen auch solche Compulsoriales von Anfang mit einer Pön, als zehen Marck Golds, auch umb Förderung und minder [Seite: S. 122] Kostens willen, außgehen. Ob aber darüber die Richter der ersten Instantz, oder andere, solchen Compulsorial-Briefen ungehorsam oder säumig erscheinen würden, daß alsdann wider dieselben Ungehorsamen ferrer im Rechten procedirt, und dem Appellanten zu Beweisung seiner Appellation weiter Zeit gegeben werde.
Die GO legalisierte diese Praxis der bayerischen Hofgerichte, indem sie für diese Fälle die Aktenedition der Apostelerteilung gleichstellte.
Möglicherweise ist dieses bayerische Verfahren zum Vorbild für andere deutsche Länder geworden, wo man später zur Übersendung der Originalakten anstelle von Abschriften an das Obergericht überging4.116.
Kölner übernahm im 11. Titel weitgehend wörtlich den Entwurf Croarias. Auffallend ist das Bemühen, lateinische Bezeichnungen ins Deutsche zu übersetzen.
Hier im ersten Gesatz sind es "Attentate" und "Appellat". Mit dem auf begern der partheyen fügte Kölner einen weiteren Gesichtspunkt, unter dem Attentate denkbar sind, hinzu.
Eine Definition der Attentate findet sich unter den Vergleichstexten lediglich in Tenglers Layenspiegel: die attemptata / daz ist / ob der richter oder partheyen über oder nach dem appelliern auff des underrichters urtail / davon man geappelliert / icht (Anm.: etwas) het gehandelt. Tenglers Verweisung (vi. Spe. de apo.) dürfte sich nur auf den im Layenspiegel vorangegangenen Abschnitt über die Introduktion der Apostel beim Oberrichter beziehen, nicht aber auf die Definition der Attentate, da eine derartige Definition im Speculum des Durantis fehlt. Lediglich die Bezeichnung "Neuerung" klingt in der Additio (zu b, Bl. 188) an: attentata pendente appellatione innovata.
Die Unzulässigkeit von richterlichen Attentaten stellt Durantis fest: item appellatione pendente sive fit recepta sive non iudex (Anm.: das 9. Kap. handelt von den Pflichten des Unterrichters) non debet aliquid in preiudicium appellauit innovare nec executionem facere (9. Kap. § 8).
Die Wormser Reformation (Tit. 2, 4.
u. 5. Abschn.) formuliert so: Item sol der Richter von dem appelliert
ist nach gethaner Appellation und begerung der apostel darvor und ee er der
apostel halben antwort geben hat in den sachen nit volnfarn. noch gestatten das
vor yme weyter procedirt werde.
Dann wo sölichs beschehe so were derselb Proces crafftlos und nichtig.
Der zweite Abschnitt gibt den kanonischen Grundsatz wieder, daß die Appellation von Interlokuten, die mit der Appellation vom Endurteil angefochten werden können, das untergerichtliche Verfahren nicht unterbricht, es sei denn, der Oberrichter inhibierte es4.117. Diese Regelung war sinnvoll, weil die Interlokutsappellation nach kanonischem Recht in der Regel unzulässig war und die Absicht des Appellanten, das Verfahren mißbräuchlich zu verzögern, nahelag.
Bei Durantis ist die Möglichkeit der oberrichterlichen Inhibition noch nicht angesprochen [Seite: S. 126] Si autem ante sententiam a gravamine appellatur tunc non prohibebit priorem iudicem procedere nisi sibi constat appellatum esse ex causa legitima (10. Kap. § 8), dafür sehr ausführlich bei Jo. Pe. de Ferrariis: Ubi autem esset appellacio interposita ab interlocutoria tunc die distinguitur. aut detulerit iudex appellacioni vel non ... Sed quid si iudex ipse non obstante appellacione de facto i causa processit Dic quod superior ad quem est appellatum omnia attemptata revocabit. Sed quando revocabit distigui consuevit Aut ista fuerunt attemptata post inhibicionem sibi expresse factam per superiorem ad quem est appellatum et tunc statim ipse superior alio non exspectato illa revocabit Aut sunt attemptata ante eius inhibicionem Et tunc demum lata sentencia et secuta victoria illa revocabit.
Baldus zeigt in add. ad spe. (Bl. 190) die Möglichkeit des Unterrichters, das Beiurteil bis zur Apostelerteilung zurückzunehmen: Postquam iudex a quo dedit appellanti apostolos dimissorios non potest revocare interlocutoriam.
Die gesamte kanonische Regelung findet sich in der Wormser Reformation wieder (2. Tit., 3. Abschn.): So aber die Appellation von einer Beyurteil oder einicher anderen beschwerde beschehe nachdem dann solicher Appellation der Richter zu deferirn oder zu gehellen nit schuldig ist. so mag er in gemelter und innerhalb derselben zeyt seynes gefallens solich Appellation, und wes für bescherd darinn angezogen ermessigen, und so er gegründte und mercklich ursach fünde der angezeigten beschwerung. die appellirend Parthey restituiren. oder so er nit redlich ursach fünde sölich appellation verwerffen und apostolos refutatorios geben. Und in derselben sachen volfarn und procedirn. so lang und verr bis verbotßbrieffe und Inhibition von dem obern Richter ym uberantwort werden.
Die Vorschrift ist möglicherweise am 9. Gesetz der Nürnberger Reformation orientiert: Wiewol ein parthey appelliert von einer underredlichen urteyl / yedoch mag das gericht alhie In derselben sachen / wo das gericht dieselben Appellacion nit nachgeben und deferirt hat / weyter faren und procediern / Solang und verr / biß verpotbrieff und Inhibition von dem obern Richter oder gerichte disem gerichte geantwurt werden / und sunderlich alßdann so die urteyler ditz gerichtz vermercken oder betrachten das dieselben [Seite: S. 127] parthey / on völlig beschwerung frevenlich appelliert / und solliche verrer proceß oder hendel / sein eyentlich nit attemptata oder ernewerung / oder ungepürlich verendrung.
Das erste Gesetz des 10. Titels des Nürnberger Stadtrechts erwähnt die Wiederrufbarkeit von Interlokuten seitens des Unterrichters: Ein underredlich urteyl gewinnet des Richters oder der urteyler halb nit die krafft einer berechten sachen / sunder sie mügen die widerwerffen und ein andre sprechen alledieweyl die sach vor ine unentscheyden hannget ...
Das 5. Ges. sieht auch die Möglichkeit des Nachgebens durch den Gegner vor: Doch so Appellacion von underredlichen urteylen ... furgenomen wurden / und so dann der underrichter oder die parthey darwider Appelliert ist worden / solliche underredliche urteyl ... abstellet / oder nachgebe in dreyssig tagen den nechsten nach eröffenter urteyl ... Allßdann sol auch damit dieselb Appellacion gefallen und abgestelt sein.
In diesem Falle hat der Appellant einen Anspruch auf Erstattung der entstandenen Kosten: Doch also / ob die appellierent parthey: icht Cost gelitten ... So sol solliche gerichtzcost ... der appellierenden parthey von irem widerteyl erstattet / und widerlegt werden.
Das am Ende des zweiten Abschnitts angeführte Beispiel einer Klage um Besitz (ires innhabens unnd possession) könnte dem römischen Recht entlehnt sein, das in Besitzsachen ausnahmsweise auch Interlokutsappellationen den Suspensiveffekt zugestand, um Härten zu vermeiden4.118.
Der zitierte Urteilsspruch des Oberrichters das wol appellirt und ubel geurteilt sey entspricht den Gepflogenheiten der Praxis4.119. Er ist auch bei Ferrariis (Forma app. a snia diff. ) male iudicatum et bene appellatum und im Layenspiegel (Forma appellanten clag, [Digitalisat BSB München Ausgabe 1509 Bl. 103v]Bl. 102 RS) [Seite: S. 128] übel / nichtig und wider recht geurteilt / und durch in wol geappelliert überliefert.
Von den Übersetzungen der lateinischen Bezeichnungen renoviert und spoliert abgesehen hat Kölner den zweiten Teil des zweiten Abschnitts, der die Handlungen nach zugelassener Appellation oder nach Inhibition des Obergerichts zu Attentaten erklärt, auf Appellationen zum RKG beschränkt. Diese Beschränkung ist unerklärlich, da hiermit den bayerischen Untergerichten gestattet worden wäre, trotz Zulassung der Appellation bzw. — was besonders unglaublich erscheint — trotz Inhibition des Hofgerichts weiterzuverfahren. Möglicherweise ist Kölner, der an ein weiteres Prozedieren trotz kaiserlicher Inhibition vor dem Hofgericht gedacht haben könnte, ein Versehen unterlaufen, indem er gerade das Gegenteil statuierte.
Die Attentatsklage hat lediglich im 10. Titel der Wormser Reformation (Terminy in Attemptatis) eine Parallele: Wo eynich parthy in hangendem krieg der appellacion nüwerung fürneme und attemptirt. so soll derihenne dem zu wider attemptirt solich attemptata montlich oder schrifftlich articuliert und underscheydlich fürbringen, und daruff dem widerteil wider sölich artikel inred zuthun und wie sichs in recht gepürt zu antwurten, eynen nemlichen tag setzen und verkünden lassen. Und ob der attemptirer sölich artikel verneinen würd solten die sovern sie pertinentes fürtreglich und zulaßlich weren uff der clagenden pharthy begern in eyner bestympten zyt zubewysen zugelassen, und mit sölicher probacion wie oben by der haubtsach ußgetruckt ist. gehallten werden.
Eine Verweisung auf den Summarischen Prozeß ist hier nicht erfolgt. Auch die GO enthält keine Regelung des summarischen Verfahrens. [Seite: S. 130]
Die Fälle der Desertation der Appellation scheinen an die Addition zum Speculum
(b Bl. 190 ff. Incipiunt quidam dicta extravagantia conferentia ad materiam
appellationis) angelehnt zu sein: [Seite: S. 133] dicitur appellationem
deserere qui non petit apostolos
qui petit sed in termino statuta non comparet ad eos recipiendos
qui infra terminum sibi prefixum non comparuit coram iudice ad quem ... ad
appellationem introducendam.
Si nemo prosequitur appellationem ea deserta.
In dieser Reihenfolge entsprechen die einzelnen Punkte dem 2. bis 5. Fall in der GO. Da der 1. Fall lediglich die Verweigerung des Appellations-Eides und der 6. und 7. Fall nur Appellationen zum RKG betrifft, auf die Kölner die schon in den Additionen zum Speculum erwähnten Grundsätze lediglich beschränkt hat, kann die Vorschrift in ihrer Gesamtheit auf die zitierten Stellen in den Additionen zurückgeführt werden.
Einen in der GO nicht genannten Grund der Desertation erwähnt Ferrariis (Forma apostolorum): Quid autem si infra terminum (Anm. : infra decem dies) se non presentaverit die quod appellacio reputabit per deserta nisi iusta causa excuset.
Ähnliche Regelungen wie in der GO finden sich in der Nürnberger Reformation:
Wo dann der Appellant in auffgesatzter und bestimpter zeyt (Anm.: zur
Entgegennahme der Apostel) vom Richter / vor Ime nicht erschine noch köme / und
Apostel bete und begerte So were der appellierer dadurch seiner appellation
abgestannden / und möcht der Richter / dem widertayl auff sein anrueffen / auff
ergangne urteyl / mit Execution verhelffen ... verrer wie Recht ist.
So dann der Appellant söllichs (Anm. : Introduktion beim Oberrichter) auch nit
thete / oder dem Richter und gericht nit anzaigte / möcht abermals wider Ine
verrer procediert werden mit Execution wie Recht ist (12.
Ges. 1503).
Der 7. Fall der bayerischen Regelung, in den die Fatale aus dem 5. Ges. GO eingearbeitet ist, hat im 5. und 7. Ges. des Nürnberger Stadtrechts eine Parallele: Und ob aber kein tayl sollicher Appellacion zu irer Rechtfertigung oder anfechtung in der Jars frist / nach eröffnung der urteyl ... nit nachköme / So ist alßdann dieselb appellacion dardurch gevallen und abgestelt. Also / das an dem undern gericht umb dieselben ding verrer beschehen mag was recht ist (5. Ges.). [Seite: S. 134] So yemandt von eynicher underredlichen oder entlichen urteyl ... appellierte ... unnd so dann die Appellierent parthey derselben Irer appellacion in Jars frist nach Irer einlegung ... nit nachkompt ... / So soll hinfur die widerparthey zu verrer hilff des Rechten zugelassen ... werden ... Es were dann das die appellierent parthey so mercklich ursach irs fleyß furprechte. Allso / das die urteyler darauß iren gepürlichen und notturfftigen fleyß und ernst / und ire verhindrung auß Eehafft verstünden ... (7. Ges.).
Die Änderungen, die Kölner am Entwurf Croarias vornahm, sind nicht sehr einschneidend. Neben der Übersetzung ("exequieren, prosequieren") und Streichung ("procediern, termin") von lateinischen Bezeichnungen machte er das Fortfahren vor dem Untergericht bei Desertation der Appellation von einer entsprechenden hofgerichtlichen Entscheidung abhängig (1. Abschn. : doch sol sölich volziehung ...), differenzierte im 2. Fall zwischen Appellationen zum Hofgericht und zum RKG, wobei entsprechend den Regelungen im 10. und 13. Ges. d. 10. Titels die dreißig Tage im einen Fall für die Beibringung der Inhibition, im anderen für den Antrag auf Apostelerteilung gelten, und beschränkte den 6. und 7. Fall auf Appellationen zum RKG. Bei dieser letzteren Beschränkung ersetzte Kölner die allgemeine Fatale von einem Jahr durch die im 13. Ges. des 10. Titels geregelte Dreimonatsfrist (6. Fall). Lediglich der 7. Fall ist auch inhaltlich gegenüber dem Entwurf Croarias abgeändert, weil Kölner eine dem 6. Fall entsprechende Regelung im Falle fehlender Anordnung der Dreimonatsfrist, also bei Geltung der allgemeinen Jahresfatale, wollte. Hier ist auch zusätzlich eine Ausnahme bei Vorliegen von Eehaft ursach eingearbeitet. Auffallend ist, daß Kölner bei den Fristen nicht auf das 10. und 13. Gesatz, wo sich die Regelungen befinden, sondern auf das 9. und 12. Gesatz (jeweils 10. Tit.) verweist (2. und 6. Fall). Der Grund ist darin zu sehen, daß das Appellations-Privileg noch nicht als 9. Ges. in den GO-Entwurf eingefügt worden war, als Kölner die vorliegenden Vorschriften abfaßte. Nach der späteren Einfügung des Privilegs fiel die nunmehr falsche Verweisung nicht mehr auf, so daß der Fehler nicht korrigiert wurde. [Seite: S. 135]
Die Regelung der Fatale entspricht dem römischen Recht. Allerdings war dort
lediglich eine Verlängerung auf zwei Jahre möglich, wenn besondere Umstände
vorlagen4.120. Dies findet sich bei Durantis
Qualiter fieri debeat appellatio ... debet sollicite procurare ut causa
infra annum terminetur (6. Kap. § 15)
Infra que tempus fiet appellationis prosecutio ... regulariter infra annum
vel ex iusta causa biennium (7. Kap. § 1), in der Nürnberger Reformation
Und ob aber kein tayl sollicher Appellacion zu irer Rechtfertigung oder
anfechtung in der Jars frist / nach eroffnung der urteyl ... nit nachköme / so
ist alßdann dieselb appellacion dardurch gevallen und abgestelt. Also / das an
dem undern gericht umb dieselben ding verrer beschehen mag was recht ist"
(10. Tit. 5. Ges.), in der
Wormser Reformation Ein yeder appellirer soll nach eroffnung der urteil oder
fürgenomen beschwerung syner gethanen appellation in iarßfryst nachkommen
volfürn und die sach zu ende bringen. Und wo der appellirer in der gemelten zyt
solich Appellation nit volnfürte so ist alßdann dieselb appellation gefallen,
desert und veriert. als das an dem undergericht um dieselben sprüch und sach
ferrer bescheen mag was recht ist lut gesprochener urteil. Es were dann das
derselb appellans uß rechter eehafft verhindert würd. so alßdann und in
demselben fall soll im das zweyte Fatal das ist das zweyte iar syn appellation
zuvolfürn erteilt zugelassen und vergünstigt werden (2.
Buch, 8. Tit.), und in Tenglers
Layenspiegel [Seite: S. 137]Appellation Warnungen ... Item er soll verfügen /
das sie appellation inner iars frist geendet werd / sovil an im sey ([Digitalisat
BSB München Ausgabe 1509 Bl. 102v]Bl. 101 RS). Die apostel sol der
appellans on Verzug dem oberrichter anbringen / damit er sich selbs nit
verkürtz / sein appellation inner jars frist oder der zeit so im uffgesetzt
würt / sovil an im sey / zuvolfüren. Doch gibt man etwo auß Ursachen das ander
fatal ([Digitalisat
BSB München Ausgabe 1509 Bl. 103v]Bl. 102 RS).
Die im 4. Abschnitt genannte Einräumung eines dritten jars bzw. von sovil zeit Er gesäumbt worden ist" dürfte aus praktischen Erwägungen unter Berücksichtigung der langen Prozeßdauer beim RKG und von Unterbrechungen der Rechtsprechung des RKGs4.121 erfolgt sein. Vorbild könnte Tancredus gewesen sein: Prosecutio cuiuslibet appellationis intra annum debet fieri, vel si iusta causa intervernerit, indulgetur biennium. ... Post illud tempus ut dictum est, rata manet sententia nisi cum appellans appellationem suam prosequi proprer impotentiam non potuit, quoniam tunc post biennium prosequi poterit appellationem suam (S. 459).
Die Regelung der Fatale war dem bayerischen Gesetzgeber schon geraume Zeit vor Schaffung der GO bekannt. Zwar mußte nach dem Münchner Stadtrecht der Dingende das Hofurteil noch innerhalb vierzehn Tagen her wider pringen, als recht ist (Münchner Satzungsbuch B, Art. 79; Münchner StRB 1365 Art. 310). Nur bei Abwesenheit des Herzogs (auzzer landes) begann die Frist mit der Rückkehr des Herzogs. Bereits im Ratschlag zu einem Landgebot4.122 ist jedoch die Fatale indirekt erwähnt, indem auf das Recht der Appellation verwiesen wird: ... soll dann solch appellieren führen, und in solcher Zeit als appellierens Recht ist. Ausdrücklich wird sie in Herzog Albrechts Gedächtniszettel4.123 genannt: Welcher zusagt zu persequieren, der hat ein Jahr nach Ausgang der Appellation.
Erstaunlich ist die Beschränkung Kölners, wonach die Fatalienregelung nur auf Appellationen zum RKG und nur dann Anwendung findet, wenn das RKG nicht tagt (in yebung ist). Sie kann nur auf die vergleichsweise äußerst kurze Verfahrensdauer vor dem Hofgericht zurückgeführt werden4.124, die die Anwendung der Fatalienregelung ohnehin gegenstandslos gemacht hätte.
Hier soll in einem kurzen Überblick gezeigt werden, welche wesentlichen Regelungen, die in den Vergleichstexten und in der vorausgegangenen bayerischen Gesetzgebung auftauchen, in der GO keine Aufnahme fanden, und welche Regelungen im Entwurf Croarias von Kölner nicht übernommen wurden.
Nicht geregelt ist in der GO das obergerichtliche Verfahren. Die RKGOen 1471 (§§ 10-16) und 1495 (§§ 21 ff.) enthalten eine derartige Regelung in kleinerem, die von 1500 (16. - 20. Abschn.) und 1508 (2. u. 3. Abschn.) in größerem Umfange. Auch die Wormser Reformation normiert das obergerichtliche Verfahren im Tit. 3 (2. u. 3. Abschn.), den beiden folgenden Undertiteln, im Tit. 4 (Contumacialverfahren) und im Tit. 7 vergleichsweise ausführlich. Dagegen erwähnt die Nürnberger Reformation im 11. Ges. (1503) lediglich eine Strafe des Appellanten bei Nichtbeibringung der untergerichtlichen Akten.
Der Grund des Fehlens einer entsprechenden Regelung in der GO dürfte darin liegen, daß Croaria seinen Entwurf nur für Untergerichte konzipiert hatte: Newe gerichtsordnung ... Wie man in seiner fürstlichen G. lande an den schrannen und undergerichten in recht procedirn und gerichtlich handeln soll (Titel Bl. 1).
Kölner ließ zwar diese Beschränkung fallen, folgte aber dem von Croaria vorgegebenen Weg so getreu, daß es nicht zu einer Regelung des zweitinstanzlichen Hofgerichtsverfahrens kam.
Ein wichtiges Postulat dieser Zeit war, daß die Appellation gradatim, also immer zunächst an den unmittelbar vorgesetzten Richter zu erfolgen hatte4.125.
Es ist schon bei Tancredus (S. 454) erwähnt: Appellatio debet fieri a minore iudice ad maiorem, et gradatim, id est ad eum qui gradu proximo superior est illo a quo appellatur.
Der Grundsatz floß in die RKGO 1495 (§ 13) ein: Item es sol auch kain Appellacion angenomen werden, die nit gradatim geschehen war, da ist an das nechst ordenlich Obergericht.[Seite: S. 139]
Die Wormser Reformation formte ihn entsprechend ihren Gegebenheiten um (Tit. 1, 2. Abschn.): Und sol von urteilen die am Stattgericht außgeen für Burgermeyster und Rate, und von urteilen die vor Rate außgeen an die Römisch Küniglich oder Keyserlich Maiesteten appellirt. Und sunst keiner anderen appellation statt geben noch deferirt gehollen oder zugelassen werden.
Eine entsprechende ausdrückliche Regelung fehlt in der GO, wenn auch die Systematik der Appellations-Vorschriften erkennen läßt, daß von der stufenweisen Durchführung der Appellation ausgegangen wird. Immerhin ist die Regelung einer stufenweisen Appellation dem Landesherrn günstig, da die Umgehung seiner Gerichte ausgeschlossen wird.
Tit. 9 der Wormser Reformation regelt die Compulsoriales: Uf einer yeden pharthy beger unnd angesynnen sollen Compulsoriales und zwanknüßbrieff wider den richter der ersten Instantz ad edendum gerichts acta urteil und ander urkund gegeben vergünstigt und mitgeteilt und dem widerteil darzu verkint werden. Der Gedanke, der hier für den Stadtrat als zweite Instanz ausgesprochen ist, ging für das RKG in den Tit. 16 § 2 der RKGO 1500 ein4.126. Daß eine ähnliche Regelung für das Hofgericht in der GO fehlt, geht wahrscheinlich ebenfalls auf das generelle Fehlen einer Regelung des zweitinstanzlichen Hofgerichtsverfahrens (s.o.) zurück.
Ausweislich der Gesetzgebung in der zweiten Hälfte des 15. Jh. waren die Gerichtsgebühren in Bayern Gegenstand großen Interesses. Das Landgebot 14644.127 berichtet: Leute werden von Richtern und Gerichtsschreibem merklich beschwert und übernommen um die Geding und Gerichtsbriefe, dadurch etlich Unvermögenshalb ihres Rechtes mangeln müssen. Es bestimmt daher feste Gebühren. Der Gerichtsschreiber soll für das Schreiben eines Gedings 24 Münchner Pfennige, der Richter für das Siegeln desselben nichts bekommen. Für einen Gerichtsbrief sind dem Richter ein halbes Pfund Münchner Pfennige, dem Gerichtsschreiber sechzig Münchner Pfennige zu zahlen. Diese Gebührenordnung wird von dem Landgebot 14684.128 wiederholt. Für den Landshuter Landesteil setzt die Landesordnung 14744.129 Gebühren fest. Richter und [Seite: S. 140] Gerichtsschreiber bekommen danach für die Ausfertigung eines Gedings jeweils sechzig Landshuter Pfennige. Für die Ausstellung eines Gerichtsbriefes sind dem Richter und dem Gerichtsschreiber jeweils zweiunddreißig Landshuter Pfennige zu zahlen, wenn die Hauptsache noch nicht beendet ist, also zum Hofgericht gedingt ist, fünfundvierzig Landshuter Pfennige, wenn es sich um ein Beiurteil, und drei Schillinge Landshuter Pfennige, wenn es sich um ein Endurteil handelt, ohne daß davon gedingt wäre.
Das Landgebot 14894.130 schließlich ordnete die Abschaffung von Extragebühren bei Appellationen zum RKG an.
Die GO folge insoweit dem Vorbild der Stadtrechtsreformationen, wenn sie derartige Gebührenregelungen nicht wiedergibt.
Auch enthält die GO kein Gebot an die Hofrichter, die Appellation innerhalb bestimmter Fristen zu erledigen. Eine derartige Regelung enthielt die Landshuter LO 14744.131 131), wonach die Gedinge bei Hof innerhalb eines Monats oder von sechs Wochen zu erledigen waren und die bei der Entscheidung anwesenden Räte namentlich festgehalten werden sollten. 1501 beschwerten sich die Stände über die Nichteinhaltung dieses Gebots4.132, worauf die Landesordnung 1501 abermals die Erledigung innerhalb der in der LO 1474 gesetzten Frist anordnete4.133.
Kölner übernahm folgende Regelungen im 10. Titel des Entwurfs Croarias nicht in die Appellations-Vorschriften der GO:
Das Ziel der Untersuchung ist die Feststellung von Wechselbeziehungen zwischen der Gerichtspraxis und der GO. Als Untersuchungszeitraum wurde daher ungefähr die Zeit zwischen 1450 und 1540 gewählt. Die Quellenlage ist innerhalb dieser Zeitspanne unterschiedlich. Da die Aussagen in der Gesetzgebung, die Schlüsse auf die Praxis zulassen, sehr spärlich sind5.1, kommen nur Gerichtsbücher, Gerichtsbriefe und sonstige gerichtliche Aktenstücke in Frage. Für den Zeitraum von 1450 bis 1500 enthalten die Monumenta Boica eine ganze Anzahl von Gerichtsbriefen, die auch Appellationen beinhalten und daher einen ausreichenden Überblick über die Praxis dieser Zeit gewähren. Auch das Münchner Hofgerichtsbuch 1479 - 1485 5.2, das in knapper Form das Geschehen an den einzelnen Hofgerichtsterminen wiedergibt, kann einigen Aufschluß über Appellationen geben, wenngleich es in erster Linie erstinstanzliche Hofurteile enthält.
Für die Zeit von 1500 bis 1540 gibt es keine gedruckten Quellen. Die Gerichtsbücher des Münchner Hofrats und der Viztumsämter Landshut und Burghausen sind entweder nur Terminbücher, die die Verhandlungen vormerken und Ladungen u.a. anordnen, oder sie enthalten ausschließlich Abschiede, also nichtstreitige Endentscheidungen, so daß sie keine Anhaltspunkte bezüglich des Appelationsverfahrens geben. So enthält das Terminbuch des Viztumsamtes Landshut von 15065.3 lediglich die Setzung von gütlichen oder rechtlichen Tagen, also von Terminen zur Entscheidung von nichtstreitigen oder streitigen Verfahren.
Die Form dieser Anordnungen zeigt folgendes Textbeispiel (Bl. 3): Auf obgeschriben tag (Anm.: Eritag nach Erhardi schiristn) zunachts hiezusein Ist Wolfganngen puehler und Christoffen durch Zieher Burger zu Pfarrkirchen gegen Hannsn Mair von Alltpfartersperg und hannsn [Seite: S. 143] Hafner von Sibengarten ein gutlicher tag gesetzt Und den gedachten Bürgern den Partheien solhe erstreckung Zuerkonnden zuegeschriben.
Kürzer ist z.B. die Anordnung der Verkündung eines erstinstanzlichen Hofurteils (Bl. 16): Ein Rechttag zur Eröffnung der urtail gesatzt.
Aufschluß gibt das Terminbuch über die Zahl der Sitzungen am Viztumsamt. So tagten die Räte im
Auch die Terminbücher der Jahrgänge 1508 bis 15125.4 zeigen obigen Aufbau und Inhalt. Sie weisen darüber hinaus nur stets gleich gegliederte Titelblätter auf:
Die Jahrgänge 1508 bis 1510 tragen darunter den Vermerk: HaderPuch. Dieser Vermerk trägt 1511 den Zusatz id est : zänngkerey; [Seite: S. 144] 1512 ist er leicht abgewandelt: Das Puch des Hadems, id est zanngkhens.
Die Bücher der Regierung Burghausen (1508 bis 1510)5.6 enthalten nur unstreitige Verfahren. Es handelt sich um Protokolle von Güteverhandlungen, wobei von den Räten der Vorschlag einer gütlichen Einigung gemacht wird, der von den Parteien angenommen wird (guetlicher Vertrag). Das Buch 1508 enthält 18 solcher Spruchbriefe, wovon 4 noch unter Herzog Albrecht, die übrigen unter Herzog Wolfgang als Vormund Wilhelms ergangen sind. Der Jahrgang 1509 weist 22 Briefe, der Jahrgang 1510 27 Briefe, 2 Verträge und eine Einsetzung die als Vollstreckungsbefehl angesprochen werden kann, auf.
Der Sammelakt mit Entscheidungen des Münchner Hofrats (1531 bis 1536)5.7 enthält eine Fülle von nichtstreitigen Endentscheidungen (Recess, Vertrag, Abschid), ein erstinstanzliches Urteil und verschiedene Anweisungen an Untergerichte, (darunter auch solche in Strafsachen).
Die Rezeßbücher der Landshuter Regierung, die ab 1547 vorhanden sind5.8, enthalten ebenfalls nur Abschiede.
Der Grund für das Fehlen von Material zur Appellation in diesen Gerichtsbüchern ist darin zu sehen, daß die Gerichtsakten zusammen mit dem Hofurteil zur Verkündung an das Untergericht zurückgesandt wurden, wobei bei dem jeweiligen Hofgericht keine Akten zurückblieben.
Bei der Suche nach Gerichtsakten boten sich die Bestände der RKG-Akten an, die im vorigen Jahrhundert dem Königreich Bayern zugeteilt worden waren5.9 und die sich heute im HStA befinden. Es handelt sich dabei um Fälle bayerischer Provenienz, die oft die Gerichtsbriefe einschließlich des Appellationsverfahrens der bayer. Gerichte mit beinhalten. Aus diesen Beständen stammen also die Gerichtsbriefe und sonstigen Aktenstücke, die die Gerichtspraxis von 1500 bis 1540 erhellen sollen.[Seite: S. 145]
Wie unten (zu 4) näher gezeigt wird, ergeben die Quellen das Bild eines im großen und ganzen immer gleichen Regelverfahrens während des gesamten Untersuchungszeitraumes. Das Verfahren vor dem Untergericht (Stadt- oder Landgericht) schließt mit dem Urteil, das der Appellant meist sofort angreift. Er bekommt die Akten ausgehändigt, um sie am zuständigen Hofgericht anzubringen. Dort wird das Geding geöffnet, verlesen und sofort geurteilt. Das Hofurteil wird dem Untergericht zurückgeschickt, das es aufbricht und verkündet. Auf Antrag der Parteien wird ein Gerichtsbrief ausgefertigt. Ist der Unterlegene mit dem Urteil unzufrieden, kann er weiter zum RKG appellieren.
Im Vergleich zum Verfahren vor dem RKG5.10 wurden die Appellationen am Hofgericht sehr schnell erledigt. Wahrscheinlich ergab sich das aus einem einfacheren Verfahren vor dem Hofgericht, das daraus ersichtlich ist, daß das Hofurteil alsbald nach Öffnung und Verlesung des Gedings gefällt wurde. Näheres über das Hofgerichtsverfahren ist allerdings nicht bekannt, da auch die Hofurteile keine Angaben darüber machen. Eine Orientierung über die Erledigungszeiten soll nachfolgende Zeittafel bieten5.11.[Seite: S. 146]
Quelle | Urteil (1. Inst.) | App.-Einlegung | Hofurteil | Verkündung | sonstiges |
MB XX, 455 | 6.6.1455 | sofort | 10.9.1455 | 19. 9.1455 | 13.6.1455: Ausfertigung d. Urt. 1. Inst. |
Obb. Arch. XXIV 356 | 26. 6.1458 | - | - | 12.2.1459 | 16.7.1458: Ausfert. d. Gedings in 1. Inst. |
MB XX,590 | 16.9.1465 | - | 12.12.1465 | 16.12.1465 | - |
MB XXXV(2), 400 | 17.1.1478 | - | 21.2.1478 | 21.4.1478 | - |
MB XVIII, 578 | 4.10.1480 | - | 21.2.1481 | 21.3.1481 | 2.3.1480: bereits 1. Hofurteil i. d. Sache |
MB XXXV(2), 412 | - | 10. 9.1484 | 6.10.1484 | 9.10.1484 | 9.11.1484: weiteres Urt. in 1. Inst. |
MB XX, 669 | - | 12.3.1485 | 22.10.1485 | 15.11.1485 | - |
MB IX, 307 | - | 10. 10. 1496 | 23. 1. 1497 | 27.2.1497 | - |
MB IX, 312 | - | 22.5.1497 | 24.1.1498 | 19.2.1498 | - |
RKG 5967 | 1.3.1521 | - | 25.6.1521 | 28.6.1521 | - |
RKG 4823 | 11.12.1527 | - | 19.6.1528 | 25. 8.1528 | Termine v. d. Unterger.: 20.8. , 25.9. , 22.10. und 11.12.1527 |
RKG 6249 | 21.11.1531 | - | 5. 5.1533 | 27.5.1533 | 4.11.1531 Apostelerteilg. zum HofG 8. 7.1533 Apostelerteilg. zum RKG |
Die Beantwortung der Frage nach dem Instanzenzug kann nur aufgrund der Beobachtung einer größeren Zahl von Verfahren erfolgen. Der Versuch dazu soll mit folgender Aufstellung (s. S. 148 / 149 [im Druck befindet sich die Tabelle auf den genannten Seite; für die Online-Version wurde sie hier eingefügt, wie es der Verfasser vorgesehen hatte. 24.10.2008 H.S.] ) gemacht werden.
Jahr | Quelle | Instanzenzug | ||
1455 | MB XX, 455 | StG München | => HofG | |
1455 | MB IX, 40 | HofG München | => RKG | |
1456 | MB IX, 285 | HofG München | => Erzbischof Köln | |
1459 | ObbArch XXIV, 356 | LG Rain | => HofG Ingolstadt | |
1465 | MB XX, 590 | LG Wolfratshausen | => HofG München | |
1469 | ObbArch XXIV, 393 | LG Dachau | => HofG | |
1474 | MB VIII, 570 | LG Wolfratshausen | => zum Herzog | |
1476 | MB XXIV, 703 | LG Sulzbach | => HofG Hzg. Albrechts | |
1478 | MB XXXV (2), 400 | StG München | => HofG | |
1480 | HStA StV 2231 | LG Sulzbach | => HofG München | |
1480 | HStA StV 2231 Bl. 14 | HofG München | => RKG | |
1481 | MB XVIII, 578 | LG Vohburg | => HofG München | |
1484 | MB XXI, 355 | LG Lenggries | => HofG München | |
1484 | MB XXI, 364 | LG Lenggries | => HofG München | |
1485 | MB XX, 669 | StG München | => HofG München | |
1487 | MB VIII, 287 | Hofmark -Raisting | => vor den Herzog | |
1487 | MB XVIII, 607 | LG Rosenheim | => HofG Landshut | RKG |
1490 | MB XXIV, 724 | LG Sulzbach | => vor Hzg. Albrecht | |
1497 | MB IX, 307 | LG Rain | => HofG Neuburg | |
1498 | MB IX, 312 | LG Rain | => HofG Neuburg | => RKG |
1507 | RKG 4692 | HofG München | => RKG | |
1508 | RKG o.Nr. (Altweyker ./. Preysinger) | LG Erding | => HofG Landshut | => RKG |
1508 | RKG 4149 | StG Landshut | => HofG Landshut | => RKG |
1509 | RKG 4985 | StG Ingolstadt | => HofG München | => RKG |
1509 | RKG 5268 | HofG Landshut | => RKG | |
1512 | RKG 4337 / 1 | LG Wartenberg | => HofG Landshut | => RKG |
1513 | RKG 4476 | HofG Landshut | => RKG | |
1515 | RKG 5313 | HofG München | => RKG | |
1518 | RKG 5174 | LG Wartenberg | => HofG Landshut | => RKG |
1522 | RKG 5967 | StG München | => HofG München | => RKG |
1524 | RKG 6548 | KastenG Landshut | => Viztumsamt Landshut | => RKG |
1528 | RKG 4823 | LG Hirschberg | => Hofgericht München | => RKG |
1528 | RKG 3663 | LG Biburg | => HofG Landshut | => RKG |
1529 | RKG 6702 | HofG München | => RKG | |
1530 | RKG 5378 | HofG Landshut | => RKG | |
1533 | RKG 6249 | LG Haydau | => Viztumsamt Straubing | => RKG |
1533 | RKG 6411 | HofG München | => RKG | |
1534 | RKG 5712 | HofG Burghausen | => RKG |
Zunächst ist festzuhalten, daß in dem Verfahren 1456 (MB IX, 285) lediglich der Beschwerte vor den Erzbischof von Köln, der zwischen den Parteien einst einen Schiedsspruch gefällt hatte, dingen wollte, wobei sich der Gegner sofort widersetzte und das RKG5.12 als zuständig bezeichnete (s. u.). Es stellt dies keine Durchbrechung des Grundsatzes dar, daß das RKG oberste Instanz war. Zu beachten ist ferner, daß die Häufung der Appellationen zum RKG ab der Jahrhundertwende allein auf die verwendeten Quellen zurückzuführen ist, die naturgemäß nur Verfahren enthalten, die bis zum RKG gelangt sind. Wahrscheinlich endete die größere Zahl der Verfahren bereits mit dem Hofurteil.
Zieht man zusätzlich noch die Aufstellung von Lieberich5.13, die besonders intensiv die Zeit von 1494 bis 1501 aufschlüsselt, heran, so ist zu erkennen, daß sich die Appellation von einem Stadt- oder Landgericht stets an das regional zuständige Hofgericht München, Landshut, Straubing oder Neuburg richtete, wobei früher anstelle Neuburgs das Hofgericht Ingolstadt stand. Während das Hofgericht Neuburg nach der Vereinigung der Landesteile wegfiel, kam das zu Burghausen hinzu. Daß die zweite Instanz als Viztumsamt bezeichnet wird, bringt lediglich zum Ausdruck, daß die Hofgerichte außerhalb Münchens bei den Viztumsämtern gebildet wurden, während das Hofgericht München von Hofmeister und Hofräten gebildet wurde5.14. Daraus ergibt sich auch, daß die unterschiedliche Bezeichnung in der GO (Hofgericht, Vitzdombambt, Regimennt, an unseren höfen) lediglich regionale, nicht aber instanzielle Unterschiede kennzeichnet. Dies wird auch aus dem Entwurf Croarias ersichtlich: Hofgericht zu München Landshuet oder Straubing etc. in welhem vicedom ampt dann ainer appelliert ... (10. Tit. Art. 10). Hofgericht zu München Burckhausen oder Landshuet etc. in welhem vicedom ambt dann derselb richter davon geappelliert ist wondt ... (10. Tit. Art. 17).
An das zweitinstanzielle Verfahren vor dem jeweiligen Hofgericht schließt sich der Rechtszug zum RKG an. [Die Seiten 148-149 enthalten die Tabelle, die oben eingefügt ist.][Seite: S. 148] [Seite: S. 149] [Seite: S. 150]
Wurde vor dem Hofgericht als privilegiertem Gerichtsstand des Adels und der Prälaten in erster Instanz verfahren, konnte nur noch zum RKG als zweiter Instanz appelliert werden. Die Verkürzung um eine Instanz dürfte keine große Rolle gespielt haben, da das Verfahren in jedem Fall bis zum RKG gelangte.
Der Prozeß des Kaplans Jorg Westner gegen Margarete Ridlerin, die Witwe des Hans Niger (1455)4.15 beginnt vor dem Stadtgericht München (Richter: Erasmus vom Tor zu Eyrespurg). Hans Niger soll zu seinen Lebzeiten hundert Gulden Rheinisch seinem von Westner verwalteten Altar in der Frauenkirche vermacht haben, was die Beklagte als Erbin bestreitet. Es treten mehrere Zeugen auf, die von dem Vermächtnis gehört haben, bei der Errichtung aber nicht zugegen waren. Die Beklagte beruft sich auf zwei Artikel des Stadtrechtsbuches, wonach bei Geschäften von Todes wegen Zeugen bei der Erklärung zugegen sein müssen. Das Urteil am 6.6.1455 verpflichtet die Beklagte zur Zahlung, es sei denn, sie könne den Widerruf der letztwilligen Erklärung nachweisen. Die Beklagte dingt noch am selben Tage durch ihren Vorsprecher. Ausführlich muß die Beschwer dargetan werden. Darauf erfolgt die Verlesung des herrn puch der gewondlichen artigkel, der da laut wie man urtail gen hof dingen soll. Die Beklagte schwört dein persönlichen Eid, das sie der urtail durch kainer lengerung noch durch kain verziehen nit ding, nur darumb das sy Irs rechtens beköm. Das Geding wird versiegelt und der Beklagten ausgehändigt (13. 6.1455). Die Beklagte bringt das Geding an das Hofgericht, von dort wieder zurück an den Stadtrichter, der es aufbricht und verliest: dasselb geding haben unsere rate auf hewt aufgebrochen und verhört und ainhelliglich auf ir Ayd zu recht erkannt das du recht gericht habest, darnach wisse dich Im rechten zu richten (10. 9.1455).[Seite: S. 151]
In dem Verfahren des Kaplans Ulrich Rämer gegen den Wagner von Hergartzhausen (1465)5.16 vor dem Landgericht Wolfratshausen, das mit vollem Gericht zu Perlach tagt (Richter: Ulrich Spiegel), geht es um die Pfändung eines Gutes des Beklagten durch den Kläger. Die Ortschaft Perghaim, in der das Gut liegt, gehört dem vom Kläger verwalteten Wilbrechts Altar in München. Der Beklagte hält die Pfändung für rechtswidrig, weil das Gut Zubehör seines Anwesens zu Otelfingen sei, das nicht zu Wilbrechts Altar gehöre. Der Kläger wiederum meint, es handele sich um ein besunders gut, das nicht Otelfingen zugehörig sei. Zum Beweis werden mehrere alte Urkunden vorgebracht. Nach Verlesung des einschlägigen Artikels des puchs ergeht unter dem 16. 9.1465 das Urteil, das das Gut als ein besonderes und die Pfändung daher als rechtmäßig ansieht. Der Beklagte hält sich für beschwert und dingt, ohne die Beschwerung darzulegen oder den Eid zu schwören. Dem obsiegenden Kläger wird das Urteil ausgefertigt, dem Wagner an seinem geding unbegriffen. Ein zweiter Gerichtsbrief ergeht, als der Beklagte den Brief von hof an das Landgericht zurückbringt, wo er auf Antrag der Parteien aufgebrochen und verlesen wird. Das Hofurteil unter dem Namen der Herzöge Sigmund und Albrecht teilt mit, daß die Räte das Geding aufgebrochen, gehört und sodann ainhelliglich zu recht auf ir ayd erkannt (haben) das du recht gericht habest (12.12.1465).
Vor dem Stadtgericht München (zu München an offem Statrechten) spielt sich der Prozeß der Kathrei Gruberin, Satlerin, gegen Hanns Haffner ab (1478, Richter: Wilhelm Mächselrainer)5.17. Die Klägerin hat drei Gegenstände (Becher, Gürtel, Mantel) für je einen Gulden einem Wolfgang Hagen verpfändet. Dieser hat die Pfandgegenstände offenbar an den Beklagten weitergegeben.
Die Klägerin, die das Darlehen zurückgezahlt hat, möchte nun von dem Beklagten Auskunft, ob er im Besitz der Sachen sei. Der Beklagte bringt durch Vorsprecher vor, er habe mit der Klägerin keine Rechtsgeschäfte getätigt, folglich mit der Sache nichts zu tun. Es werden die einschlägigen Artikel des puchs verlesen. Das Urteil spricht mehr aus, als verlangt war: Wenn die Klägerin nachweist, daß der Beklagte wußte, daß die Sachen im Eigentum der Klägerin standen, so geschech weytter was recht sei (17.1.1478). Die Klägerin fühlt sich daher beschwert und [Seite: S. 152] hat sich die benant grueberin beruefft und gedingt für den durchl. hochgeb. fursten und herrn hr. Albrechten ... und seiner gn. ratt als zu höherem und pessern Rechten.
Sie schwört ainen gelertgeben ayd mit aufgebotten vinger hincz got und den heyligen leiplich gesworn das sy die urtail von kainer lengrung noch verziehen nit ding, nur darumb das si irs rechten bekomen mug.
Das vor dem Stadtgericht verkündete Hofurteil besagt, daß die Räte ainhelligklich erkannt haben, die Klägerin sei beschwert: sich woll davon beruefft hat.
Der Beklagte solle nur Auskunft erteilen: und du sollest das Recht also richten (21.2.1478).
Das Verfahren der Witwe des Lienhart Rogeisen gegen Augustin Vorster und Christof Stolcz als gerhaben Lienhart Schrobenhausers Kind, und Klinger Meczger und Sewr Schneider als Pfleger Caspern grässel des meczgeren kind um die Erbfolge auf Lienhart Rogeisen findet ebenfalls vor dem Stadtgericht München statt (1484, Richter: Oswald von Weichs zu Weichs)5.18.
Das erste Untergerichtsurteil gibt der Klägerin recht: Das der frawen Irs manns säligen verlassen hab und gut nachvolgen und zusten. Darauf dingen die Beklagten: Si wären In sölher urtail beschwärt Dingten und Appellirten die für den Durchl. Hochgeb. fürsten und hr. herrn Albrechten ... und seiner gn. Räte Als zu höherem mererem und pesserm Rechten In gueter Hoffnung daselbs söl erkennt werden das übel gericht und wol geappellirt sey und haben darauf ir geding verfürt als Recht ist ... (10. 9.1484).
Dem Stadtrichter wird sölh urtail und geding von hof widerumb zugesannt, um es zu verkünden: Als sich ... (Anm.: die Bekl.) für uns und unser Räte gedingt und geappellirt haben Innhalt des gedings hie Inne Das unser Räte an heut dato aufgeprochen verhört und ainhelligklich zu Recht auf Ir aid erkannt haben das übel gericht und wol geappellirt sey und zu Recht gesprochen das der artickel (Anm.: des StRB) In der urtail angerürt auf [Seite: S. 153] solhs zuvallends erb wider gemaine Recht nicht verstanden soll werden, Es well oder mög dann die fraw peypringen . . . Das In der Stat München ... also herkomen und gehallten sey. Thut sy das nit Söllen die clager (Anm. : Bekl. in 1. Instanz) als die nägsten erben nach Inhalt gemainer Rechten zugelassen werden (6.10.1484).
Unter dem 9.10,1484 bekommen beide Parteien einen Gerichtsbrief ausgestellt. In Befolgung des Hofurteils stellt die Klägerin zum Nachweis des genannten Gebrauchs Bürgermeister sowie inneren und äußeren Rat der Stadt München als "Zeugen". Diese sagen dementsprechend aus. Das zweite Urteil des Stadtgerichts lautet darauf: Das die fraw Ir peypringen laut der hofurtail hab fürpracht des zu Recht genug sey. Die Klägerin erhält den Gerichtsbrief unter dem 9.11.1484.
Vor dem Landgericht Hochenburg, das zu Lenggries tagt (zu Lenngries an offem rechten) spielt der Prozeß des Kaplans Jacob Urmaister gegen Hans Junkher von Puesenkaim (1484, Richter: Erhart Schmidhamer)5.19. Der Kläger macht für seinen Altar Eigentum an einem Hof bei Lenggries geltend und begehrt vom Beklagten Räumung des Anwesens.
Im Laufe des Verfahrens legen beide Parteien bis zu hundert Jahre alte Beweisurkunden vor. Die Urkunden des Beklagten beziehen sich allerdings auf ein Gütel, das er erworben hat. Der Beklagte begehrt Verweisung an den Lehensherrn Heinrich Höhenkircher, während sich der Kläger auf eine Klage wegen Irrung an seiner Hofstat, nicht auf Klage um Eigen und Lehen bezogen wissen will. Das auf den ersten Termin am 30.10.1483 nach Vertagung folgende Urteil, wonach die Sache nicht an den Lehensherm geschoben wird und der Beklagte die Hofstatt räumen soll, greift der Beklagte an, indem er sich peswärt, berueft, pedingt und appellirt für (Hzg. Albrecht) ... und seiner gn. edlen Rate. Die Begründung der Appellation (beschwarung) ist sehr ausführlich, wobei im wesentlichen die Argumente aus der ersten Instanz wiederholt werden. Die Appellation wird von den Räten mit Hofurteil erlöst und an das Landgericht zurückgeschickt, das das Urteil öffnet: Der Beklagte habe sich von der urtl wol beruft, und der Kläger solle den streitgegenständlichen Hof genau bezeichnen sowie den [Seite: S. 154] derzeitigen "Inhaber" nennen (5.4.1484). Der Gerichtsbrief wird dem Klägervertreter unter dem 29.4.1484 erteilt.
Ein weiterer Gerichtsbrief5.20 vom 14.4.1485 zeigt, daß das Verfahren mit Zeugenaussagen weiterbetrieben wurde. Das darauf ergangene Landgerichtsurteil, das vom hinlänglichen Beweis des Eigentums durch den Kläger ausgeht, wurde vom Beklagten abermals beschwart, beruefft, und die gedingt und appellirt. Nachdem sölich geding verschlossen vollfuert und in die Canntzlei geantwurt worden war, erging von den Räten Herzog Albrechts erneut ein Hofurteil, das an das Landgericht zurückgeschickt und dort geöffnet wurde: unsere Räte an heut dato aufgebrochen verhört und ainhelliglich zue recht auf Ir ayd erkannt haben das du recht gericht habest darnach wisse dich Im rechten zu richten (4.3.1485).
Wieder erscheint der Kaplan Ulrich Ramer als Kläger in dem Prozeß gegen Gilg Reicher, Bäcker zu München, vor dem Stadtgericht München (in München an offem Statrechten, 1485, Richter: Oswald von Weichs zu Weichs)5.21. Er fordert von dem Beklagten jährlich zehn Münchner Pfennige als auf dem Anwesen des Beklagten haftendes Ewiggeld. Zum Nachweis legt er eine Verschreibung aus dem Jahre 1469, die von dem damaligen Eigentümer der Bäckerei, Gabriel Zerrenbeck, ausgestellt ist. Der Beklagte wendet lastenfreie Ersitzung durch einen Zwischenerwerber (Erhard Indersdorfer), der ihm das Anwesen übereignet habe, ein. Darauf wird die Klage durch Urteil abgewiesen: (Beklagter) ist der clag pillich mussig. Der Kläger appelliert sofort (12.3.1485). Die Räte erkennen im Hofurteil einhellig zu Recht, daß ubel gericht und wol gedingt sei und daß der Beklagte das Ewiggeld zahlen müsse (22.10.1485). Darauf begehrt der Beklagte, zehn Tage "Termin" zu geben. Nach diesem Bedacht erklärt er, er wolle es beim Hofurteil belassen, worauf der Kläger Ausstellung eines Gerichtsbriefes beantragt.
Der Rechtsstreit zwischen der Äbtissin von Schönfeld (vertreten durch Gabriel Tanstetter, Pfleger zu Schönfeld) und Magdalena von Gumppenperg (vertreten durch Caspar Bernhart von Staindorff) spielte vor dem Landgericht Rain (zu gewondlichem Lanndrechten, an offner Schrannen) und begann wohl Mitte des Jahres 1496 (Richter: Sebastian Hohenberger, Vogt zu Rain)5.22. Die Beklagte und ihr verstorbener Ehemann haben ihre Tochter in das Kloster Schönfeld gegeben, wobei sie hundert Gulden Rheinisch versprachen und mit einem Hof zu Wissenbach Sicherheit leisteten. Nach dem Tode ihres Mannes hat nun die Beklagte diesen Hof ohne Zustimmung der Klägerin veräußert. Die Klägerin möchte nun das Pfand haben, um die Schuld auf diese Weise beitreiben zu können. Die Beklagte bringt vor, der Hof sei ihr als Morgengabe durch Heiratsbrief überschrieben worden mit der Maßgabe, daß sie darüber frei verfügen könne. Das Zahlungsversprechen sei allein von ihrem Ehemann gegeben worden, von einer Verpfändung des Hofs wisse sie nichts. Das Urteil des Landgerichts geht dahin, daß die Beklagte der Klägerin des Hofs halben nichts schuldig sei, und daß sich die Klägerin an das übrige Gut des verstorbenen Ehemanns der Beklagten halten könne.
Daraufhin appelliert die Klägerin an Herzog Georgs Hofgericht und Rät im Oberlande (Neuburg) (10.10.1496).
Nach dem Hofurteil haben Herzog Georgs Rat und Beysitzer des Vogts Urtail ab, und zu Recht erkennt, das die von Schönfeld bey irer Verschreibung beleiben solle, es sei denn, die Beklagte habe an irem Verweyß Mangel (23.1.1497)5.23.
Entsprechender Gerichtsbrief wird dem Klägervertreter ausgestellt. Nach einem weiteren Gerichtsbrief5.24 wird das Verfahren weitergeführt, indem die Beklagte versucht, den Mangel ires Verweis ... auszefurn, und eine Missive Herzog Albrechts an ihren verstorbenen Ehemann aus dem Jahre 1494 vorlegt. Die Klägerin meint, daß dies kein Nachweis sei, da die Schrift nicht an Vogt oder Gericht zu Rain gerichtet sei. Auch sei in der Schrift nicht von dem streitgegenständlichen Hof die Rede. Die Klägerin beantragt, daß ihr Rechtens beholfen werde, worauf das Landgericht durch Urteil entscheidet, die Beklagte habe nicht genügend vorgebracht. Nun appellierte die Beklagte an Herzog Georgs Rat und Hofgericht im Oberland (Neuburg). Das Hofurteil lautet, daß die Räte des Vogts Urteil zu Krefften gesprochen haben. Der Beklagtenvertreter nimmt darauf Im zehen Tag ainen Bedacht, um mit [Seite: S. 156] der Beklagten eine Appellation an das RKG zu überlegen. Der Klägerin wird unterdessen ein Gerichtsbrief (19.2.1498) ausgestellt. Ob das Verfahren zum RKG weitergeführt wurde, ist nicht bekannt.
Der Gerichtshof des Landrichters Berthold Starzhauser zu Vohburg vom 21.3.14815.25 zeigt, daß auch zwei Hofurteile in einem Gerichtsbrief auftauchen können. In der schon längere Zeit anhängigen Sache der Vierer des Dorfes Mering gegen den von Au wegen "Besuchs" und Viehtrieb in der Pleysau wird zunächst das erste Hofurteil verlesen, wonach die Kläger durch das vorangegangene Landgerichtsurteil beschwert sind und wohl appelliert haben, und keine neuen Zeugen vernommen werden sollen (2.3.1480). Auf ein dem Beklagten günstiges Urteil des Landgerichts appellieren die Kläger abermals, worauf das Hofgericht München entscheidet: heute augebrochen, verhört und ainhelliglich auf ir Aide erkannt, daß du recht gericht habest (21. 2.1481).
In dem Rechtsstreit des Abtes von Scheyern gegen die Stadt Pfaffenhofen, der in erster Instanz vor dem Hofgericht München (Richter: Hofmeister Wolfgang von Aheym zu Wildenau und die übrigen Räte) entschieden wurde5.26, nahm die Beklagte eine Bedenkzeit, ob sie appellieren wollten oder nit. Ob der Fall zum RKG weitergeführt wurde, ist nicht bekannt.
Einen Fall der Rücknahme eines Gedings zeigt der Gerichtsbrief5.27 des Landgerichts Dachau (Richter: Michl Muckentaler) vom 22. 6.1469. Die gegen den Bischof von Freising unterlegenen Kläger, das Kloster Scheyern und der Münchner Bürger Franz Ridler, beruefften sich der gesprochen urtail, dinget die gen hoff für ain beswarung. Beim nächsten Gerichtstermin erscheinen sie wieder und wollen Sy daselb geding nit volfürn, sonder vallen und bey meiner gesprochen urteil beleiben lasn. [Seite: S. 157]
Zwei besondere Gerichtsbriefe liegen vor, die auf Appellationen von Beiurteilen ergangen sind. In dem ersten Fall, in dem das Landgericht Wolfratshausen (Richter: Wilhelm Schaltdorfer) den Schwiegervater des Beklagten nicht als Geweren5.28 zuließ5.29, dingte der Beklagte zum Herzog, um die Zulassung zu erreichen, während der Kläger einen Gerichtsbrief ausgestellt bekommt (28.11.1474). Im zweiten Fall fällten die zwölf Sprecher des Hofmarchgerichts Raisting des Herrn von Töring ein Urteil, wonach der Procurator Hanns Ranner, der den Probst des Klosters Dießen vertrat, seine Vollmacht nachweisen mußte5.30. Der Kläger beschwerte und berief sich vor den Herzog um höheres, besseres Gericht. Auch hier erteilt der Unterrichter Fridrich Pullinger einen Urteilsbrief (13.11.1487). Beiden Gerichtsbriefen gemeinsam ist, daß sie keine Aussage über den weiteren Verlauf des Gedings und das Hofurteil enthalten.
Deutlich kommen die Einflüsse des kanonischen Prozeßrechts in dem Gerichtsbrief des Landgerichts Sulzbach vom 26.5.14905.31 zum Vorschein (Richter: Hanns von Luchau, Pfleger). Der Beklagte hat sich mit lebentiger stym berufft und geappellirt vor Herzog Albrecht und seine Räte und bat um des handels gerichtz brieff appostel und abschid zu geben der im dan mit urtail tzu geben ertailt ist.
Der Gerichtsbrief des Landgerichts Rain (an offner Schrann) vom 12. 2.1459 (Richter: Peter Hausner, Pfleger)5.32 zeigt die üblichen Quatembersitzungen der Hofgerichte an. Nachdem sich der Kläger für ain beschwerung zu ainem höchern und pessern Rechten für sein gn. h. Herzog Ludwig und seiner gn. Edel rett berufen hatte, entschied das Hofgericht: Seins gn. Herzog Ludwigs etc. Rette, die auf heint an pficztag in der Kottember vor Weichannechten anno LVIII hie zu Ingelstat ain hofrechten gesessen sein, verfolgen ainhelliklich des Vogts obg. gesprochen urtail.
Ein Geding zum königlichen Hofgericht beinhaltet der Gerichtsbrief des [Seite: S. 158] Hofgerichts München, das zwischen dem Bischof von Freising und dem Abt von Beuern über das Fischrecht am Kochelsee als erste Instanz entschieden hat5.33. Der Brief gibt gleichzeitig Auskunft über die Besetzung des Hofgerichts (Hofmeister Stephan von Smiehen und die Räte Friedrich Landgraf zu Leuchtenberg, Konrad Probst zu Illmunster, Hans Fraunberger zu Hag, Hans von Degenberg der Jüngere, Ritter Werner Pienzenauer, Konrad von Egloffstain, der Landmeister, Konrad von Freyburg zu Wäl, Wilhelm Mächselrainer, Ulrich Eysenhofer, Veit von Egloffstain, HansPelhand, Peter Rudolf und Hans Rösler, der Kanzler). Der Kläger bringt auf ein Beiurteil vor, das sy in solchen gesprochen urtail beswaert wern, ... darumb beruffen sy sich des und all ander Beswerung, die daran hiengen für unser allergnaedigisten Herrn den römischen Kayser oder wohin sy das rechtlichen dingen sollten und maechten, in der besten Form, als daß im Rechten Krafft het, und sich rechtlichen gebiret.
Ebenfalls alle Hofrichter sind in dem Gerichtsbrief vom 16. 9.1456, das den Fall des Gedings zum Erzbischof von Köln enthält, angegeben5.34, Hofmeister Stefan von Smiehen und die Räte Ulrich Aresinger, Domherr von Freising, Konrad Probst zu Illmunster, Christof von Parsperg, Jörg Marschalk, Ritter, Konrad vom Egloffstain, Kammermeister, Ulrich Ewsenhofer, Albrecht Stawffer, Eberhard Torrer, Sigmund Puchperger, Veit vom Egloffstain, Wilhelm von Riethaim, Hans Pelhaimer, Wilhelm Schellenberger, Friedrich Aichstetter, Peter Rudolf und Hans Rosler, Kanzler.
Ulrich Erhart der Pawr hatte das Kloster Fürstenfeld vor dem Hofgericht München verklagt, weil es ihm angeblich zu einem Rechtstag zwischen beiden Parteien in Augsburg freies Geleit gegeben, ihn dann aber gefangen, hart geslagen und gewundet, auch sein Brief, Gelt, Messer und annder sein Gut genommen habe. Nachdem das Hofgericht entschieden hatte, daß das Kloster dem Kläger nichts schuldig sei, trägt dieser vor das er in der gesprochen Urtail beswort wär, dinget und berufft sich der fur den hoch wirdigisten meinen gn. Herrn den Ertzbischof zu Cöln, der in der vorausgegangenen Sache zwischen den Parteien einen Schiedsspruch gefällt hatte.
Der Beklagte widersetzte sich sogleich, da [Seite: S. 159] der von Cöln nicht meins gn. hr. Herzog Albrechts obrer, sunder der Römisch Kayser, für den sol man von meinem gn. hr. Herzog Albrechten und seinen Hofgericht dingen.
Eine kaiserliche Ladung und Inhibition enthält das Instrument des Münchner Notars Sigismund Schwartzperger5.35. Die Äbtissin des Angerklosters zu München, Felicitas Trawtmannin, hatte gegen ein Hofurteil Herzog Georgs (1. Instanz: LG Rosenheim) zugunsten des Münchner Oberstadtrichters Oswald von Weichs zu Weichs und dessen Ehefrau zum RKG appelliert. Der Notar verkündete Weichs die darauf ergangene Ladung in dessen Wohnung (insinuiert und verkundt):
Wir Friedrich von g. gn. Rom. Kayser ... entbieten unnserm unnd des Reichs
getrewen Oswald von Weichs ... gnad unnd alles gut. Sich hat die Ersam ...
Felicitas Abbtissin ... von ainer urtail unnd ettlichen beschwärungen, So an
dem lanndtgericht zu Rosenhaim wider Sy, Unnd für euch gesprochen unnd
erganngen, Unnd nachmals an das Hochgebornen Georigen ... Hertzogen in Beiern
Hofgericht verfolgt, Unnd Widerumb an dem gemelten lanndgericht geöffennt sein
sullen, durch iren volmechtigen Anwald alls peschwart an Unns Berufft unnd
geappelliret, Innhallt ains Urtailbrieffs , der selben Appellation unns darumb
fürbracht.
Unnd In der Meinung solicher Appellation unnd Sachen Rechtlichen nachzukumen,
Unns um Notturftig Hilff des Rechtens diemutigklichen anrufen unnd bitten
lassen, Wann Wir nu nyemanndt Rechtes versagen sollen, darumb So heischen unnd
laden wir euch ernstlich gebietennd, das ir auf den fünf unnd vierzigisten tag
den Nechsten nach dem euch diser briefe geanntwurt oder verkündt wirt, der wir
euch fünfzehen für den ersten, fünfzehen für den anndern unnd fünfzehen für den
dritten und letzten rechttag setzen unnd benennen peremtorie, oder ob derselb
tag nicht ein gerichtstag sein wurdt, auf den nagsten gerichtstag darnach, vor
unns, oder dem wir das an unnser stat bevellen, wo Wir dann zumal im Reich sein
werden, selbs oder durch ewren volmechtigen Anwaldt kumet, unnd Rechtlich
erscheint ...
Nachdem unns auch die genant Abbtissin hat fürpringen lassen wie Ir nach
eingelegter Appellation Sy der Güter ... entwert unnd entsetzt, und damit
attemptata unnd Neuigkait wider Sy fürgenommen haben sollet, Gebieten Wir euch
... das ir in sechs wochen und dreyn tagen, auch nach Uberantwurtung diss
unsers keiserlichen briefs, das gemelt gut ... widerumb zu iren Hannden
einantwurttet, unnd dabey bis zu Austrag des Rechtens unverhindert beleiben
lasset, unnd weiter wider Sy nichts fürnemet, vernewet, hanndelt, noch
attemptirt ... Datum Nürnberg 12.6.1487. [Seite: S. 160] Das Instrument
zeigt, daß Regelungen des kanonischen Prozeßrechts, die sich in der GO
wiederfinden, bereits Jahrzehnte vorher von der Praxis rezipiert waren.
Dieser Eindruck wird durch das Instrument des Notars Georg Schmidhofer (Clerick- Regenspurgs Bistumbs auß kaiserlichem gewalt ain offner notari)5.36 verstärkt, mit dem der herzogliche Rat Leonhard von Eck eine Appellation von einem erstinstanzlichen Hofurteil des Münchner Hofgerichts gegen die Äbtissin von Geisenfeldt zum RKG einlegte (23.12.1507).
(Anm.: Der Appellant hat) in seinen henden ain papierene Zetl ainer
pervoracion appellacion und beschwärung ... sich zue berueffen dingen und
appellieren ... Und pitt auch ersucht mich In sollicher Appellacion apostl Zum
Ersten. Zum andern und zum dritten mall. Vleissig. Vleissiger unnd aller
vleissigist. zue geben ... (Anm.: von einem Hofurteil Hzg. Albrechts zu
München) ... des noch nit zehen tag verschinen sein ... für ain höhers merers
und pessers recht Unnd gericht Das ist für Unsern allergn. ... Römischen König
und ... Camergericht ... Unnd darauf unnterwürff ich mich ... schütz unnd
scherm ... bezeug auch offenlich vor euch offenbaren Notar und vor disen
glaubwirdigen zeugen ... dise meine Appellacion zu volfueren auch die
perseqiren ... behalt mir auch dise meine appellacion zu pessern. Zu meren. Zu
myndern. Dy ganz abzuthun ... darumb ains oder mer Instrument und Zeugnußbrief
geb. Vergleicht man den Wortlaut dieses Instruments mit dem des 15.
Gesatzes (Tit. 10; 2. Abschnitt) der Gerichtsordnung (oben 4. Kap. / 2), stellt
man fest, daß hier bereits Wendungen gebraucht sind, die in der Gerichtsordnung
wörtlich erscheinen: ... pitten zum Ersten / Anndern / unnd Dritten maln /
vleissig / vleissiger / und aller vleissigist ...
... in schütz unnd scherm Kayserlicher mayestat / ...
... mit vorbehalltung hieinn merung mynndrung und enndrung zethun ...
Den Beleg für die bayerische Gewohnheit, auch innerhalb des decendiums
mündliche Appellationseinlegung zuzulassen, wie sie abweichend von allen
Vergleichstexten in Tit. 10, 11. Ges. der GO zum Ausdruck kommt, gibt ein
Bericht der herzoglichen Räte zu Landshut an den Herzog, der in dem Fall
Sittenhofer gegen Hänigkau durch eine entsprechende Anfrage des RKG veranlaßt
war5.37 [Seite: S. 161]: Auf ...
Camergerichts Compulsorial an E. F. G. von wegen ainer Khundtschafft / aines
gebrauchs appellierens halb an Eur f. gn. unndern gerichten ... Haben wir unns
E. gn. bevelch nach ... erkhundt / Das von denselben unnder oder
mindergerichten des hiesigen Vitzdombambts / sonnderlich auch dem Casstngericht
alhie (Anm.: der ersten Instanz in vorliegendem Fall) wo es sich zueträgt unnd
begibt / ex Intervallo viva voce zu Appellieren ain gemeiner täglich uebsamer
gebrauch unnd herkomen ist / auch solh appellation / wo unns die zuekomen /
durch unns on widerred angenomen. und darauf verrer Rechtlich wie sich gebürt
gehanndlt wirdet.
Datum 17.12.1517 Anwäldt unnd Rete ytzt zu Lanndshut. Offenbar wurde die
Zulässigkeit der Appellation vom RKG davon abhängig gemacht, ob ein derartiger
Gerichtsgebrauch in Bayern bestehe oder nicht.
Das Hofgerichtsbuch5.38 gibt zunächst guten Einblick in den Quatemberturnus der Sitzungen. Es zeigt sich auch, daß das Hofgericht in großem Umfange mit erstinstanzlichen Verfahren beschäftigt war.
Quatember vor Reminiscere | erstinstanzliche Urteile |
4. 3.1479 | 2 |
8.3. | 3 |
9.3. | 1 |
11.3. | 2 |
22.3. | 1 |
o. Dat. | 1 (Vermerk einer Abrede dazu vom 5. 6.1479) |
Quatember in der Fasten | - |
12. 2.1480 | gutlicher Entschid |
26.2. | Abschid |
1.3. | Zwischenentscheidung und Vergleich |
Quatember zu Pfingsten | - |
25.5.1480 | 1 erstinstanzliches Urteil |
30.6. | 1 erstinstanzliches Urteil |
o.Dat. | 1 erstinstanzliches Urteil |
28.6. | Vertagung |
27.6. | 1 erstinstanzliches Urteil (Herzog Albrecht als Partei) |
Es folgen acht eingelegte Seiten mit den Aussagen von fünfzehn Zeugen im von Fürstenvelld gegen von Zell (Bl. 30-33).[Seite: S. 163]
Quatember Pfingsten | |
31.5.1482 | 1 erstinstanzliches Urteil |
1.6. | 1 erstinstanzliches Urteil: (nachdem sich der Anwalt am 25. 6. dazu erklärte, wurde die Sache auf 15. 9.1482 vertagt) |
Quatember Fasten | |
13.3.1484 | 1 erstinstanzliches Urteil |
Quatember Weihnachten | |
15.12.1484 | 1 erstinstanzliches Urteil |
Als Ausnahme von der Regel, daß in Hofgerichtsbüchern keine Aussagen zu
Appellationsverfahren zu finden sind, weil die Hofurteile mit den Akten an die
Untergerichte zurückgeschickt wurden, weist das vorliegende Buch vereinzelte
Anmerkungen auf, die Appellationen betreffen. hat die urtl gedingt für den
Kayser als beswärt der ursach halb, das der Kapitl ain clag umb schuld gen Im
gewesn sei (Bl. 4).
einen termin genommen als recht ist, ob er die urtail dingen well oder
nit (Bl. 4 RS).
Auf einen Abschied hin sagt der Verglichene zu, es dabei zu beleiben lassen, an alle verer waigrung eintrag und Appellirn (Bl. 11). Auf der Rückseite des Bl. 11 wird Herzog Albrecht als kaiserlicher Kommissar genannt, wohl um als "ersuchter Richter" anstelle des RKGs eine Zeugenvernehmung o.a. durchzuführen.
Die Eintragung auf Bl. 14 zeigt zwei Streitende, die zu gleicher Zeit zwei Appellationen in verschiedenen Instanzen schweben hatten.
Hofgericht Johanni Baptiste Anno etc. LXXX (24. 6.1480). Item in der Sachen und rechten zwischen H. Hartungs vom Egloffstain und Jorgen Erlbeck in zwaien Sachen am ersten der Sachen und Appllaton halb so Erlbeck für unser gn.H. den kayser getan, darumb baidn tailn Rechttag auf yetzo gesetzt gewesn. der durch Erlbeckn abgeschriben ist wie er dem kranckhaitshalb seins leibs nit nachkomen müg. darauf peringer als gewalthaber in das recht komen ist und ainen rechtsatz von H. Hartungs wegen getan hat. darauf ist die nachgeschriben urtail gesprochen. [Seite: S. 164] (Anm. : Ein derartiges Urteil fehlt.)
Item in der anndern sach der appllaton So H. Hartung wider Erlbeck vom Lanntgericht Sultzbach getan hat darumb baiden tailn yetzt auch furbeschaidn. Ist Beringern ain solicher abschid geben das man Beringern darumb wiederumb Ladung geben sull peremptorie und sull auf denselben tag der appllacon halb entlich beschehen das recht ist Actum in vigilia petri et pauli Anno etc. LXXX (28. 6.1480).
Formulierungen, die nichts mit Appellationen unmittelbar zu tun haben, die sich
aber in den Appellationsvorschriften der GO wiederfinden, zeigen einige
Fristbestimmungen zur Beschaffung von Beweismitteln oder zur Ausführung
bestimmter Handlungen:
ob aber die sawnnuß an uns war ... das soll
bedentailn unbegriffen sein (Bl. 16 RS).
Es war dann die sawnnuß an uns soll yeden tail unschedlich sein (Bl. 6
und ähnlich Bl. 19 RS).
so Sy aber das nit tun, so soll verrer geschehen das Recht ist (Bl. 9
RS).
Auf Bl. 18 erscheint Herzog Albrecht abermals als kaiserlicher Kommissar.
Die Einräumung von Bedenkzeit, ob appelliert werden soll oder nicht, kommt an
mehreren Stellen vor:
der Jeher und sein parthei haben in ain bedencken genommen (Anm.: Hier
ist eingefügt: X tag), ob sy die urtail appellirn wollen oder nit (Bl.
21).
hat Im bedacht genommen die urtail an seinen herrn zu bringen / ob er die
zegut haben oder davon appellirn well (Bl. 22).
Daraufhat hn. pientzenauers Anwalt einen Terminum genomen, an hn. hannsen
zubringen, ob er die urtail zugut nemen, oder davon Appelliren well (Bl.
34).
Die Leistung eines Eides, um böswillige Verzögerungen zu verhindern, ist
lediglich im Zusammenhang mit einer Vertagung überliefert:
mug p. mit seinem aid bestetten wie recht ist das er sölichs zugs nit beger
von auszug und lenngerung sunder von nodturfft wegen seins Rechtens So süll er
den haben bis zum nächsten hofgericht tue er aber dez nit So süll weit
beschehen das recht ist ... (Bl. 21 RS).
Dagegen ist die in Tit. 11, 2. Gesatz 2. Abschnitt GO eingegangene Formulierung
[Seite: S. 165] des zweitinstanzlichen Hofgerichtsurteils auch hier
vorhanden:
Auf red und widerred und was in Recht Fürkomen ist Sprech er (Anm. : der
angefragte Rat Wirsperger) zu Recht auf seinen aid / das an lantgericht
Sultzbach übel gericht und wol geappellirt sei ... (Anm. : es folgt ein
Ausspruch zur Sache einschließlich Kostenentscheidung) (Bl. 22).
Überblickt man die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung, so ist festzustellen, daß das Appellationsverfahren in Bayern um die Jahrhundertwende weitgehend mit römisch-kanonischen Regelungen durchsetzt war, wie sie später in die GO Eingang fanden. Damit kann gesagt werden, daß die Appellationsvorschriften der GO nichts Neues setzten, sondern lediglich die in der Praxis bereits vorhandenen Institute gesetzlich fixierten, vervollständigten und vereinheitlichten. Dabei wurde Wert gelegt auf die Aufrechterhaltung von Gerichtsgebräuchen, die durch die rezipierten Regelungen in der Praxis nicht verdrängt worden waren, und die Betonung der Kontinuität von Hofgeding und Appellation.
Der Rechtsstreit zwischen Hans Grick und den Brüdern Sebastian und Chunrad
Seehofer5.39 zeigt bereits, daß
sich nach Inkrafttreten der GO am Appellationsverfahren nichts geändert hat.
Auf das erstinstanzliche Urteil des Stadtgerichts München vom 1.3.1521
appellierten die Gebrüder Seehofer an das Hofgericht:
Solicher meiner gesprochen Urtl beswärten sich die sehover gebrueder dingtn
und apeliertn dy für und an die (Anm. : Herzöge) ... und Irer f. gn.
hofgericht allß zu höherm unnd mererm gericht In hoffnung daselb wert mit recht
erkannt das woll geapelirt und nit recht gericht sey etc. Unnd anheut dato ist
mir obgenanten richter solich geding von hof widerumb zugeschickt darine ich
paiden partheien verkunt das hofgeding aufgeprochen unnd verlesen ...
Auch das dann folgende Ho furteil gleicht den früheren:
... für uns und unser Rete gedingt unnd apelirt haben laut hieinn ligenden
gedings an heut dat aufgebrochen hören lesen unnd darauf ainhelligklich Zue
recht Erkannt das wol geapelirt und ubel geurtailt ist ...
Nach dieser bekannten Formel folgt ein Ausspruch zur Sache und das Datum (München, 25. 6.1521).[Seite: S. 166]
Die anschließende Appellation zum RKG weist ebenfalls die bekannte Form auf,
die bereits vor Inkrafttreten der GO verwendet wurde und im 10. Tit. 15. Ges.
2. Abschn. GO fixiert ist:
... dingt und apelirt davon für ... Kamergericht zum ersten anndern unnd
dritten mall vleissig vleissiger und am aller vleissigisten unnd unterwürffe
sich seiner Kaiserlichen maiestat schütz unnd schirm begert darauf ... apostel
unnd abschied briefe zugeben den ich hiemit ... gibe (28.6.1521).
Um das Erbrecht nach dem Sohn eines Priesters, der ohne gesetzliche Erben und
ohne Testament verstorben und dessen Nachlaß dem "Fiskus" angefallen sein soll,
ging der Streit zwischen Heintz Eysen und dem Bischof von Eichstätt5.40. Nach vier Terminen (20.8. , 25.9., 22.10. und 11.12.1527) erließ das Landgericht der Grafschaft Hirschberg
(Richter: Erhard von Muckental) ein Beiurteil zur Zuständigkeit:
Also ward auff mein lanndrichters anfragen durch die von der Ritterschafft
so dazemall bey mir zu Recht saßen ainhelliglichen gesprochen unnd zu Rechte
erkannt Daß ... (Anm.: Heintz Eysen) vor Lanndgericht berechtet unnd nit
solle gewisenn werden ...
Dagegen wandte sich der Vertreter des Bischofs:
Diser gesprochenn urtail hatt sich ... beswert. Unnd davon für die
Durchleuchtigen hochgeborenn fürstenn unnd hernn Hernn Wilhelmen unnd herrenn
Ludwigen gebrüder ... unnd Irer f. gn. Rathe unnd hoffgericht genn München von
merern Rechtens wegn geappellirt Unnd sind Ime also solhe gerichts acta für
applos (Anm. : Apostolos) unnd abschidsbrief unnder lanndgerichts
Insigel gegeben worden. Unnd seind das seine eingelegne gravamina lautend wie
nachvolgt
Gravamina ...
In sieben Punkten, in denen die Zulässigkeit (Zuständigkeit) und materielle Gesichtspunkte gerügt werden, legt der Appellant seine Beschwer dar. Damit wird der im 10. Tit. 6. Ges. 2. Abschn. GO geregelte Grundsatz der Begründungsfreiheit bei Appellationen von Interlokuten durchbrochen, wie auch die Aushändigung der Gerichtsakten anstelle der Apostelerteilung nicht dem 16. Ges. des 10. Tit. GO entspricht, das dies dem Hofgericht gegenüber dem RKG vorbehält. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, daß das Landgericht Hirschberg wegen seiner Reichsunmittelbarkeit eine Sonderstellung einnahm.[Seite: S. 167]
Die Bitte des Bischofs
Ir meine herren hofrichter unnd Reth wolle erkennen Unnd sprechn das am
lanndgericht übel oder nichtiglich geurtailt unnd woll appellirt (sei) und
das darauf ergangene Hofurteil (das in den ursprünglichen Gerichtsakten fehlt,
später auf Anforderung des RKGs mit gesondertem Gerichtsbrief des LG Hirschberg
angefertigt wurde) zeigen jedoch wieder die gewohnte Formel:
Von gottes gn. Wilhelm unnd Ludwig ... Als (Anm. : der Bischof) sich
ainer urtail ... beschwert Unnd die für unns unnd unnser Hoffgericht gedingt
unnd appellirt hatt, laut hieinn ligendenn gedings. Also haben unnser Rethe
sollich geding an heut dato aufgebrochen, verhört unnd darauff erkannt. Das
durch dich unnd urtailer recht gericht sey darnach wisse dich fürter zwischen
den tailen zehalten (19.6.1528).
Die Appellation zum RKG, die der Bischof darauf einlegt, weist die übliche Form
auf:
Nach Verhorung solcher appellation unnd fürstlichen Reth urtaill Hat sich .
.. beschwert unnd davon für den Allerdurchleuchtigisten ... hernn Carolenn denn
fünfften ... und für seiner Kay. Myt. Camergericht vonn merern unnd bessernn
Rechtenns wegen (appellirt) Unnd batt Ime solcher erganngen gerichts acten zum
ersten anndern drittenn vleissig vleissiger unnd aller vleissigist apptos
(Anm. : Apostolos) unnd abschidbrieve zegeben.
Einen Hinweis auf das inzwischen auf zweihundert Gulden erhöhte Appellationsprivileg gibt die darauf folgende Einwendung des Appellationsbeklagten, der zu bedenken gibt, daß die bayerischen Herzöge gefreitt Unnd in gebrauch weren das in Irer fürstl. gn. Lannden niemand von Sachen unnder zweyhundert gülden Reinisch betreffend für das Kay. Camergericht zeappelliren gestatt würde sodan die erbschafft unnd haubtsachn auch nit sovil erraichte. verhoffe er das dem (Anm.: Appellationskläger) ... solhe frevenliche appellation ... nit zuzelassen, dan es allain zuverlengerung bescheche.
Der Vertreter des Bischofs hält die vom Gegner vorgetragene Beschränkung für
eine merckliche verklainerung seiner Rechte, worauf das Landgericht die
Appellation zum RKG zuläßt:
Doch das er solhe appellation Sachen nach deme Ime die von der Canntzlei
gefertigt uberantwort worden Inner dreyen Monatn an dem [Seite: S. 168] Kay.
Camergericht anhengig mache Unnd Inhibition ausbringe. Es wurde dan deshalb
saumsall daselbst und nit bey Ime erfunden, des soll er urkundt anzaigen
(25. 8.1528).
Die Setzung dieser Frist entspricht der Regelung im 13. Ges. des 10. Tit. GO,
das wiederum auf die Erdinger Reformation zurückgeht. Der Rechtsstreit zwischen
dem Regensburger Bürger Georg Habelkover und Gramanflanz von Stauff um das
Eigentum an mehreren Höfen beginnt vor dem in Muntraching tagenden Landgericht
Haydau (Richter: Andre Rotnflue zu pfater)5.41. Gegen das am 21.11.1531 gefällte Urteil geht der Vertreter des
von Stauff vor:
beschwärt Sich desmerern dingt dieselbigen für der (Anm.: Herzöge) .
. . fürstlich Regiment / Vitzdomb und Rate zu Straubing / von merer und pesser
urtl wegen / Bat Ime derhalben Appostl und Abschid zegeben und alles das so Im
Rechten herkhomen / In Acten gemelt ... und solch Appellacion und geding
verfertigt (4.12.1531).
Das Hofurteil wird am 27.5.1533 geöffnet:
die Appellacion und die urtl So Im Vitzdomb Ambt ergangen / und In das
undergericht widergesant auffzebrechen ... Und laut dieselbig Hoffurtl also:
Unser gn.hr. (Anm. : Wilhelm und Ludwig) ... Anwalde und Räte zu
Straubing ...
Wir haben Inligende Appellacion zwischen ... hören lesen und darauff nach
vleissiger bewegung alles herkhomens der Sachen zu Recht erkanth Das wol
geurtailt und übl davon appellirt sey. Doch mit der declaracion ... (Anm.:
folgt Modifizierung des erstinstanzlichen Urteils) (5.5.1533).
Der Vertreter des von Stauff greift auch das Hofurteil an:
beschwert sich ... Müntlich / begert und pat Ime Appostolos und Abschid / An
das ... Camergericht zegeben / pat zum Ersten Andern und Dritten maln vleissig
/ vleyssiger und allervleyssigist etc.
Bei der Apostelerteilung am 8.7.1533 zeigt sich das Verfahren der Eidesleistung
und der Zulassung durch das Hofgericht (5. Ges. und 8. Ges. 3. Abschn. des 10.
Tit. GO):
... Habe ich Richter disem Anwalt auff sein ytzt vermaint und angezaigt
beschwerde den Aide zethun aufferlegt. Also. Das Er zu Got Ainen Ayde schwöre
das Er acht und gentzlich dafürhalt Das Er durch das [Seite: S. 169] ergangen
urtl unpillich beschwert sey Deßhalben so hab Er Appellirt und gedingt von
pessers Rechtens wegen und seinem widerthail nit zu gefärde noch verlengerung
Sey auch in willen dieselb Appellacion und geding zuvolfürn und der
nachzekhomen wye Recht ist und gebrauch Niderlands Bayrn und Kayserlichen
Camergerichts etc. Dise Appostl und Abschid hab ich Ime auß sonnderm zulassen
Und befelhe / Vitzdomb und Räten zu
Straubing meiner gn. herren ... Geben.
Auch in dem Prozeß Glanecker gegen die Stadt Bairötting (Bairisch Ötting), der
in erster Instanz vor dem Hofgericht Burghausen ausgetragen wurde, spiegeln
sich die Regelungen der GO (10. Tit. 5. Ges. - Eid, 11. Ges. - Viva voce, 14.
Ges. - Apostolos reverentiales, 15. Ges. 2. Abschn. - Schutz und Scherm, 16.
Ges. - Akten für Apostel)5.42.
Gegen das erstinstanzliche Hofurteil vom 30. 9.1533 appellierte Glanecker
zum
Camergericht.Zum Ersten Anndern Dritten mal. vleissig vleissiger unnd zum
aller vleissigisten wie sich dann nach Ordnung Ainer yeden zirlichen
Appellation geburt. Viva voce beschwärt. In hoffnung der Orrtten Erkhenndt
zuwerden. Das ubel gericht unnd wol Appellirt sei. Wöll sich darauff in Schutz
unnd Scherm Kay.Myt. bevolhen haben.
Es folgt ein kurzer Zwischenstreit der Parteien zur Zulässigkeit dieser
Appellation:
Dawider die von Otting. Sy verhofften das dem Gegenntaill sein vermaintte
Appellation alls frävenlich unnd muetwillig nit zuegelassen werde, dann er auch
den Aydt. Zur Appellation gehörig, mit guetem gewissen nit schwern mög.
Dawider hat Glaneckher antzaigt. Er wöll sein Gravamen in schrifft einlegen,
unnd darüber Ob Ime der Appellation pillig deferirt werde oder nit erkhanntnus
gewartten.
Die Aushändigung der Akten für Apostel am 5.3.1534 zeigt, daß dem Appellanten
entsprochen wurde:
(Anm.: Das hofgericht hat) dem Appellanten sein gethan Dingung Kay. Myt. Zu
Eeren unnd unnderthenigstem gefallen zuegelassen. Darauff er auch den Aidt. wie
in Rechtsachen von der Appellation wegen geschworn würdt / gethan. Darüber
haben wir die Acta in disen proceß einleiben, und diselben dem Appellanten für
Apostolos Reverentiales zuestellen lassen. [Seite: S. 170]
Das Verfahren des Jacob Lederer, Bürgers zu Velden, gegen Leonhard Paur um ein
Gut des Klägers, das der Beklagte bewirtschaftete, das zunächst vom Landgericht
Biburg zum Hofgericht Landshut ging, wurde schließlich zum RKG weiterverfolgt,
obwohl der Wert offenbar nicht die zweihundert Gulden, auf die das
Appellationsprivileg inzwischen erweitert war, überstieg5.43. Darauf richteten sich die bayerischen Herzöge
an das RKG, um die Abweisung der Appellation als unzulässig zu erreichen:
... der Appellation Sachen halb so Leonhard Pawr wider Jacob Lederer von
wegen der urtl so an unnsrer Landschrannen daselbs zu Vellden (Anm.: Das
Landgericht Biburg tagte in Velden) erganngen. Unnd nachmals an unnserm
Hofgericht allhie zu Lanndshut Justificiert / unnd dawider durch Leonhard P.
wider unnsers Lanndesgeprauch alltherkhumen unnd habennd Freyhaiten / solh
Appellation für euch furgenomen ... unnd wo die sach gleich merers dann die
zwayhundert gülden in unnsern Kayserlichen freyhaiten ermellt. beträff / das in
disem fal nit ist / Sonnder wie vorstet weit darunter. So hette dannoch dem
Pawrn nit gepürt die Appellation fürzenemen ... So ist dem alln nach an euch
noch unnser ... begernn. Ir wellet ... sölh Appellation sach khains wegs
annemen. Sonnder von euch weisen ... (Landshut 19.11.1528).
Das Verfahren Andreas Hiltprandt gegen Ulrich Steger (1529)5.44 weist ein Notarinstrument zur Einlegung der
Appellation auf, das dem im Fall v.Eck gegen die Äbtissin von Geisenfeldt5.45 gleicht. Die
Rückseite weist jedoch zusätzlich eine Protestation auf, mit der sich
Hiltprandt gegen die Verweigerung der Apostelerteilung durch das Hofgericht
München beschwerte:
... weyl aber heut der dreyssigist tag sey als die vermaynt urteylen
ergangen seyen Erschein er nochmals unnd begere Im apostel Gerichtsacta unnd
aller von bayden teylen eingeprachter handlung besigel urkunt zegeben.
Die Antwort des Hofgerichts ist eindeutig:
... Endris Hiltprandt hab ein frävenliche mutwillige appellation wider
seines gn.hr. landtprauch Ordnung und freyheit gethan deßhaIben wollen sy
gedacht Appellation nicht zulassen noch deferiren ... [Seite: S. 171]
Die Appellation muß ausweislich der Akten dennoch ans RKG gelangt sein. Über weitere Einzelheiten geben die Urkunden jedoch keine Auskunft.
Eine Inhibition des RKGs an das Hofgericht Landshut enthält der Prozeß Frauenhofen gegen Schwindeckher5.46.
Wir Karl der Fünfft von Gots gn. Römischer Kayser ... entbieten der
(Anm.: Herzöge) ... Hofrichter und Rathen zu Landshut ... unnser gnad
...
Nachdem (Fraunhofen) ... ladung zu volnfuerung einer appellation ... von einer
urthail ... durch euch Hofrichter und Rethe ... alsbald nach eröffnung
derselben Im fustapfen als beschwärt an uns ... beruffen haben solle ... und
darneben umb dise Inhibition an euch diemuetigclich anrueffen und bitten lassen
hat, die ime auch erkhennt worden ist, darumb und dweil In anhangender
Appellation und sachen durch yemant nicht attentirt noch verneut werden solle /
So gebieten wir euch samt unnd sonnderlich von Rom. Kayserl. macht auch
gerichts und rechts wegen / bei zehen marckhen lötigs golds / halb in unser
Kayserl. Camer und zu dem anderm halbentheil dem obgemelten appellanten
unableslich zubezalen / hiemit Ernstlich und wellen / das Ir in diser sachen /
alledweil die vor unns ... In unentschieden Rechten hanget / demselben
anhangendem Rechten oder gedachtem / oder dem appellanten zu nachtheil und
unser Keyserl. Oberkhait zu veracht / ferner nit volnfaret / procediert /
erkennet / hanndelt oder furnemet / selbs oder durch ander / in keinerlei weyse
oder wege ...
Wennob hierüber obgemelter massn volfarn procedirt oder fürgenomen / So würde
doch sölichs alles als attentata und von Ime selbst untüglich / nachmals
widerumb aufgehoben widerrueft ... (Speyer 5. 5.1530).
Das vorausgegangene, mit der Appellation angegriffene erstinstanzliche Hofurteil des Hofgerichts Landshut und die Appellation selbst zeigen wiederum die gewohnte Form:
... so berueffet sich ermellter Wolfganng von Fraunhofen derselben Urtl alspald unnd incontinenti nach Irer eröffnung mit lebendiger stim viva voce dinget unnd appellieret die / Zum Ersten / Anndern unnd drittenmal. Vleissig / vleissiger unnd aller vleissigisten für den (Kaiser) ... und Irer May. Camergericht protestiert daneben derselben Appellation nachzekhomen unnd die zu prosequiern. Mit underthäniger Bit solh sein Appellation stat zethun unnd Ime Appostolos Reverenciales mitzetailen. Also haben offtermelt unnser Hofrichter unnd Räthe ... Camergericht [Seite: S. 172] zu Eeren ... derselben Appellation stat gethan unnd ... Appostolos Reverenciales unnd an derselben stat die Gerichtsacta ... besiglt Geben ... (17. 3.1530).
Die Akten des Rechtsstreits von Haslang gegen Richter von Rotenegkh, der vom Hofgericht München als erster Instanz zum RKG führte, beinhalten eine Vollmacht für den Anwalt, der vor dem RKG auftreten sollte5.47:
... Alls wir am (20. 8.1533) von ainer vermaintn urtl. so an dem fürstlichen Hofgericht zu München wider unns unnd für (Richter zu R.) erganngen Muntlich unnd zierlich für und an das ... Camergericht / alls beschwärt Appelliert unnd sollicher Appellation aigner person nit auswartten khönnen so haben wir ... unnsern volkhomen macht und gwallt / auf unnd übergeben ... dem wirdigen und Hochgelerten hr. Jeronimen Lerchenfellder. der Rechte Doctern, Kayserl. Camerger. Advocatn und procuratorn ... In unnserm Namen unnd von unnsem wegen ... alls vollmechtiger Anwald rechtlich zuerscheinen. die sach anhenngig zumachen Citation Inhibition Compulsorial und alle Notturfft ... zubegern ... Clag und alle unnserr behelff fürzebringen ... Auch den Ayd für geverde In Latein propter Calumniam vitanndam. Darzu Juramentum malitie decisorium auch ainen yeden anndern Ayd In unser seelen zuthun ... (27.8.1533).
Die Gerichtsbriefe und sonstigen Aktenstücke aus der Zeit nach dem Inkrafttreten der GO zeigen, daß im Appellationsverfahren keine wesentlichen Unterschiede im Vergleich zu der Zeit vorher eingetreten sind. Vielmehr liegt eine Kontinuität vor, die von der GO lediglich ordnend und vereinheitlichend beeinflußt wurde. Somit kann gesagt werden, daß die Appellationsvorschriften der GO eine in der Gerichtspraxis dieser Zeit eingebettete Zusammenfassung des vom Gesetzgeber gewünschten Idealverfahrens darstellen.[Seite: S. 173]
Die Untersuchung der Appellationsvorschriften der bayerischen Gerichtsordnung von 1520 versucht, einen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte nördlich der Alpen zu leisten. Das Rechtsinstitut der Appellation, des förmlichen Rechtsmittels des römisch-kanonischen Zivilprozesses, das allmählich mit dem des althergebrachten Hofgedings verschmolz, hat neben einer verhältnismäßig genauen Abgrenzbarkeit den Vorzug, daß anhand seiner Ausgestaltung im einzelnen auch politische Spannungsfelder zwischen Landesherm und Ständen einerseits und Landesherrn und Kaiser andererseits erkennbar werden.
Der grundlegende Entwurf zur Gerichtsordnung, der 1514 von dem herzoglichen Rat und Ordinarius für kanonisches Recht in Ingolstadt, Hieronymus de Croaria, vorgelegt wurde, und die weiteren, von dem herzoglichen Rat Augustin Kölner im Sinne einer gestärkten Landesherrschaft überarbeiteten Entwürfe zeigen den Einstieg zur Suche nach den Quellen der Appellationsvorschriften. Eine genaue Analyse von Gesetzestext und Vergleichstexten zeigt, daß die Appellationsvorschriften sehr stark von den kanonischen Vorbildern bei Tancredus, Durantis, de Ferrariis und anderen, aber auch den zeitlich vorangegangenen Reichskammergerichtsordnungen, der Reichsnotarordnung von 1512 sowie den Wormser und Nürnberger Stadtrechtsreformationen beeinflußt sind. Daneben tritt aber auch zutage, daß bewährte althergebrachte Regelungen aus dem bayerischen Rechtskreis, auch wenn sie dem römisch-kanonischen Gedankengut widersprachen, übernommen und mit dem Gesamtgefüge in Einklang gebracht wurden.
Die Untersuchung der Gerichtspraxis in Bayern vor und nach Erlaß der Gerichtsordnung von 1520 ergibt, daß bereits vor dem Inkrafttreten der Kodifikation das Appellationsverfahren in Bayern in großem Umfang römisch-kanonische Formen aufwies. Die Appellationsvorschriften der Gerichtsordnung stellen damit keine umstürzende Neuerung, sondern eine sammelnde, ordnende und vereinheitlichende Schöpfung dar, deren Güte nicht zuletzt an ihrem Fortbestand über Jahrhunderte hinweg gemessen werden kann.[Seite: S. 174]